Lene
Ein einfacher, noch nicht einmal lauter Knall und plötzlich stand mein ganzer Körper in Alarmbereitschaft. Herr Friedrich war der Ordner zu Boden gefallen. Es war totenstill im Klassenraum, alle starrten mich an. Hatte ich etwa geschrien?„Entschuldigung", murmelte ich und setzte mich, beschämt auf meine Fußspitzen blickend wieder auf den Stuhl, den ich vor Schreck beinahe umgeworfen hatte.
„Alles gut Lene?", fragte meine Sitznachbarin besorgt und ich nickte stumm. Nein, es war absolut nichts gut. Ich schluckte schwer und versuchte mich wieder auf den Erdkundeunterricht zu konzentrieren. Leider fiel mir das unglaublich schwer.
Meine Hände zitterten stark und in dem Versuch sie ruhig zu stellen faltete ich sie ineinander.Nur verschwommen nahm ich Herr Friedrichs zweifelhafte Skizze Äthiopiens an der Tafel wahr und rief mir ins Gedächtnis, in Sicherheit zu sein.
Sicherheit. Ein mächtiges Wort.
Unter dem Tisch knetete ich verunsichert meine Finger und versuchte die Bilder zu unterdrücken die mich an- Nein!
Entschlossen presste ich meine Augen zusammen. Kontrolle, Lene!
„Lene?!"
Herr Friedrichs Stimme riss mich aus meinen Gedanken und holte mich abrupt in die Wirklichkeit zurück. Schnell scannte ich das Tafelbild und kramte in meinen Erinnerungen nach einer möglichst unverfänglichen Antwort die meinem Erdkundelehrer nicht den Eindruck geben würde, ich hätte in seinem Unterricht geträumt.
Mit wenig Erfolg. Mein Stottern reichte völlig aus um den Geographen aus der Ruhe zu bringen. Sicherlich würde er uns am Ende der Stunde einen gigantischen Haufen Hausaufgaben erteilen. Ich seufzte innerlich. Der Tag fing ja gut an.
Frustriert blickte ich aus dem Fenster und wünschte mir beim Anblick des bunten Herbstlaubes der Bäume auf dem Schulgelände nichts sehnlicher als einen langen Waldspaziergang. Einfach die Ruhe genießen und die Gedanken schweifen lassen.Erneut schloss ich die Augen und sah förmlich den goldenen Waldboden sich vor mir ausbreiten. Die angenehm kühle Luft streichelte sanft mein rostbraunes Haar und dem ziehen meines Cockerspaniels Alien an der Leine zufolge, genoss er den Spaziergang genauso wie ich. In meinem Tagtraum liefen wir stundenlang über den weichen Boden , frei von allen Sorgen und Problemen. Wir sagen sogar ein paar Rehe an einer vom Förster ausgelegten Futterstelle, die rabiat von meinem Hund vertrieben wurden. Ich schmunzelte bei dem Gedanken.
Doch die wortwörtlich traumhafte Stimmung wurde jeh beendet. Ich kann nicht beschreiben was es war, doch es fühlte sich beinahe an wie ein Schatten, der sich plötzlich über die idyllische Szene legte. Alien bellte und ich spürte ein Gefühl von Unruhe in mir. Etwas stimmte hier nicht. Dann eine dunkle Vorahnung. Konnte das sein? In meinem Tagtraum? Ich blickte mich nach allen Seiten suchend um. Zwischen den Bäumen, waren das Menschen? Schemenhafte Gestalten die sich langsam auf mich zu bewegten und mir mit jedem ihrer Schritte Angst einjagten? Sie kamen näher, streckten ihre Hände nach mir aus. Was waren das für Kreaturen? Alien bellte immer aufgeregter. Ich konnte ihn kaum noch halten. Von Panik erfüllt begann ich zu rennen, wohl wissend, dass ich den Kreaturen nicht entkommen konnte. Noch ein letztes Aufbäumen, ein letzter Aufschrei...
„LENE?!"
Entsetzt riss ich die Augen auf. Die ganze Aufmerksamkeit lag uneingeschränkt bei mir. Spätestens jetzt hatte ich tatsächlich geschrien. Die Anspannung im Klassensaal war greifbar. Mir stockte der Atem. Jede Sekunde würde Herr Friedrich ein Donnerwetter loslassen und das würde nicht gut für mich enden.
„Mir ist nicht gut", würgte ich hastig hervor, stopfte in windeseile mein Buch in den Rucksack und beeilte mich den Saal zu verlassen.
„Toll gemacht Lene, wirklich ganz toll", murmelte ich als die Tür hinter mir ins Schloss fiel.Ich sprintete los in der Hoffnung den Bus noch rechtzeitig zu erreichen doch bei meinem Glück, war dieser längst abgefahren sobald ich an der Haltestelle eintraf. Und ich sollte Recht behalten. Dieser blöde Bus fuhr doch tatsächlich einmal pünktlich los, vollbesetzt mit allen möglichen Kindern und Jugendlichen von der Unterstufe bis zu den oberen Klassen. Nur eben ohne mich. Erschöpft ließ ich mich auf eine Bank sinken und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Eine starke Windböe zerzauste meine Haare und ihre Kälte drang tief in meinen Knochen ein. Ich fröstelte. Mein helles Shirt mit dem zartblauen Blouson waren definitiv ungeeignet für das Wetter.
In Gedanken verfasste ich eine Notiz an mich selbst, mich die nächsten Tage mit einer Jacke auszustatten.Frierend und gelangweilt verbrachte ich die nächste halbe Stunde auf der Bank. Blödes Kaff. Der eintreffende Bus löste regelrecht Glücksgefühle bei mir aus, als er um die Ecke fuhr und vor meiner Nase zum stehen kam.
Ich suchte mir einen gemütlichen Platz weit hinten am Fenster und beobachtete die an mir vorüberziehende Landschaft. Alles hier war mir so bekannt. In dieser dörflichen Gegend kennen sich auch die Menschen untereinander, was natürlich zu viel Tratsch führt. Einer der Gründe warum sich manche Leute hier überhaupt nicht wohl fühlen. Ich allerdings schätzte schon immer die Atmosphäre von Geborgenheit und das Wissen, hier ein richtiges Zuhause zu haben.
In meinem Heimatdorf angekommen erkannte ich am vorüberfahren eine alte Nachbarin, die sich mit unserem Bäcker unterhielt. Der Gedanke, sie könnte sich womöglich erneut über den von ihm ausgehenden Lärm zur frühen Stunde beschweren, entlockte mir ein leises Glucksen.
Doch das Lachen blieb mir im Hals stecken, als ich zwischen zwei beieinander stehenden Häusern eine schwarze Gestalt wahrnahm. Sie ähnelte stark der Figur aus meinem Tagtraum. Zu schnell zog der Bus vorüber um irgendwelche Details auszumachen. Ich sprintete nach vorne und drückte schnell den roten Knopf um eine Haltestelle früher auszusteigen. Der Busfahrer gewährte mir diesen Wunsch und kurze Zeit später stand ich auf dem Bürgersteig neben einer stark befahrenen Hauptstraße. Sofort rannte ich den Weg zurück, hoffte die Gestalt stünde noch an Ort und Stelle.
Außer Atem erreichte ich die beiden Häuser, doch von dem Schatten weit und breit keine Spur. Ärgerlich kickte ich einen kleinen Stein vor mir zur Seite und begann die Parallelstraßen abzusuchen, erfolglos
Wahrscheinlich hatte ich mir das sowieso nur eingebildet. Was dachte ich mir dabei einem Schatten aus meinem Tagtraum hinterher zu jagen? Das Beste wäre es wohl für alle, ich würde mich in mein Bett legen und den Rest des Tages dort bleiben. Nicht auszumalen was ich wohl noch alles entdecken würde, wenn ich hier weiter herumlungerte. Im Geiste gab ich mir einen leichten Schlag gegen die Stirn und bewegte mich nach Hause. Das war einfach nicht mein Tag.
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Hey, da bin ich wieder😸Nun kennt ihr also die beiden Hauptpersonen der Geschichte. Ich hoffe sie sind euch sympathisch. Naja, der eine vielleicht mehr als der andere...😹
Ab der nächsten Woche habe ich sicherlich noch mehr Zeit zum schreiben, dann werden die Kapitel auch etwas länger. Ich freue mich schon total🌈💕.
Peace out, eure Kira
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When Worlds Collide
RomanceAls Randi seine Heimat verlässt um bei seinem Bruder in Deutschland ganz neu anzufangen, trifft er auf die schüchterne Lene. Für Randi scheint sie ziemlich langweilig zu sein, bis er von ihrem dunklen Geheimnis erfährt. Bald stellen die beiden fest...