Lene
Unruhig ging ich in meinem Zimmer auf und ab, wobei ich immer wieder einen Blick auf die Uhr warf. Der Zeiger schien sich kaum vorwärts zu bewegen, die Zeit stand beinahe still.
In meinen Ohren konnte ich vor lauter Anspannung das Rauschen meines Bluts wahrnehmen, ein unangenehmes Geräusch. Platz für Gedankenchaos war da absolut nicht.Es war Donnerstag am späten Nachmittag. Vor wenigen Minuten war Randi nochmal kurz vorbei gekommen um nach mir zu sehen. In seinen Augen hatte ich große Besorgnis ablesen können. Ob diese auch wirklich mir galt?
Herrgott, selbstverständlich galt sie mir. Ich konnte mir das Ganze zwar nicht wirklich begreifen, doch Randi schien mich tatsächlich aufrichtig zu mögen.
Doch bisher war ich mir nicht sicher ob ich diesem „mögen" noch weiter auf den Grund gehen konnte. Was würde heute Abend mit mir passieren? Würde Pascal überhaupt auftauchen oder hatte er sich einen abscheulichen Scherz mit mir erlaubt?Nervös fummelte ich am Haargummi herum, welches vor wenigen Minuten noch meinen strengen Zopf gehalten hatte. Randi hatte mich ermahnt, die letzten Stunden vor meiner Abfahrt genau durchzuplanen. Er wollte genau so wenig wie ich etwas dem Zufall zu überlassen. Meine Klamotten für den heutigen Abend lagen bereit, ein schlichtes weißes Hemd und eine dunkle Jeans, sowie eine gepackte Tasche, die neben Geldbörse und Hausschlüssel auch ein Pfefferspray beinhaltete. Außerdem lag ebenfalls das ungeliebte Collier dabei. Zwar lief mir ein eisiger Schauer über den Rücken wenn ich daran dachte, ein Geschenk von Pascal tragen zu müssen, doch am heutigen Treffen wollte ich ihn lieber nicht verärgern.
19 Uhr. Noch eine Stunde. Das Haargummi riss zwischen meinen Fingern. Nach einer schwachen Handbewegung segelte es durch den Raum und landete links neben dem Mülleimer auf dem Boden. Ich stand nicht auf um es ordentlich wegzuwerfen. Ich starrte es einfach nur an.
Der Plan war ganz einfach: ich würde in einer halben Stunde zur Bushaltestelle laufen, in die Stadt fahren und mir im indischen Restaurant Pascals Forderungen anhören, oder was auch immer sein Anliegen war. Randi hatte sich Diegos Wagen ausgeliehen... mehr oder weniger legal, aber darum wollte ich mich nicht auch noch kümmern. Mit dem Auto stand er nahe dem Eingang des Restaurants und war bereit einzugreifen, sollte erwas passieren.
Wenn alles klappte, konnte ich nach dem Essen frei sein und Pascal endlich hinter mir lassen.
Hoffentlich.Nüchtern betrachtet, konnte garnichts schief gehen. Ich hatte sogar für meinen Vater und Alien gesorgt: „Zufällig" hatte mein Vater einen alten Arbeitskollegen in der Stadt getroffen, mit dem er heute ein Bier trinken war. Er würde mit Sicherheit erst morgen zurückkehren, nachdem er seinen Rausch ausgeschlafen hatte.
Alien war bei Randis Bruder. Anscheinend waren er und seine Lebensgefährtin besonders tierlieb, zumindest laut Randis Erklärung.Vor lauter Nervosität schwitzte ich wie verrückt. Im Badezimmer klatschte ich mir erstmal eine Ladung kaltes Wasser ins Gesicht. Es half, kühlte aber nicht meine hitzigen Gedanken. Randis Auftrag lautete, die Polizei nur im absoluten Notfall einzuschalten. Immerhin gab es keinen Grund die Pferde scheu zu machen. Wenn sich das mit Pascal erledigt hatte, sollte mein Vater nicht nach unnötigem Stress eine neue Therapie anfangen. Es war besser ihn da rauszuhalten. Also, keine Polizei!
Als ich zurück in mein Zimmer kam, verdeutlichte ein Blick auf die Uhr, dass ich mich beeilen musste. Ich zog mich um, vergewisserte mich alle nötigen Waffen bei mir zu haben (ein Deo und ein Feuerzeug wanderten zusätzlich in meine Tasche), griff nach meinem Handy und verließ das Haus. Kühle Abendluft schlug mir entgegen und der Wind trieb mir Tränen in die Augen. Es war bereits ziemlich dunkel, bis auf kleine Lichter, die die Auffahrt beleuchteten. Ein dumpfes Klicken als ich die Tür schloss, dann war alles wieder still. Nur das Rauschen des Waldes klang zu mir herüber.
Wieso, wieso nur klang das wie ein Abschiedsgruß?
Der Kies knirschte unter meinen Schuhen, den ganzen Weg hinunter bis zur Straße. Ich schluckte bittere Tränen hinunter und zwang mich ruhig zu bleiben. Randi war bei mir, diesmal war ich nicht alleine. Ich hatte es schonmal geschafft. Niemand konnte mich aufhalten.
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When Worlds Collide
RomanceAls Randi seine Heimat verlässt um bei seinem Bruder in Deutschland ganz neu anzufangen, trifft er auf die schüchterne Lene. Für Randi scheint sie ziemlich langweilig zu sein, bis er von ihrem dunklen Geheimnis erfährt. Bald stellen die beiden fest...