Kapitel 19 - Alte Wunden

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PoV Manu

Gähnend rieb ich mir die Augen, die Sonne blendete mich. Ich hätte meine Jalousie gestern vielleicht doch ganz schließen sollen. Immernoch müde ertastete ich auf meinem Nachttisch mein Handy und schaltete es an. Ich hatte es aus gemacht bevor ich nach Hause gekommen war. Es war 10:46. Ich hatte ein paar Nachrichten und Anrufe von Michael und Maurice. Sie machten sich bestimmt Sorgen. Seufzend beschloss ich Dado zurück zu rufen. Sie sollten wissen dass es mir gut geht. Schon nach dem dritten Tuten ging er dran. "Manu? Geht es dir gut?" Ich lachte. "Jaja. Alles gut. Ich melde mich nur damit ihr euch keine Sorgen macht." "Warte, Micha und Palle sind auch da. Ich stelle dich eben auf laut. Wir frühstücken gerade bei Palle." Mist. Ich dachte er wäre schon gefahren. Klappte ja gut mit dem Kontaktabbruch. "Hi Manu. Wie geht's dir?" ertönte jetzt Zombeys Stimme. "Passt schon. Ich bin gestern Nacht direkt nach Hause gefahren." Ein erleichtertes Seufzen von Palle. Dann sagte auch er was. "Ähmm, du hast deine Maske vergessen und noch ein paar Klamotten bei mir. Soll ich dir die einfach schicken?" er klang nervös. Als hätte er Angst etwas falsches zu sagen. "Ja. Das wär gut." "Okay." Stille. Irgendwie war die ganze Situation gerade komisch. Vier Freunde von denen einer unglücklich in einen der anderen verliebt war und alle wussten es. Ob Palle wohl mit ihnen über mein Geständnis geredet hatte? Es war so leise dass ich das Ticken meiner Uhr an der Wand hören konnte. "Also, ich würde dann jetzt auflegen." meinte ich. "Sicher? Hat nicht noch irgendwer was zu sagen?" Ich wusste dass Dado Palle damit meinte, aber was hätte er denn noch zu mir zu sagen. Seiner Reaktion gestern war nichts mehr hinzuzufügen. "Ich denke nicht." sagte ich also, verabschiedete mich dann und legte auf. Tief atmete ich durch und schloss die Augen. Ich könnte schon wieder weinen. Warum musste ich auch zu dieser beschissen Party gehen. Ich hätte einfach hier bleiben sollen, dann hätte ich es ihm nicht gesagt und jetzt wäre alles gut, wir würden gemeinsam lachen, vielleicht etwas aufnehmen und sie würden mir von der Party erzählen, wie viel Spaß sie hatten. Würden Palle und ich überhaupt je wieder gemeinsame Aufnahmen haben oder überhaubt miteinander reden? Der Gedanke daran dass das vielleicht für immer vorbei sein könnte, versetzte mir einen Stich. Plötzlich machte sich Wut in mir breit. Wut und Hass, auf mich selbst. Und ein Verlangen überkam mich, von dem ich dachte es wäre längst besiegt. Ich wollte mich wieder ritzen. Es hatte in der Schule begonnen. Ich war gemobbt worden, jeden Tag hatten sie mich fertig gemacht, mir weh getan oder dumme Sprüche an den Kopf geworfen, meine Sachen weggenommen und kaputt gemacht. Und warum? Einfach weil ich anders als sie war. Ich war blass, regelrecht untergewichtig, schüchtern und introvertiert und dazu kam noch meine Homosexualität. Nie war ich wirklich offen damit umgegangen, hatte es nur einzelnen Personen denen ich vertraute erzählt aber es war trotzdem irgendwie durchgesickert. Dazu kam noch dass ich in meiner Jugend nicht so gut Zuhause klar kam. Meine Mutter war ständig überbesorgt um mich, wegen meinem Asthma und meiner ganzen Allergien und meinem Vater war ich ziemlich egal. Und irgendwie hatte mir dass ritzen geholfen, mich von meinen Problemen und Sorgen abgelenkt aber immer nur für ein paar Sekunden. Danach kam immer alles drei mal so schlimm wieder. Doch irgendwie machte es süchtig. Diese Sekunden der Unbeschwertheit. Der einzige mit dem ich reden konnte war mein Bruder Peter. Er war auch, bis vor kurzem, der einzige in meiner Familie der wusste dass ich schwul war. Nachdem ich aus der Schule und von Zuhause raus war und mit YouTube anfing, wurde es besser. Endlich hatte ich richtige Freunde mit denen ich ehrlich reden konnte und Spaß hatte. Bis Taddl mich dann fallen gelassen hatte. Da hatte ich einen Rückfall gehabt, und mich wieder geritzt. Bis ich dann Palle kennen gelernt und er mich aus meinem zweiten depressiven Loch rausgeholt hatte. Es war anfangs schwer für mich gewesen ihm zu vertrauen, doch es hatte sich gelohnt. Und nun war ich zurück an diesem Punkt, dachte schon wieder darüber nach. Ich hasste mein Herz. Hin und her gerissen stand ich da, mein Küchenmesser in der Hand, doch schließlich siegte mein Verlangen. Zögerlich nahm ich dass Messer und begann kleine Schnitte auf meinem Unterarm zu machen. Der Schmerz ließ mich alles vergessen, es war wie ein Rausch. Das dunkle rot meines Blutes bildete einen starken Kontrast zu meiner fast weißen Haut. Doch wie immer hielt das kurze Gefühl der Befriedigung nur kurz an und dann wurde ich heftiger denn je von meinen schlechten Gedanken und Gefühlen überollt. Dann fuhr die Erkentnis was ich hier eigentlich tat in mich rein. Scheiße ey. Ich hatte mir doch versprochen es nie wieder zu machen. Jetzt saß ich hier heulend und mit blutendem Arm auf dem Boden meiner Küche. Ich brauchte wen zum reden. Und zwar jetzt. Peter. Mein Bruder war immer für mich da gewesen. Also nahm ich mein Handy und rief ihn an. "Manu? Schön dass du dich mal wieder meldest. Wie geht's?" "Hi." schluchzte ich. Meine Stimme klang total verheult. "Oh Gott. Was ist passiert?" "Ich hab mich wieder verletzt." Immernoch liefen heiße Tränen über meine Wangen. "Scheiße ey. Was machst du denn für Sachen. Was ist passiert?" Also erzählte ich ihm die ganze Geschichte. Wie ich mich in Palle verliebt hatte, von unserem Treffen und schließlich der Party. "Und jetzt hasst er mich." endete ich meine Erzählung verzweifelt. "Der kriegt was von mir zu hören. Niemand tut meinem kleinen Bruder weh."  "Nein. Er kann ja nichts dafür dass er keine Gefühle für mich hat. Auch wenn es echt weh tut. Er sah regelrecht angeekelt aus. Was mach ich denn jetzt?" "Such dir einen Therapeuten, dabei kann ich dir auch gerne helfen. Und mach dir  klar dass das nicht deine Schuld ist und du nichts für deine Gefühle kannst, okay?" "Wenn du meinst. Therapie ist vielleichtwirklich keibe schlechte Idee."  "Und bitte hör mit dem ritzen auf. Willst du vielleicht dass ich dich in den nächsten Tagen besuchen komme und wir nochmal in Ruhe reden?" "Nein danke, das passt schon. Wie bringe ich denn den Zuschauern bei dass mit ihm jetzt erstmal keine Videos kommen?" "Damit werden die schon leben können. Du hast ja schon noch ein Privatleben. Und ich denke nicht dass du es ihnen erzählen willst, oder?" "Nein du hast Recht. Danke Peter."  "Sehr gerne. Ich bin immer für dich da wenn irgendwas ist. Aber wenn wir schonmal am reden sind, ich hab, auch wenn es vielleicht nicht zum Thema passt, ein paar Neuigkeiten."  "Was denn?" "Du wirst Onkel."  "Was?"  "Ja. Dani ist schwanger. Und wir werden heiraten." Dani war seine langjährige Freundin. Ich freute mich für die Beiden. "Wie cool ist dass denn. Herzlichen Glückwunsch." Nun lächelte ich das erste Mal an diesem Tag. Das waren echt tolle Neuigkeiten. "Danke." "Wie geht es Dani denn? Und in welchem Monat ist sie?" "Ihr gehts gut, Sie schlägt sich echt tapfer. Gestern hat der zweite Monat angefangen." "Das klingt gut. Freut mich dass alles glatt läuft. Und wann soll die Hochzeit sein?" "Im Februar nächstes Jahr." "Ich freu mich echt für euch."  "Danke Manu. Du, so leid es mir tut, ich muss jetzt Schluss machen. Wenn du nochmal reden willst oder doch möchtest dass ich vorbei komme dann melde dich einfach."  "Alles klar. Danke dir. Mir geht es jetzt echt ein bisschen besser." "Sehr schön. Also, mach es gut und pass auf dich auf." "Du auch. Bis dann." Und schon hatte er aufgelegt und ich war wieder alleine mit meinen Gedanken. Ich schloss meine Augen, lehnte mich an einen Küchenschrank und atmete tief durch. Irgendwie würde ich das schaffen. Hoffentlich. Ich vermisste Palle jetzt schon. Ich brauchte irgendwas zu tun um mich abzulenken. Ich würde meine Wohnung aufräumen und putzen, dass war eh mal wieder nötig. Dann würde ich was kochen und ein vorproduziertes Video hochladen. Zwei Stunden später war meine Wohnung aufgeräumt und blitzsauber und ich stand am Herd und bereitete mir ein spätes Mittagessen zu. Musik lief, und der Geruch von Essen lag in der Luft. Ich hatte eine asiatische Nudelsuppe gemacht. Als sie fertig war begab ich mich damit in mein Arbeitszimmer an meinen Computer und lud ein vorproduziertes und schon geschnittenes Video hoch. Morgen müsste ich wieder etwas aufnehmen. Ich hatte kaum mehr vorproduziertes Material. Irgendwie fehlte mir gerade auch einfach die Kraft und Motivation für mehr. Also machte ich mir noch eine heiße Honigmilch und begab mich auf meine Couch. Das hatte ich als Kind oft vor dem Einschlafen getrunken und es hatte irgendwie eine beruhigende Wirkung auf mich. Ich schaltete Netflix an und startete "Sex-Education" eine lustige Serie die ich vor kurzem angefangen hatte. Zu mehr war ich heute nicht nicht im Stande. Morgen würde ich mit Zombey und Maudado aufnehmen und ich müsste mal wieder einkaufen gehen. Nachdem ich fertig gegessen hatte stellte ich meinen Teller weg und kuschelte mich tiefer in meine Sofadecke. Und obwohl es erst 18:26 war fielen mir langsam die Augen zu und ich schlief schließlich ein. Letzte Nacht musste ich echt viel zu wenig Schlaf bekommen haben.

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Taking dark turnes...

Trust and Treason [Kürbistumor/Zomdado]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt