Eine Prise Wahrheit

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Lene
Missmutig stellte ich meinen Rucksack im Eingang ab, ignorierte meinen Vater, der mir entgegen kam und lieber zu Boden blickte als in meine Augen und stapfte in mein Zimmer.
Oben angekommen ließ ich mich rücklings auf mein Bett fallen. Ich versuchte ruhig zu atmen, alles auszublenden, doch wieder und wieder sag ich Randis fieses Gesicht vor mir das mich so blöd angrinste. Wie ich ihn hasste.
Er war das klassische Bild eines Mannes: Macho, Frauenheld, arrogant und snobistisch. Ich rollte mich auf meinen Bauch. Am liebsten hätte ich ihm nach der Aktion im Bus die Kehle aufgeschlitzt, doch leider war ich nicht schnell genug herausgekommen. Das gibt Rache. Niemand konnte mir das Leben so zur Hölle machen, naja außer Pascal, doch der war nochmal ein anderes Kaliber. Wütend schlug ich auf mein Kissen. Würde das bis zum Abi so weitergehen? Pascal, Randi, Dad... alle Männer in ihrem Umkreis begannen anscheinend zu spinnen.

Es kratzte leise an der Tür. Ein winseln, welches vorsichtig um Einlass zu bitten schien erklang. Ich schwang die Beine aus dem Bett und öffnete. Wie erwartet trippelte Alien herein. Mein kleiner Freund hatte ein Gespühr dafür, wenn es mir schlecht ging. Zaghaft wedelte er mit dem Schwanz.
„Nein, Alien", seufzte ich resigniert und beugte mich herab um sein lockiges Fell zu streicheln. „Heute ist einfach nichts in Ordnung"
Alien wuffte leise. Mein Groll war verpufft. Stattdessen machte sich eine trübe Stimmung in mir breit. Wie sollte ich es mit drei Typen aufnehmen, deren einziges Ziel es war, mir mein Leben so schwer wie möglich zu gestalten?

Ich stellte mich ans Fenster. Die Sonne schien so schön. Der Wald war in Gold gehüllt und glänzte wie ein gigantisches Schmuckstück. Zu meinen Füßen saß mein Hund und sprang verzweifelt an der Heizung hoch, um auch einen Blick nach draußen erhaschen zu können. Nun musste ich doch unwillkürlich schmunzeln. Schnell nahm ich ihn auf meine Arme und drückte meine Nase an sein Fell. Zwar roch er nicht unbedingt gut, vielleicht ein wenig nass und muffig, doch sein Geruch vermittelte mir ein Gefühl von zu Hause. Nicht die Art von zu Hause mit meinem Vater, dieser scheinheiligen Koexistenz, die eine kleine Familie mit schönem Haus und Garten der Außenwelt vorgaukelt, sondern echte Vertrautheit. In dieser ganzen zerrütteten Welt war Alien mein einziger Halt. Ungebremst bahnten sich meine Tränen ihren Weg in sein Fell. Ich schluchzte. Das war einfach alles zu viel! Kein Mensch ist so standhaft, es mit so vielen Menschen aufzunehmen. Niemandem konnte man vertrauen, schon gar nicht als Lene Höst. Für mein Leben brauchte man schon ein paar Spezialisten!

Die folgenden Tränen schluckte ich einfach runter. Keine Zeit für Selbstmitleid, entschied ich und setzte Alien unter lautem Protestgebell wieder auf den Boden. Vom Erdgeschoss schnappte ich mir meine Schultasche, sprintete wieder hoch in mein Zimmer und nahm an meinem Schreibtisch platz. Entschlossen straffte ich meinen strengen Zopf, kramte meinen Laptop hervor und schaltete ihn an. Sofort erhellte sich der Bildschirm und ich dehnte in freudiger Erwartung. „Mal sehen was du so zu bieten hast, Randi", flüsterte ich. Alien legte den Kopf schief. Ich patschte auf meine Schenkel und er sprang folgsam auf meinen Schoß. Ich fühlte mich wie ein raffinierter Superschurke, der eine weiße fluffige Katze streichelt, während er seine bösen Plane schmiedet. Allerdings war ich nicht der Böse, ich vertrat die Gerechtigkeit, das Gute!

Es klopfte leise an der Tür. Ich hätte es beinahe überhört, hätte Alien nicht geknurrt. Erschrocken drehte ich mich zur Tür. „Herein!", rief ich. Der blasse Kopf meines Vaters schob sich in mein Zimmer. Er wagte noch immer nicht, mir in die Augen zu sehen.

„Können wir reden?", nuschelte er, während er den Boden taxierte. Sein Anblick versetzte mir einen Stich in der Brust. Seine Attacke hatte ich natürlich nicht vergesen. „Jetzt nicht", flüsterte ich und wandte mich wieder meinem Laptop zu. Der Zeitpunkt zu reden war noch nicht gekommen.
„Bitte, Lene! Ich muss mit dir reden", war alles was er noch hervorbrachte. Was wollte er mir denn erzählen? Dass das alles ein Versehen war? Es käme nie wieder vor?
Ein Teil in mir wollte ihm das unbedingt glauben. Der andere- der vernünftige Teil- wusste, dass es weitaus mehr brauchte als eine Entschuldigung. Seit Mama fort gegangen war, hatte sich hier zu viel verändert. Mein Vater brauchte Einsichtigkeit. Es wäre das Beste für uns alle, wenn er sich Hilfe in einer Therapie suchen würde.
Doch es hatte keinen Sinn. Mein Vater war einfach zu stolz.
„Bitte geh", sagte ich so sanft, aber bestimmt wie nur möglich und schloss die Augen.
Ein Seufzer, ein unsicheres Kratzen am Kinn, dann fiel die Tür ins Schloss und die Schritte entfernten sich, wurden immer leiser. Ich öffnete die Augen wieder. Ein dicker Kloß saß in meinem Hals und ich schluckte schwer.
Mensch Papa, dachte ich und zupfte nachdenklich einen Fussel von meinem Pullover. Er segelte zu Boden und Alien sah ihm interessiert dabei zu. Ich würde mir nichts sehlicher Wünschen, als dass mein Vater die Hilfe bekam, die er so dringend benötigte.

Konzentration, rief ich mich zurück aus der Gedankenwelt. Das Problem mit meinem Vater könnte ich vorerst nicht lösen, doch das Randiproblem schon eher. Der Laptop war während dem kurzen Gespräch hochgefahren und brummte stur vor sich hin. Daneben legte ich Block und Stift und begann mit meiner Recherche. Wenn Randis Eltern so einflussreiche Geschäftsleute waren, gab es bestimmt einiges über meinen Feind zu erfahren. Mal sehen welche dunklen Geheimnisse seine Familie zu verbergen hatte. Ein Alkoholproblem? Insolvenz? Aufgeregt leckte ich mir über die Lippen. Facebook, Instagram, Telefonbuch. Ich machte vor nichts halt. Selbst die Seiten argentinischer Schulen versuchte ich mit meinem eingerosteten Spanisch zu übersetzen.
Langsam brach die Nacht herein, doch ich wollte noch nicht aufgeben. Immer voller wurde das erste Blatt, dann das zweite. Instagram zeigte sich als besonders informativ. Mit jedem neuen Detail wurde ich euphorischer. Was ich fand, war definitiv tauglich für einen Racheakt.

Es war kurz vor Mitternacht, als ich endlich meinen Laptop schloss. Alien lag schon schlafend am Fußende meines Bettes und schnachte. Ich sah noch eine Weile aus dem Fenster in die Dunkelheit. Das Entsetzen, welches sich beim Lesen immer mehr in mir ausgebreitet hatte, schmälerte sich in jeder vergehenden Sekunde.

„Jetzt hab ich dich, Randi Romero", hauchte ich. Ein breites, boshaftes Grinsen zeichnete sich in meinem Gesicht. Ich fühlte nichts weiter als Glück. Mit all diesen Informationen konnte ich mit Sicherheit einen Bösewicht in seine Schranken weisen.

Vor lauter Freude drehte ich mich auf dem Schreibtischstuhl, bis mir speiübel wurde. Am liebsten hätte ich laut gejubelt. Keiner legt sich mit mir an!
Beschwingt ließ ich den Rollo herunter, zog mir ein bequemes Nachthemd an und kuschelte mich unter die Bettdecke. Alien war schläfrig aufgestanden und hatte sich neben mich gelegt. Bevor ich das Licht ausmachte, checkte ich noch einmal kurz mein Handy. Zwei neue Nachrichten.
Mit Lichtgeschwindigkeit tippte ich meinen Code ein. Ich strotzte so sehr vor positiver Energie, dass mir nicht in den Sinn kam, es könnte wieder eine bedrohliche Nachricht sein.

Ich öffnete Whatsapp und erstarrte augenblicklich. Meine gute Laune war vorüber.

Angst im Dunkeln? Nein? Solltest du aber!

Angst im Dunkeln? Was hatte Pascal jetzt schon wieder vor? Irritiert entdeckte ich ein beigefügtes Video. Es zeigte einen dunklen Raum, in dem es nur so von allerhand gruseligen Geschöpfen wimmelte: Geister, Spinnen, Schlangen, das ganze Sortiment.

Was war das denn für eine Aktion? Als ob mich solche billigen Videos schockierten. Das war gar nicht Pascals Art! Seine Drohungen waren ernster und mit Videos über Spinnen gab er sich garnicht erst ab. Das war zu kindisch, zu harmlos.
Eine vierte Bedrohung? Wer könnte mir denn jetzt noch mein Leben schwer machen wollen?
Sollte ich mir Sorgen machen? Vermutlich schon!
Erschöpft machte ich das Handy aus.
Na super, dachte ich. Ein Bedrohung erledigt und sofort kommt eine neue hinzu!

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