Chapter 1 ✔️

11.3K 300 29
                                    

Wie jeden Morgen schlage ich meine Augen auf und was sehe ich? Nichts. Ja, so ist nun mal mein Leben. Jeden Tag sehe ich nichts. Denn so wurde ich geboren - blind.

Damon, mein Bruder, hat mir eines Tages erklärt wie die Farbe Schwarz aussieht. Er meinte die Farbe Schwarz ist das, was ich jeden Tag sehe. Ob ich die Augen offen habe oder nicht macht da keinen großen Unterschied.

Okay, ich schweife ab. Zurück in die Realität.

Die Decke schiebe ich zur Seite und schwinge meine Beine über die Bettkante. Vorsichtig stehe ich von meinem Boxspringbett auf und laufe 6 Schritte gerade aus. Dann drehe ich mich nach rechts und gehe weitere 4 Schritte. Vorsichtig strecke ich meine Hand aus, um die Türklinke zu finden. Diese drücke ich runter und bewege mich durch die Tür.

Früher war all das nicht so einfach. Ich hatte große Probleme damit herauszufinden, wo was ist. Da mussten mir immer meine Eltern, Damon oder Ryder, mein anderer Bruder, helfen. Sie hatten mich immer zum Badezimmer begleitet, mir erklärt, wo was ist und so weiter. Einfach gesagt: es war nicht leicht für uns alle.

Mitten im Badezimmer streiche ich mit meinem kalten Finger über die Regale, um die Schriftzeichen von der Blindenschrift wiederzufinden, welche extra für mich eingebaut worden sind. Damit finde ich dann meine Sachen immer wieder, falls ich mich kurz nicht Orientieren kann.

Fertig mit meiner täglichen Routine gehe ich aus dem Badezimmer heraus und dann in Richtung des Flures. Dort angekommen halte ich mich am Treppengeländer fest.

Genau 14 Stufen gehe ich herunter und ich laufe den Flur links entlang zur Küche. Dort erkenne ich dann auch schon zwei Auren.

Jede Aura die ich sehe leuchtet in einer hellen Farbe. Wenn mir diese Personen bekannt ist, kann ich die Auren der dazugehörenden Person zuordnen. Man kann sich es einfach so vorstellen, als seien auf einmal auf dem schwarzen Blatt Papier zwei hellleuchtende Figuren aufgetaucht. So sehe ich größtenteils meine ganze Welt: bestehend aus einem schwarzen Hintergrund mit hellleuchtenden Figuren.

"Oh, guten Morgen Schatz. Das Essen steht an deinem Platz auf dem Tisch. Ich hoffe zwei Brote mit Avocado sind genug", begrüßt meine Mutter mich. Langsam laufe ich auf die zweite hellleuchtende Figur, Mr. Mark, zu. Er ist mein Privatlehrer, da ich aufgrund meines Problems nicht zur High School gehen kann, wie Damon und Ryder. Die beiden beneiden mich immer, dafür das ich nicht früh morgens Aufstehen muss. Doch wenn ich ehrlich bin würde ich lieber zur High School gehen als nur ständig zu Hause mit Mr. Mark zu sein.

Dad ist mal wieder im Alpha-Haus, da wo die Familie vom Chef - dem Alpha - wohnen. Er ist dort oft, weil er die rechte Hand und der Berater des Alphas ist. Deshalb ist meine Familie eine Beta-Familie, was als zweithöchster Rang gilt.

"Guten Morgen Miss Evans, wie geht es Ihnen?", fragt mein Hauslehrer mich wie an jedem Morgen. Während er mich es fragt schaut er bestimmt über den Rand seiner Zeitung, die er beim Frühstück immer liest. Woher ich das weiß? Nun ja, jedes Mal, wenn er umblättert oder sie einmal schüttelt, raschelt es.

"Mir geht es wie immer, Mr. Mark", antworte ich ihm kühl und keine Minute später herrscht wieder komplette Stille. Vorsichtig taste ich nach dem vor mir stehenden Stuhl und ziehe ihn ein wenig nach hinten, sodass ich mich auf die Sitzfläche setzen kann.

Genüsslich beiße ich in mein Sandwich und lasse mir dabei absichtlich Zeit, denn auf Unterricht habe ich momentan nicht wirklich, da Mr. Mark so schrecklich nervtötend ist und immer schrecklich übertriebene Förmlichkeiten benutzt.

Mr. Mark ist 55 Jahre alt und seinen Beschreibungen nach hat er blonde, lockige Haare und grüne Augen. Leider kann ich mir all das nicht so gut vorstellen. Wie denn auch? Damals, als ich ihn gefragt hatte, was denn grün, blond und lockig bedeuten, war ich gerade erst acht Jahre alt. Seine großartige Antwort lautete: „Grün ist die Farbe des Rasens im Garten, blond ist das Gleiche wie gelb, wie die Sonne, und lockig ist das, was meine Haare sind." Das alles dann auch noch in einer Baby-Sprache. Tja, seitdem hat er bei mir verkackt.

Endlich habe ich mein Brot auf. Normalerweise bin ich relativ schnell, zu mindest nach meinem Zeitgefühl. Doch jedes mal, wenn ich nach dem Frühstück Unterricht mit Mr. Mark habe, brauche ich immer extra lange.

"Wie ich sehe, sind Sie fertig, Miss Evans. Dann können wir ja mit ihrem Unterricht beginnen", spricht er begeistert vor sich hin. "Mhm, können wir", murmle ich bloß, "total" motiviert. Schon höre ich das Zurückschieben eines Stuhls, dann Schritte, die sich entfernen. Ich stehe ebenfalls auf, gehe achtsam zu meiner Mutter, drücke ihr einen Kuss auf die Wange und laufe anschließend Richtung des Zimmers, wo der Unterricht stattfindet. Eigentlich ist es nur ein Raum mit einem Schrank, einem Tisch, und ein paar Stühlen, erklärte mir mal Mr. Mark. Relativ kahl denke ich, aber wofür brauchen wir auch viele noble Möbel, wenn ich sie eh nicht sehen kann?

Wie immer setze ich mich gegenüber von Mr. Mark an den Tisch und er beginnt sofort mit dem Unterricht. "Wir fangen dann erstmal mit Mathe an", schlägt er stolz vor und klatscht in die Hände. Kurz darauf höre ich das vertraute Klappern der einzelnen Metallschilder. Diese sind mit Punkten von der Brailleschrift geprägt worden. Jetzt hält er mir einzelne Schilder hin, um mir so Mathe Aufgaben zu stellen.

So geht es ganze 30 Minuten lang weiter, bis wir zum nächsten Fach übergehen. Deutsch. In diesem Fach versucht er mir neue Wörter, die ich noch nicht kenne, beizubringen und zu erklären.

Pünktlich um 14:30 Uhr sagt Mr. Mark wie immer: "So, jetzt aber Schluss. Es ist halb drei. " Genau 10 Minuten später treffen meine Brüder zu Hause ein. Kaum habe ich zu Ende gedacht, höre ich die Eingangstür aufgehen und dann die vertraute Stimme von Ryder.

"Wir sind wieder da!", schreit er durch das ganze Haus. Sofort stehe ich begeistert auf, schiebe meinen Stuhl unter den Tisch und laufe los. Dabei stoße ich gegen ein Regal. Shit, tut das weh. Doch nichts hindert mich daran, hier raus zu kommen. Wieder motivierter laufe ich los, doch diesmal vorsichtiger. Hinter mir höre ich Mr. Mark aufseufzen. "Ach, wäre sie doch nur immer so begeistert, wenn wir mit dem Unterricht beginnen", murmelt er vor sich hin. Wenigstens hat er bemerkt, dass ich null Bock auf seinen Unterricht habe.

Plötzlich schlingen sich 4 Arme um mich und ziehen mich in eine feste Umarmung. Huch, war ich etwa so in Gedanken vertieft, dass ich Damon und Ryder gar nicht bemerkt habe? Anscheinend ja.

"Hey mein kleiner Mondschein, warum so in Gedanken? Wie war dein Tag?", fragt mich Damon, der Ältere von den Zwillingen. "Ich habe nur über etwas nachgedacht. Der Unterricht war eigentlich wie immer", antworte ich ihm gelangweilt. "High School ist nicht viel besser als Privatunterricht. Ich meine, du bekommst ja nicht einmal Hausaufgaben und so", schmollt Ryder und zieht bestimmt eine Schnute.

Leicht löse ich meine rechte Hand von all den anderen Hände und taste Ryders Gesicht ab. Ja, in der Tat. Er zieht eine Schnute. Keine Sekunde später muss ich losprusten, wobei Damon sich mir anschließt. Tja, ein Leben mit Brüdern wird nie langweilig.

Beleidigt geht Ryders Aura in die Küche um sich wahrscheinlich etwas zu essen zu besorgen. Zumindest hört es sich so an, als würde die Kühlschranktür auf- und wieder zu gehen. Langsam beruhigen Damon und ich uns wieder von unserem Lachanfall und laufen ins Wohnzimmer. Oder eher gesagt läuft er und trägt mich dabei in seinen Armen. Wir setzen uns auf das Sofa und sinken in die weichen Kissen. Damon legt seinen rechten Arm um meine Schulter während er den Fernseher anmacht.

Und so verbringen wir den ganzen Tag: Ich angekuschelt an meinen Bruder während er irgendwas schaut. Später kommt auch Ryder dazu und setzt sich rechts von mir auf das Sofa. Angekuschelt an die beiden holt mich im Laufe des Nachmittags die Müdigkeit ein.

A black worldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt