Kapitel 4

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Ungeduldig lief ich in der Lobby auf und ab, wohl wissend, dass mich die Dame am Empfangsbereich im Glauben dass ich es nicht bemerken würde, ständig aus den Augenwinkeln beobachtete. Mittlerweile war eine Stunde vergangen, seitdem mich Evans und Anderson hier herunter geschickt hatten und ich wurde langsam aber sicher nervös.
Die ersten paar Minuten konnte ich noch still und in Gedanken verloren auf einem der Sofas sitzen, aber mit jeder Sekunde die verstrich, wurde ich zunehmend unruhiger. Nach einer gefühlten Ewigkeit, bei der es sich in Wirklichkeit nur um eine viertel Stunde handelte, war ich dann aufgestanden und hatte begonnen meine Runden durch die Lobby zu laufen. Die Empfangsdame hatte mich ab diesem Moment nicht mehr aus den Augen gelassen. Es scheint ihr nicht ganz zu behagen, dass ich nicht auf dem Sofa sitzen geblieben war sondern ungeduldig im Raum auf und ab lief. Ich hatte ihr mehrmals ein freundliches Lächeln zugeworfen, in der Hoffnung sie würde daraufhin damit aufhören, mich ständig zu beobachten, jedoch half das überhaupt nichts. Es beschlich mich eher das Gefühl, dass sie sich dadurch nur noch unwohler fühlte und am liebsten wahrscheinlich die beiden Herren darum bitten würde, mich endlich abzuholen. Langsam aber sicher begann es mich aber auch schon zu nerven, dass sie mich in einer Tour anstarrte.
Kurz war ich dazu verleitet ihr einfach zu sagen, dass sie dieses Gestarre unterlassen sollte, jedoch besann ich mich eines besseren. Im Grunde genommen konnte man es der Frau nicht verübeln, dass sie mich nicht aus den Augen lassen wollte. Immerhin verschwanden und starben momentan mehrere Mitarbeiter der Tutorea Libertatem und da konnte ich doch nachvollziehen, dass man Fremden gegenüber misstrauisch war. Vor allem wenn sie sich in einem der Hauptquartiere der Organisation befanden und alleine in die Lobby geschickt wurden. Ich atmete also einmal tief durch und startete eine neue Runde um den Sitzbereich, weiter darüber nachdenkend wie die Wanzen in das Gebäude gekommen sein könnten.
Eine der Möglichkeiten war natürlich, dass sich Anderson und Evans täuschten und es sehr wohl einen Maulwurf gab. Wenn es dieser geschafft hatte, seine Wanzen in den Lüftungsschächten des Gebäudes zu verstecken, bevor die beiden damit begonnen hatten, ihre Mitarbeiter selber zu verwanzen, hätte er darüber Bescheid gewusst. Somit hätte er einfach für die Arbeitszeit sein Alibi als Agent der Tutorea Libertatem aufrecht erhalten und die Gespräche mit Ryan und seinen Leuten dann später, wenn er zuhause war oder wo auch immer, geführt und wäre somit nicht aufgefallen. Die Angreifer hätten so zudem die Möglichkeit schnell einzugreifen, wenn die Tarnung doch auffliegen würde und könnten den Maulwurf so entweder nur alibimäßig entführen oder schlussendlich selber töten, um kein Risiko einzugehen doch entdeckt zu werden.
Die andere Möglichkeit war dann, dass die Organisation die Lüftungsschächte von einer Firma die nicht mit ihnen in Verbindung steht warten lassen hatten und ihre Angreifer als Arbeiter getarnt sich so Zugang zum Gebäude verschaffen konnten. Über das Warten der Lüftung konnten sie dann die einzelnen Wanzen unauffällig installieren und hatten es nicht nötig, einen Maulwurf einzuschleusen. Noch leichter konnten sie eben wirklich nicht an interne Informationen kommen. Nur liefen sie hierbei Gefahr, dass man über Kameras die einzelnen Personen identifizieren konnte und sie dadurch ziemlich schnell aufflogen. 
Ich hoffte zugunsten der Tutorea Libertatem inständig, dass es sich um zweiteres handelte. Die Organisation hatte ohnehin schon so wenige Agents und es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis der nächste verschwand. Wenn sie nun auch noch einen Maulwurf in ihren Reihen hatten, waren sie insgesamt nur noch 10 aktiv arbeitende Leute, Stephen und Noah mitgezählt. Außerdem hätten sie somit durch einen Quartierwechsel die Chance, dass ihre Angreifer nicht mehr an die aktuellsten internen Informationen ran kamen und es dadurch auch schwerer hatten weitere Agents zu entführen. Für einen Maulwurf würde es zudem auch schwierig werden wieder in Verbindung mit Ryans Leuten zu treten, immerhin musste er erst neue Funkverbindungen aufbauen und sichere Orte für Gespräche finden. Früher oder später würde sich schon herausstellen, welche der beiden Vermutungen der Wahrheit entsprach.

Genervt stöhnte ich auf und warf ein weiteres Mal einen Blick auf die Uhr, welche hinter der Empfangsdame an der Wand hing. Mittlerweile war es 10:00 Uhr, ich war also weitere 15 Minuten unnötig in der Lobby auf und ab gerannt, darauf hoffend, dass Noah oder Stephen auftauchen würde, um mir zu sagen, was sie als nächstes geplant hatten. Nervös ließ ich die Fingerknöchel knacken und ging dabei auf eines der Sofas zu um mich zu setzen, da mich die Frau schon wieder mehr als nur skeptisch skeptisch anblickte und dabei nicht einmal versuchte unauffällig zu wirken. Als hätte ich nicht schon längst eine Bombe oder sonst was gezündet, wenn ich vor gehabt hätte, das Hauptquartier in die Luft zu jagen. Und kriminell oder gefährlich sah ich nun auch wieder nicht aus, als wie dass sie deswegen solche Angst vor mir haben müsste. Obwohl, wenn ich es mir so recht überlege, ich sah vor ein paar Monaten auch nicht danach aus und hatte trotzdem geklaut, also von dem her, war das kein wirklich gutes Argument.
Gerade als ich damit fertig war, die Schnürsenkel in meinen Schuhen so zu richten, dass sie gleich lang waren, ging einer der Aufzüge auf. Interessiert blickte ich in dessen Richtung und sah Noah aus dem Lift treten. Während er sich noch suchend umblickte, stand ich auf und ging einige Schritte auf ihn zu, davon ausgehend oder innig hoffend, dass er zu mir wollte. Es dauerte einen Moment bis er mich bemerkt hatte und er auch auf mich zu lief. „Miss Featherstone, würden Sie mich auf ein weiteres Gespräch nach oben begleiten?", fragte er mich sobald er vor mir stand, worauf ich als Antwort nur kurz nickte. Auf was genau glaubte der Mann, hatte ich hier die ganze Zeit gewartet? „Perfekt, vielen Dank!", erwiderte er, bevor er sich auch schon wieder umdrehte und zurück zu den Aufzügen schritt. Ich folgte ihm mit etwas Abstand und konnte nicht darüber hinweg, einen kurzen Seitenblick auf die Empfangsdame zu werfen. Sichtlich erleichtert warf sie mir nun ein Lächeln zu und widmete sich dann wieder mit voller Aufmerksamkeit ihrer Arbeit. Na jedenfalls eine die nun erleichtert weiter arbeiten konnte. 
Sobald sich die Lifttüren geschlossen hatten, begann Noah zu sprechen: „Wir haben jetzt vorerst alle Lüftungsschächte ab dem ersten Stock und dem Kellergeschoss durchsucht und wie wir glauben alle Wanzen entfernt. Um jene im Empfangsbereich kümmert sich gleich noch ein Kollege." Ich nickte kurz, bevor ich ihm eine Frage stellte: „ Was haben Sie jetzt vor? Wechseln Sie das Quartier oder riskieren Sie, dass Sie hier bleiben?" Evans schüttelte den Kopf und wartete bis sich die Türen öffneten und wir aus dem Lift getreten waren, bevor er antwortete: „Wir werden auf jedenfall das Quartier wechseln, natürlich aber den neuen Standpunkt auch nach Wanzen absuchen und vorerst Störsender aufstellen, bis wir sicher sein können, dass wir nicht mehr abgehört werden. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass ein anderes Quartier auch verwanzt ist, sollten wir trotzdem auf Nummer sicher gehen. Gerade, da wir nur noch so wenige sind und jede weitere Entführung zu verhindern ist!" Wieder nickte ich als Antwort, bevor ich mir überlegte was ich als nächstes fragen sollte: „Was genau kann ich jetzt für Sie tun? Im Grunde genommen haben Sie alles was ich weiß auch schon in der Akte stehen, die Sie angelegt haben." In dem Moment viel mir eine andere Frage ein, die mich die ganze Zeit schon beschäftigt hatte, seit ich die Akte in den Händen gehalten hatte. „Woher genau haben Sie überhaupt diese ganzen Informationen? Ich habe sie den Kingsman gegenüber nie so detailliert erwähnt." Ohne dass ich explizit ansprechen musste, welche Infos ich genau meinte, wusste Noah Bescheid. Kurz verzog er das Gesicht, ehe er die Tür zu seinem Büro öffnete und mich eintreten ließ. Sobald die Eingangstür wieder verschlossen war, sprach er weiter: „Wir haben sie mehr oder weniger zugesendet bekommen." Ich wollte mich gerade auf den Stuhl vor dem Schreibtisch setzen, als ich auch schon in der Bewegung inne hielt und den Mann mit hochgezogener Augenbraue anblickte. „Wie meinen Sie das?" Instinktiv machte sich in mir eine Abwehrhaltung breit und sofort beschlich mich das Gefühl, dass diese Männer vielleicht doch nur ein hinterlistiges Spiel mit mir spielten. Was soll ‚mehr oder weniger zugesendet' denn bitte bedeuten? 

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