Kapitel 24

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Kapitel 24 :




„Lule ...“, flüsterte ich.

Sie wischte sich schluchzend die Tränen weg und kramte in ihrer Tasche herum. Dann zog sie einen Zettel und hielt ihn mir hin. Ein Schwangerschaftstest .. Dilara setzte sich neben mich und warf ebenfalls einen Blick darauf. Mir blieb die Luft weg … positiv.

„Aber .. wieso habt ihr nicht verhütet?“, ich legte den Zettel auf den Tisch und sah hilfesuchend zu Dilara, die geschockt ihre Hand vor dem Mund hielt.
„Haben wir doch .. ich hab eine Pille vergessen und es zu spät bemerkt.“, antwortete sie weinend.
„Was jetzt?“, fragte Dilara.
„Mein Vater bringt mich um!“

Lule heulte laut auf und vergrub das Gesicht in ihre Hände. Ihr Vater hatte ihr immer sehr viel Freiheit gegeben, aber dass sie ein uneheliches Kind auf die Welt bringt .. das würde kein albanischer Vater akzeptieren.

„Red mit ihm, sag ihm dass er Albaner ist. Ihr könnt heiraten und ..“
„Heiraten?! Er will mich nicht mehr Adelin! Das Schwein sagt ich soll abtreiben, er hat mir Geld gegeben!“, schrie sie verzweifelt.
„Was ist das denn für ein Bastard?!“

Entsetzt stand ich auf und lief im Wohnzimmer auf und ab. Ich hab Lule noch nie so gesehen, so verletzt, verzweifelt und vor allem hilflos. Mehrere Minuten lang herrschte Stille, die nur von Lules Schluchzern unterbrochen wurde. Im Moment vergaß ich meine Probleme, denn Lule ihres war viel schlimmer, als die Tatsache, dass ich nicht studieren darf.

„Beruhige dich, hör auf zu weinen.“, ich setzte mich neben ihr und strich ihr sanft über den Rücken.
„Willst du das Kind behalten?“, fragte ich vorsichtig.

Kräftig schüttelte sie ihren Kopf. Eine andere Reaktion hatte ich nicht erwartet.

„Gut, hör jetzt auf zu weinen. Wir gehen zusammen zum Arzt okay? Wir machen einen Termin, Dilara und ich begleiten dich.“, versuchte ich sie zu beruhigen.

Dilara starrte mich mit großen Augen an, aber sagte nichts. Mir ging es nicht anders als ihr, der Gedanken daran, ein Kind zu .. töten, selbst wenn es nur ein Embryo ist... Gänsehaut durchfuhr meinen Körper. Aber wir wussten alle drei, dass es der einzige Ausweg war...




Mehrere Tage vergingen, zu Hause war alles wie immer. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, denn mein Papa hatte noch einmal bekräftigt, dass er seine Meinung nicht ändern würde. Mir fehlte die Kraft dagegen anzukämpfen, denn ich war machtlos. Mit Mama wechselte ich kaum ein Wort und sie schien darunter zu leiden. Aber ganz ehrlich .. ich fühlte mich hintergangen.

„Wohin willst du?“, fragte Papa mich.

Ich stand im Flur und zog gerade meine Vans an.

„Zu Lule.“, antwortete ich.
„Tolle Freunde hast du.“, brummte er verächtlich.
„Was soll das denn heissen?!“
„Alle reden über dieses Mädchen, die geht jedes Wochenende auf Diskos und ..“
„Das ist mir egal was die Leute reden, sie ist meine Freundin.“, fiel ich ihm ins Wort.

Er sah mich wütend an, sagte aber nichts.

„Erst lässt du mich nicht studieren, jetzt meckerst du über meine Freunde. Was kommt als nächstes?“, fragte ich ziemlich laut.
„Das siehst du dann.“, sagte er verächtlich und ließ mich dann stehen.

Ich knallte die Haustür zu und machte mich auf dem Weg zum Arzt....




„Pass auf .. lauf nicht so schnell.“, ich stützte Lule, während wir die Treppen zu Dilaras Wohnung hoch stiegen.

Sie schwankte weinend und hielt sich am Geländer fest. Die letzten Stunden waren schrecklich, wir hatten richtig lange warten müssen. Lule kam mit geröteten Augen aus dem Arztzimmer und hatte die ganze Fahrt über nichts gesagt. Es müsste ein schlimmes Gefühl sein .. vom Vater des Kindes allein gelassen und dann war sie auch noch gezwungen das Kind abzutreiben. Als wir sie fragten, wer der Vater ist, gab sie uns keine Antwort. Dilara schloss die Tür auf und wir legten Lule sofort auf die Couch. Sie protestierte nicht.

„Wir machen Tee okay?“, sagte ich sanft zu Lule.

Sie nickte und hielt mich an der Hand fest.

„Danke .. dass ihr zwei für mich da seid .. ihr seid die einzigen ..“

Ihre Stimmte versagte, sie fing wieder an zu weinen. Dilara heulte auf einmal auch los und verschwand in der Küche.

„Shht, das ist selbstverständlich. Ruh dich jetzt aus.“, ich drückte ihr einen Kuss auf die Wange und folgte Dilara dann in die Küche.

Sie stand weinend vor dem Herd und setzte Wasser auf.

„Das ist so schlimm ..“, schluchzte sie leise.
„Ich weiss .. mir tut es auch weh sie so zu sehen. Aber wir müssen jetzt stark sein.“

Ich nahm sie tröstend in den Arm und wischte mir schnell die Träne weg, die mir über die Wange lief....




Ich fuhr Lule mit ihrem Wagen nach Hause bevor Metin da war. Wir hatten ihr Versprechen müssen, niemanden etwas zu sagen. Dann stieg ich in den Bus und fuhr ebenfalls nach Hause. Es war ein ziemlich komischer Tag gewesen. Die Tatsache, dass ich in 3 Tagen Geburtstag hatte, trieb meine Laune noch mehr in den Keller. Ich weiss, man wird nur einmal zwanzig, aber ich war absolut nicht in Partystimmung...



Mama war als erste heute Morgen in mein Zimmer gekommen. Sie hatte mich geküsst und mir eine kleine Schachtel gegeben, in der sich eine wunderschönes Halskette befand.

„Urime qika jem, ishallah edhe shum tjera. (Alles gute meine Tochter, hoffentlich noch viele weitere.)“, hatte sie mir Tränen in den Augen gesagt.

Ich hatte sie fest an mich gedrückt. Die Wut und meine Enttäuschung waren verflogen, weil ich auch irgendwie wusste, dass sie nichts gegen Papas Entscheidung tun konnte.




„Jetzt komm schon Adelina! Wir gehen nur was essen? Ich hab Metin, Dilara und Lule schon eingeladen. Aida kommt auch mit. Du kannst jetzt nicht absagen!“

Egzon ließ einfach nicht locker und als auch Aida mich erwartungsvoll ansah, stimmte ich schließlich zu. Während ich mich umzog sah ich immer wieder auf mein Handy, aber Leo hatte weder angerufen, noch geschrieben. Wahrscheinlich hatte er es vergessen …



Der Abend verlief gut, das Essen war lecker und wir hatten Spaß. Sogar Lule war gekommen, sie lächelte immer wieder, aber ich wusste natürlich, dass sie noch total fertig war. Gegen 20 Uhr standen wir auf und wollten nach Hause. Gerade als ich die Hoffnung aufgegeben hatte, dass Leo sich meldet, vibrierte mein Handy.

'Komm bitte schnell zu unserem Treffpunkt! Es ist tot wichtig, ich brauch dich!'

Dreimal laß ich die Nachricht ehe mein Verstand sie realisierte. Was war passiert?

„Adelina kommst du?“

Egzons Stimme holte mich aus meinen Gedanken.

„Nein. Ich .. ehm .. ich will laufen. Bisschen spazieren.“, log ich nervös.
„Aber ..“, er wollte protestieren aber ich nahm seine Hand und sah ihn flehend an.
„Bitte .. ich brauch ein bisschen Zeit für mich ..“, flüsterte ich.

Er nickte schließlich, bat mich nicht zu spät zu kommen und steckte mir 10 € für ein Taxi ein.
Dankend drückte ich ihn kurz an mich und wartete dann bis sie losfuhren. Lule war schon weg, Dilara und Metin ebenfalls. Der Max Eyth See war nur knapp 500 Meter von hier entfernt, schnell lief ich los und schrieb Leo, was denn los sei. Aber er antwortete nicht. Panik machte sich in mir breit, während ich meine Schritte beschleunigte. Ich rannte und rannte und war so froh, meine Vans angezogen zu haben. Als ich endlich da war, sah ich mich hektisch um. Leo stand neben der Bank, die Hände in der Hosentasche. Ich näherte mich vorsichtig und sah in sein ernstes Gesicht, das sich nach und nach in ein Grinsen verwandelte.

„Du bist scheiße!“, schrie ich außer Atem.
„Ich liebe dich auch.“, grinste er und umarmte mich.
„Ich hatte eine scheiß Angst!“, schlug ich ihm beleidigt auf die Brust.
„Tut mir leid zemer, aber ich wusste nicht ob du anders herkommst um die Uhrzeit.“

Er küsste mich und sofort schlug mein Herz schneller. Dann nahm er mein Handgelenk und legte mir ein Armband an. Es war wunderschön, kleine strahlende Steine zierten ein Infinity Zeichen.

„Alles Gute zemer. E bajsh me shnet. (Trag es mit Gesundheit.)“, sagte er leise.
„Danke Schatz .. es ist total schön!“, antwortete ich überglücklich.

Er küsste kurz meine Nasenspitze und nahm dann meine Hand. Wir liefen zum Steg, wo ein Boot auf uns wartete. Er half mir rauf und ich staunte nicht schlecht, als ich einen Kuchen sah, auf dem zwei Kerzen brannten. Er lächelte mich liebevoll an. Wie süß er war!

„Wünsch dir was zemer.“, sagte er und drückte meine Hand.

Ich schloss kurz meine Augen … als ich sie wieder öffnete pustete ich strahlend die Kerzen aus. Zu dem Zeitpunkt wusste ich leider nicht, dass mein Wunsch niemals in Erfüllung gehen würde...




Nach dem wir ein wenig durch den See gefahren waren und vom Kuchen probiert hatten, klingelte mein Handy. Es war Papa .. er wollte dass ich nach Hause komme. Traurig sah ich zu Leo, der aber verständnisvoll nickte. Woher sollte ich wissen, dass mich zu Hause eine böse Überraschung erwartete? Eine Überraschung, die ich den Rest meines Lebens nicht vergessen würde ..

 

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