Kapitel 47

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Kapitel 47 : 




Armend, der auch gekommen war fuhr mich in die Wohnung. 
„Ich würde ja auch kommen, aber mein Chef ..“
Ich hob meine Hand um ihn zum Schweigen zu bringen. Es war besser so, ich wollte ihn sowieso nicht dabei haben. Ohne ein Wort zu sagen, ging ich direkt ins Schlafzimmer und steckte ein paar Klamotten in meinen Koffer. Ich setzte mich auf das Bett und vergrub das Gesicht in die Hände. Ich fühlte mich, als ob mir der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Ich war verzweifelt. Am Ende. So saß ich eine Zeit lang da und schluchzte leise vor mich hin. Mama war endgültig weg .. aber sie war nun an einen besseren Ort. Im Paradies, dort wo sie hingehörte. Armend kam ins Zimmer. 
„Bist du fertig?“, fragte er leise. 
Schniefend nickte ich und stand dann auf. Ich schwankte zur Seite und wäre Armend nicht da gewesen, der mich aufrecht hielt, würde ich jetzt am Boden liegen. 
„Du musst was essen Adelina.“, mahnte er mich. 
Leicht schüttelte ich meinen Kopf und löste mich von seinem Griff. 
„Lass mich.“
„Ich will dir doch nur helfen..“
„Ich will deine Hilfe nicht verdammt!“, schrie ich plötzlich. 
„Ich will nichts von dir, nichts! Wann verstehst du das endlich? Lass mich einfach in Ruhe, ist das denn zu viel verlangt?“, fügte ich zitternd hinzu. 
Er sah mich mit großen Augen an, sagte aber nichts. Stattdessen ließ er mich wieder allein. Nur noch ein paar Tage .. dann werde ich ihm endlich sagen, dass ich die Scheidung will. Es war mir verdammt nochmal egal, wie er reagieren würde. Genauso wenig interessierte es mich, was Papa machen würde. Er hatte genug über mein Leben bestimmt, das sollte endlich ein Ende haben! 





Gegen 8 Uhr in der Früh, fiel ich Edona erschöpft um den Hals. Der Flug verlief ohne Probleme und auch am Flughafen war nicht so viel los. Es tat gut Edona nach all den Monaten wieder zu sehen, nur der Anlass war schlecht .. Es war so viel passiert seit dem letzten Sommer. Ich konnte mich noch genau erinnern .. die Begegnung mit Armend beim Bowling Center … Egzons Hochzeit ... und die Ankuft in Stuttgart, wo mich diese süße Überraschung von Leo erwartet hatte. Beim Gedanken daran, kniff ich schmerzerfüllt die Augen zusammen. Mamas Leiche würde in ein paar Stunden folgen. Das Haus von Onkel Besim war jetzt schon voll, alle sprachen mir ihren Beileid aus. Mit zitternden Knien schwankte ich aus dem Wohnzimmer und wurde im Flur von Edona abgefangen. 
„Wann hast du das letzte mal was gegessen?“, fragte sie mich. 
Ich rieb mir müde die Stirn und zuckte mit den Schultern. Die ganze Nacht über hatte ich damit verbracht zu weinen. 
„Keine Ahnung, ich hab keinen Hunger.“, flüsterte ich. 
„Moter (Schwester), willst du umfallen?“, fragte sie schockiert. 
„Ich schaff das schon.“, gab ich zurück. 
„Adelina .. du hast schon viel zu viel geschafft! Schau dich mal an, ich erkenne dich nicht wieder! Du bist locker 10 Kilo leichter als im Sommer. Ich kann mir vorstellen was du durchmachst, aber ..“
„Nein Edon.“, fiel ich ihr ins Wort. 
„Du kannst dir das nicht vorstellen. Nicht einmal annähernd.“, heulte ich auf. 
„Motra jem .. (Meine Schwester ..)“ 
Erneut nahm sie mich in den Arm. Genau das brauchte ich jetzt. Eine Schulter, an der ich mich ausweinen konnte. Sie nahm mich an der Hand und zog mich hoch in ihr Zimmer. Dort setzte sie mich auf ihr Bett und kam ein paar Minuten später mit einem Tablett in der Hand wieder rein. Kraftlos schüttelte ich meinen Kopf. 
„Veq pak. (Nur ein bisschen.) Bitte! Ich will nicht, dass du später umkippst.“, bettelte sie. 
Sie sah mich traurig an und legte mir dann das Tablett mit dem Essen auf den Schoß. Ich atmete einmal tief aus und zwang mich ein paar Bisse zu essen .. 





Mein Kopf dröhnte. Ich spürte einen heftigen Druck in meinen Ohren und jede Muskel meines Körpers hatte sich schmerzhaft zusammen gezogen. Meine Tante, die Schwester meiner Mama, saß an ihren Kopf und trauerte. Jedes Wort, das aus ihrem Mund kam, war wie ein Messerstich ins Herz. Alle Frauen im Zimmer hörten schweigend zu und weinten mit. Ich band mir das weisse Kopftuch, das man bei uns zu Todesfällen trug, enger um den Kopf und schnappte weinend nach Luft. Wie Mamas lebloser Körper hier im Wohnzimmer lag und betrauert wurde .. versetzte meinem Schmerz einen noch größeren Schub. Aida saß zu meiner Linken und hielt weinend meine Hand. Ihr Bauch war schon sehr groß, nur noch knapp 9 Wochen waren es bis zum Geburtstermin. Der Arzt hatte ihr von einer Reise abgeraten, aber sie wollte mich auf keinen Fall alleine lassen. Sie und Edona, die rechts von mir saß, waren meine großen Stützen. Ich weiss nicht wie ich diese Zeit ohne die beiden überstanden hätte. Die Stunden vergingen und es war an der Zeit mich endgültig zu verabschieden. Als der Sarg raus gebracht wurde, ließ ich mich auf erschöpft auf die Knie fallen. Ich legte meinen Kopf auf den Schoß und schlug mit den Fäusten auf den Boden ein. Als ob eine Bombe in meinen Inneren eingeschlagen hatte, so fühlte ich mich gerade... 




Ein paar Stunden später lag in Edonas Bett. Sie saß auf einen Stuhl und sah mich lange einfach nur schweigend an. Sie nahm meine Hand und hauchte einen Kuss darauf. 
„Zoti te lasht shnosh. (Möge Gott dich gesund lassen.)“, sagte sie leise. 
„Kofsh shnosh. (Dich auch.)“, flüsterte ich. 
Erneut stiegen mir Tränen in die Augen, die mein Gesicht sofort feucht werden ließen. 
„Wo ist Aida?“, fragte ich schluchzend. 
„Die hat sich schon hingelegt, ist auch ganz kaputt e mjera (die Arme).“, antwortete sie. 
Ich setzte mich mühevoll auf und griff nach meinem Handy, das auf dem Nachttisch lag. Armend hatte mich über 10 mal angerufen und Nachrichten hatte ich auch viele. Die meisten von ihm, aber es waren auch zwei von Dilara da und .. eine Nummer die ich nicht kannte. Als ich die Nachricht öffnete, schnappte ich nach Luft und hielt mir geschockt die Hand vor dem Mund. 
„Cka u ba? (Was ist passiert?)“, fragte Edona mich besorgt. 
„Ich .. ich .. Leo ..“, stotterte ich schockiert. 
„Was ist mit ihm?!“
„Er .. er ist im Kosovo und .. und er will mich sehen!“, stieß ich mühevoll hervor. 
Zitternd legte ich das Handy neben mir auf das Bett. Ich hielt meine Hände vor mich und musste mit ansehen, wie ich meine Finger nicht ruhig halten konnte. Mein ganzer Körper zitterte gerade und meine Gedanken spielten verrückt. Edona sah genauso geschockt aus wie ich. 
„Wirst du .. ich meine .. oh mein Gott.“, sagte sie verwirrt. 
Sie wollte wissen ob ich mich mit ihn treffen würde. Ich war total von der Rolle, weil er im Kosovo war. Wieso war er gekommen? Er hatte sicher vom Tod meiner Mama gehört und .. und ..vielleicht wollte er für mich da sein!? Der Gedanke war zu schön um wahr zu sein, schließlich hatte er schon lange aufgegeben, er wollte doch nach Hamburg ziehen? Oder etwa nicht? Ich war so sprachlos, dass ich auf Edonas fragenden Blick, einfach nur wortlos mit der Schulter zuckte... 





Die ganze Nacht über bekam ich kein Auge zu. Mein Verstand versuchte noch immer zu realisieren, dass Mama nun endgültig weg war. Hinzu kam, dass ich mit dem Handy in der Hand auf die Nachricht starrten. Gefühlte Tausend mal laß ich sie in Gedanken schon durch. 
'Ich bin im Kosovo. Wenn du kannst, dann komm Morgen früh um 9 Uhr ins ETC (Einkaufszentrum) in Gjakov. Ich muss dich sehen und werde warten Adelin ..' 
Er hatte sich bewusst für seine Stadt entschieden. Dort war die Möglichkeit, dass mich jemand kennt sehr gering. Ich warf einen Blick auf Edona, die neben mir lag und noch schlief. Es war erst 7:10 Uhr .. ich stand so vorsichtig wie möglich auf und tapste dann ins Bad. Von unten waren schon Stimmen zu hören, der größte Teil war wohl schon wach. Während ich mir das Gesicht wusch, suchte ich mir eine Ausrede für nachher. Einfach so zu verschwinden wäre zu auffällig, zu mal in den nächsten Tagen noch sehr viele Leute kommen würden. Irgendwann mitten in der Nacht hatte ich entschieden, mich mit Leo zu treffen. Fragt nicht warum, ich weiss selber nicht genau was ausschlaggebend war. Vielleicht war die Sehnsucht einfach zu groß .. oder aber, brauchte ich gerade jemanden, der mich verstand und Leo gehörte zu den wenigen Menschen, die es taten. Ganz tief im Inneren wusste ich, dass ich ihn sehen wollte. Mein Herz wollte es, jede Faser meines Körpers schrie nach ihn. Nach seinen Augen, die mich liebevoll ansehen. Nach seinen Lächeln, das mich jedes mal aufs neue Schmelzen ließ. Nach seinen starken Armen, bei denen ich mich so geborgen fühlte. Nach seinen Lippen, die ein Gefühl in mir auslösten, das sich nicht beschreiben ließ...



Um 8 Uhr stand ich fertig angezogen in Edonas Zimmer. Ich betrachtete mein Spiegelbild. Mein ungeschminktes Gesicht war leichenblass, nur meine Augen war rot umrandet. Ich atmete noch einmal tief aus, bevor ich mit zitternden Knien langsam die Treppen nach unten tapste. Egzon stand schon im Flur und reichte mir die Schlüssel vom Wagen, den wir gemietet hatten.
„Ich weiss zwar nicht wohin du willst, aber bitte pass auf dich auf.“, sagte er leise. 
Ich drückte ihn kurz an mich, küsste ihn auf die Wange und nickte dann. Gerade als ich die Haustür öffnete, ließ mich Papas laute Stimme innehalten. 
„Ku po shkon me sabah? (Wohin gehst du so früh am Morgen?)“, wollte er wissen … 

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