Vanessa
Er hatte mich einfach so stehen gelassen. Das hatte er noch nie getan. Verletzt sah ich ihm nach, wie er auf die Straße bog und dann vor meinen Augen verschwand. Wie hatte es nur so weit kommen können? In dem einen Moment haben wir uns noch geküsst und im nächsten stieg er auch schon in sein Auto. Seine Worte hallten immer wieder durch meinen Kopf. Sag, dass du mich vermisst hast.
Als ich ihm diese Worte gesagt hatte, meinte ich sie von Herzen. Kein Junge zuvor hatte dieses vertraute Gefühl in mir ausgelöst wie er. Umso intensiver nahm ich jetzt die kalte Nachtluft wahr, die mit jeder Sekunde kühler zu werden schien. Ich stand immer noch an der gleichen Stelle, hatte mich nicht vom Fleck bewegt. Ich war so dumm gewesen. Endlich hatte er mir von seiner Vergangenheit erzählt und ich konnte ihm nicht mal sagen, dass ich ihn mochte. Dabei wusste ich über meine Gefühle für ihn Bescheid, doch diese Worte laut auszusprechen, traute ich mich nicht. Schon zuvor hatte ich ihn verletzt und das wollte ich eigentlich nicht noch einmal tun.
Schwer atmend legte ich eine Hand auf mein Herz, das versuchte aus meiner Brust zuspringen. Ich hatte nicht nur ihn aufgrund meines Schweigens getroffen. Der aufwühlende Sturm, der gerade in meinem Körper wütete, brachte mich dazu, laut aufzuschluchzen. Er hätte mich nicht einfach so stehen lassen dürfen! Die Leere, die mich jetzt umgab, brachte mich fast um. Wegen meiner Unfähigkeit hatte ich niemanden mehr. Lisa war wieder in Amerika, Joint ging mir immer noch aus dem Weg und Markus sollte sich nicht zwischen mir und Niklas entscheiden müssen. Da er sicher auf der Seite seines Bruders war. Ich stand alleine da, wie schon vor ein paar Monaten, und konnte mich niemandem anvertrauen.
Doch, Niklas würde dir zuhören.
Ich hörte nicht auf die Stimme in meinem Kopf. Nein. Ich war noch nicht bereit, ihm von meinem Vater zu erzählen. Er würde mich nicht mehr mit demselben Blick ansehen, wenn er herausfand, dass ich meine Probleme mit viel zu viel Alkohol ertränkte. Ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt tun sollte. Was ich machen konnte, damit mein Schmerz nachließ. Da fiel mein Blick auf den Wagen meiner Eltern und da wusste ich, wie ich das zerreisende Gefühl in meinem Inneren für eine Weile vergessen konnte.
Ich hatte noch nicht mal den Motor abgeschaltet, da wurde auch schon die Haustür aufgerissen und mein Vater kam mit einem hochroten Kopf auf mich zumarschiert. Gut, es konnte also losgehen. Während ich aus dem Auto stieg, machte ich mich schon auf seinen ersten verbalen Angriff bereit.
„Was fällt dir ein einfach das Auto zu nehmen?!" ich zuckte noch nicht mal bei der Schärfe seiner Stimme zusammen. Gleichgültig drehte ich mich zu ihm um.
„Du hättest es mir sowieso nicht gegeben!" Ich wusste, dass ihn meine Worte nur noch wütender werden ließen.
„Geh sofort ins Haus!" Während er sprach, kam er mir so nahe, dass ich seine widerliche Spucke auf meinem Gesicht spürte. Doch das war mir egal. Alles war mir in diesem Moment egal. Ich wollte nur, dass meine Brust aufhörte zu schmerzen.
„Du willst doch nur nicht, dass die Nachbarn dich schreien hören!" er hatte mit meiner Antwort nicht gerechnet und warf die Augen überrascht auf. Ich wollte ihn noch weiter provozieren, da packte er mich fest am Oberarm und zerrte mich Richtung Haus.
„Das wird Konsequenten haben!" Verzweifelt versuchte ich mich aus seinem Griff zu winden, versagte jedoch kläglich dabei. Schließlich waren wir an der Tür angelangt und er schubste mich mit einem kräftigen Stoß ins Innere.
„All deine Taten werden Konsequenten tragen!" Die Tür knallte mit einem lauten Schlag zu. Danach legte sich eine Totenstille um uns. Mein nervöses Schlucken dröhnte wie ein Vorschlaghammer in meinen Ohren. Als mein Vater sich drohend vor mich aufbaute, überkamen mich Zweifel über mein Vorhaben, den Schmerz mit Wut zu überdecken. Sein irrer Blick verriet mir, dass ich einen gewaltigen Fehler begangen hatte. Er neigte sein Gesicht ganz nah an meines und ich konnte seinen alkoholischen Atem riechen.
„Rede noch einmal so mit mir in der Öffentlichkeit und du kannst was erleben! Das schwöre ich dir!" bei seinen Worten keimte in mir die Hoffnung auf, dass er mich dieses Mal verschonen würde. Doch dann lachte er bitter auf. „So ungezogen wie du bist, würde dir wohl eine Trachtprügel gut tun!" Panik stieg in mir auf, als er wieder nach meinem Arm langte. Nein! Das hatte ich nicht gewollt. Ich wollte nicht, dass er zu diesen Maßnahmen griff. Wortlos schüttelte ich wie wild den Kopf.
„Du weißt ja schon wie das abläuft." Er zerrte mich in die Küche. Mit aller Kraft versuchte ich mich gegen seine Stärke zu wehren, doch er siegte, wie jedes Mal. Die Tränen strömten nur so meine Wangen hinab, als er mich gegen den Esstisch schubste. Mit einer einzigen Bewegung zog er seinen Ledergürtel von seiner Hose und sah mich finster an. Fest wickelte er ihn um seine rechte Hand. Das Geräusch, als er mit langsamen Schritten hinter mich trat, war mir höllisch vertraut. Sein Blick machte mir deutlich, dass er keine Gnade walten würde. Jeder Widerstand war aus meinem Körper gewichen.
„Es tut mir leid. Es wird nicht wieder vorkommen!" Als er daraufhin laut auflachte, wimmerte ich leise vor mich hin. Mein Atem ging stoßweise, als er mich gegen die Tischkante drückte. Dann war es still. Mein Oberschenkel brannte wie Feuer, als der erste Hieb mich traf. Die Tränen hatten meine Sicht zu einem verschwommen Etwas gebildet und ich konnte nur den Aufprall vom Leder auf meiner Haut wahrnehmen. Beim zweiten Schlag schrie ich auf und krümmte mich um den Tisch. Doch er machte einfach mit seiner Peinigung weiter.
„Hör auf! Bitte!" weinte ich zwischen den nächsten zwei Hieben.
„Ich bestimme, wann ich aufhöre! Du hast hier gar nichts zu sagen." Seine Stimme war viel zu laut, und ich zuckte bei seinem Brüllen zusammen. Ich zählte jeden weiteren Schlag mit, bei dem zehnten Hieb ließ er endlich von mir ab. Meine Beine fühlten sich so taub an, dass ich mich vor jedem Schritt fürchtete. Trotzdem musste ich so schnell wie möglich hier weg, sammelte meine letzten Kräfte zusammen, richtete mich auf und ging so schnell wie mich meine Beine tragen konnten, auf die Treppe zu.
„Das nächste Mal, beugst du dich lieber meinen Befehlen!" Am liebsten hätte ich mich zu ihm umgedreht und hätte ihm mit meiner Faust sein selbstgefälliges Grinsen aus dem Gesicht geschlagen, doch ich musste zusehen, dass ich es überhaupt in mein Zimmer schaffte.
Als ich den Flur passierte nahm ich aus dem Augenwinkel eine Person wahr. Obwohl ich mich nicht in die Richtung drehte, konnte ich die trüben Augen meiner Mutter erkennen. Sie hatte mich die ganze Zeit gesehen? Hatte das ganze Geschehen mit verfolgt, aber ist nicht dazwischen gegangen? Mein Hals schnürte sich eng zu und der brennende Schmerz meiner Haut verdoppelte sich in dem Augenblick, als mir bewusst wurde, dass niemand in diesem Haus auf meiner Seite war. Da meine Mutter nicht einmal jetzt Anstalten machte, sich um mich zu sorgen, stieg ich mit wackligen Beinen die Treppe hinauf und verschwand hinter meiner Tür, bevor mich noch jemand weinen hörte. Ich sparte mir, das Licht anzumachen, die Dunkelheit passte viel besser zu diesem Haus und zu meinem verletzten Zustand.
Nachdem ich einige Zeit auf dem Bett gelegen war, kroch ich vorsichtig, bedacht darauf, meine Oberschenkel nicht zu berühren, auf meinen Schrank zu, zog eine Vodkaflasche heraus und nahm einen kräftigen Schluck davon. Ich hatte mich getäuscht, ich kam mit meinem Leben nicht im Geringsten klar.
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Dark Secrets
Teen Fiction~ wohin du auch gehst, geh mit deinem Herzen ~ Bevor er etwas erwidern konnte, streckte ich ihm meine Hand entgegen. „Komm mit unter den Regen." Was passiert, wenn du dich Hals über Kopf in den besten Freund deines Bruders verliebst? Vanessa Schwa...