Kapitel 56

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Kapitel 56 : 





Ich stand mit leicht aufgeklappten Mund da und traute meinen Augen nicht. Ich musste träumen .. Leo stand vor mir. Mir stockte der Atem, ich hatte das Gefühl, dass mein Herz aussetzte. Seine Augen fixierten mich und nahmen mir die Luft zum Atmen. Er machte keinerlei Anstalten seinen Blick zu senken und auch ich wollte meine Augen nicht von seinen nehmen. 
„Hallo .. gut siehst du aus.“, flüsterte er. 
Ich war wie versteinert, es war als ob mir jemand meine Beine in den Boden betoniert hätte. Unfähig mich zu bewegen stand ich da und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Hinter mir nahm ich Schritte wahr. 
„Wer ist an der .. oh Leo alter. Du Penner!“
Leo .. sein Name hallte wie ein Echo in meinen Ohren und in mir drinn drehte sich alles. Ich hielt mich mit einer Hand an der Tür fest und versuchte mich von diesem .. unerwarteten Schock zu erholen. Armend kam auf uns zu und begrüßte ihn überschwänglich. 
„Endlich lässt du dich wieder blicken.“, freute Armend sich. 
„Ich verpasse doch deinen 30. nicht. Po plakesh (Du wirst alt.)“, antwortete Leo lächelnd. 
Dieses Lächeln .. ich .. ich schaffte es nicht mehr regelmäßig zu atmen! Armend merkte das zerbrochene Glas auf dem Boden und warf mir einen kurzen Blick zu. 
„Ist mir aus der Hand gefallen, als ich die Tür öffnen wollte.“, log ich. 
Die Worte sprudelten förmlich aus mir raus, aber er schien meine Nervosität nicht zu merken. 
„Putz das weg.“, befahl er und führte Leo ins Wohnzimmer. 
Ich hörte wie sich die anderen freuten ihn zu sehen. Ich schnappte die Hausschlüssel, stieg in meine Ballerinas und tapste mit wackeligen Knien aus der Wohnung. Meine Füße setzten sich in Bewegung, ich rannte förmlich die Treppen nach unten. Ein Nachbar kam durch die große Eingangstür und grüßte mich, aber ich flitzte wortlos an ihn vorbei. Ich erreichte einen Baum und hielt mich an ihn fest. Dann endlich schaffte ich es wieder zu atmen, es war als ob ich die ganze Zeit über die Luft angehalten hatte. Mein Brustkorb hob und senkte sich rasend schnell, mein hämmerndes Herz nahm ich gar nicht mehr wahr. Ich war nicht in der Lage gerade zu stehen, nicht in der Lage klar zu denken. Meine Lippen zitterten und ich spürte die erste Träne über meine Wange fallen. Tausende Fragen spukten in meinen Kopf herum, zu denen ich keine Antwort fand.... 



Nach ein paar Minuten hatte ich mich endlich einigermaßen beruhigt. Ein letztes mal massierte ich mir die pochenden Schläfen und nahm tief Luft. Ich schloss gerade die Eingangstür auf, als Violeta die Treppen herunter gestürmt kam. 
„Ku dreqin je kan? (Wo zum Teufel warst du?)“, fuhr sie mich an. 
„Frische Luft schnappen, drinnen rauchen die so viel und ..“
„Du hättest ruhig Bescheid sagen können.“, fiel sie mir ins Wort. 
„Ich hab mir fast die Füße aufgeschlitzt, an den Scherben.“
Wenn es eine Weltmeisterin im Übertreiben geben würde, hätte Violeta den ersten Platz verdient. Genervt verdrehte ich meine Augen und wollte wortlos an ihr vorbei gehen, als sie mich am Arm packte. Ungläubig starrte ich sie an. Sie hatte mir gerade noch gefehlt. 
„Irgendwas stimmt nicht mit dir und das schon seit Tagen.“, sagte sie. 
Ihr Stimme klang irgendwie bedrohlich und unwillkürlich musste ich schlucken. 
„Ich hab doch gesagt, dass ich frische Luft wollte?!“, antwortete ich. 
Schnell riss ich mich los und stieg die Treppen hoch. Violeta folgte mir. Als ich oben war merkte ich, dass die Scherben im Flur weg waren. 
„Die hab ich weg gekehrt.“, antwortete sie auf meinen fragenden Blick. 
Ich bedankte mich und machte mich auf den Weg ins Kinderzimmer. 
„Wohin gehst du?! Du hast da drinn Besuch und verschwindest einfach?“
Sie stellte sich mir in den Weg und stemmte ihre Hände an die Hüften. 
„Ich schau nur kurz nach Mera. Bin gleich da...“
Zufrieden ließ sie mich durch. Als ich die Kinderzimmertür hinter mir schloss, lehnte ich mich erst mal erschöpft dagegen. Ich presste die Innenfläche meiner Hand gegen den Mund, damit man mein Schluchzen nicht hören konnte. Mera durfte jetzt nicht wach werden... Nur eines wollte ich wissen! Wieso? Wieso kommt er nach vier Jahren wieder? Wieso muss er nach 4 Jahren mein Leben auf den Kopf stellen? Gerade jetzt, wo es schon kompliziert genug war? Gerade jetzt wo ich entschieden hatte, der Sache mit Armend ein Ende zu setzten? Solange habe ich gebraucht um endlich den Mut dafür zu finden und jetzt kam er … und brachte mich völlig aus dem Gleichgewicht. Aufgebracht lief ich immer Zimmer auf und ab, als Mera sich auf einmal bewegte. Im Tiefschlaf schob sie ihre Decke zu Boden und drehte sich zur Seite. Vorsichtig näherte ich mich ihrem Bett, deckte sie wieder zu und legte mich behutsam zu ihr. Ich drückte sie fest an mich, wohlbedacht, dass sie nicht aufwacht. Mein Sonnenschein .. Ich würde alles dafür tun, dass sie möglichst wenig von dem ganzen bevorstehenden Stress mitbekommt. Meine Augenlider fühlten sich plötzlich so schwer an und kurz darauf fiel ich in einen tiefen Schlaf... 




Irgendjemand rüttelte sachte an meinen Arm. Ich versuchte es zu ignorieren und weiterzuschlafen, aber es hörte einfach nicht auf. Flatternd gingen meine Augen auf... 
„Ich geh zur Arbeit. Wollte dir nur Bescheid sagen.“, flüsterte Armend und hielt sich einen Finger an den Mund. 
Ich nahm tief Luft, sah runter zu Mera, die sich langsam in meinen Armen wand und nickte ihm anschließend zu. Als er weg war, ließ ich meinen Kopf erneut nach hinten fallen. Ich fühlte mich so platt .. so kraftlos. Ich erinnerte mich an gestern Abend und betete, dass ich das alles nur geträumt hatte. Mera öffnete gähnend ihre meeresblauen Augen und grinste mich verschlafen an.
„Flej edhe pak. (Schlaf noch ein bisschen.)“, flüsterte ich lächelnd.
Ohne zu zögern schloss sie die Augen. Eine kleine Langschläferin war sie. Ich drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und setzte mich dann auf. Müde stützte mein Gesicht kurz in meine Hände und richtete mir einschließend die Haare. Dann stand auf und schleppte meinen müden Körper ins Bad. Ein Blick in den Spiegel ließ mich wissen, dass meine ganze Schminke verschmiert war. Ich war gestern wohl neben Mera eingeschlafen. Ein Wunder, oder besser gesagt ein Glück, dass mich niemand geweckt hatte. Es war erst kurz vor 7, als ich kurz unter die Dusche sprang. Das kalte Wasser tat gut, vor allem in der drückenden Morgenhitze, die hier für Ende Juli herrschte. Ausserdem rüttelte es mich endlich wach und sorgte dafür, dass ich einen klaren Gedanken fassen konnte. Heute ist der große Abend. Ich hatte Angst. Vor Armends Reaktion. Vor der Reaktion der anderen. Sie werden alle überrascht und schockiert sein ja, wisst ihr wieso? Weil sie denken, wir seien die perfekte Familie. So gaben wir uns vor den anderen. Doch keiner konnte mein leeres Inneres sehen. Zu Hause war es anders. Armend kam meistens erst spät Nachts nach Hause, er liebte Mera zwar, aber hatte keinen Draht zu ihr. Ich wusste, dass diese Ehe gescheitert war. Armend auch, aber er wollte es nicht akzeptieren. Dazu war er zu dickköpfig, zu egoistisch. Alles was mich die Jahre hier hielt, war meine kleine Prinzessin. Aber wie sollte sie glücklich werden, wenn ich es nicht bin? Unerwartet kam mir Mama in den Sinn. Nein. Ich würde nicht das selbe wie sie durchleben. Ich würde nicht so enden wie sie. An der Seite eines Mannes zu leben, den man nicht liebt. Niemals .. 



Nachdem ich mir einen Top und eine Jogginghose übergestreift hatte, ging ich in die Küche und machte mir einen Kaffee. Meine Haare waren noch nass, aber mir war nicht nach föhnen. Dazu hatte ich gerade irgendwie keine Nerven. Schweigend und in Gedanken versunken, nippte ich am Kaffee und spielte gleichzeitig mit meinem Armband. Ich verstand die Welt nicht mehr. Was wollte er hier? Was wollte er von mir? Diese Frage ging mir nicht aus dem Kopf. Die Antwort darauf sollte ich schneller kriegen, als ich gedacht hatte, denn plötzlich klopfte es leise an der Tür. Genervt stand ich auf. Wer kommt so früh am Morgen? Das konnte nur Violeta sein. Ohne durch den Spion zu gucken, riss ich Tür die auf. Mein Verstand setzte aus! Völlig perplex über Leos Anblick, starrte ich ihn ein paar Sekunden erschüttert an. Mein Puls schoss rekordverdächtig in die Höhe. Ich wollte die Tür zumachen, aber er reagierte schneller und schob einen Fuß dazwischen. 
„Verschwinde!“, gab ich aufgebracht von mir. 
„Wir müssen reden.“, antwortete er leise. 
„Es gibt nichts zu reden!“, vergeblich versuchte ich die Tür zu schliessen. 
Ich wollte nicht! Ich konnte nicht! Wie sollte mein Herz das ertragen?! 
„Bitte Adelina .. bitte ..“, flehte er. 
Irgendwas an seiner Stimme ließ mich innehalten. Was genau es war, weiss ich nicht. Stille folgte. Stille, die nur von unseren keuchenden Atmen unterbrochen wurde. Ich hörte auf gegen die Tür zu drücken und machte ein paar Schritte zurück. Vorsichtig trat er ein und ließ die Tür leise ins Schloss fallen. Als unsere Blicke sich trafen und ich in seine tränen gefüllten Augen sah, zog ich scharf die Luft ein. Mein Herz drohte mir aus der Brust zu springen. Was passierte ihr gerade verdammt?! 
„Ich hab dich so vermisst ..“, sagte er nach einer gefühlten Ewigkeit, in der wir uns nur wortlos musterten. 
Er sprach leise aber ich konnte hören, wie aus jedem seiner Worte Sehnsucht sprach. Er kam mit kleinen Schritten auf mich zu, während ich automatisch rückwärts lief. Sackgasse! Ich stand mit dem Rücken zur Hand und versuchte meinen bebender Körper unter Kontrolle zu kriegen. Vergeblich! Nur noch Zentimeter trennten uns, als ich es endlich schaffte wieder klar denken zu können. Ich schubste ihn weg und hob abwehrend meine Hände. 
„Du hast mich vermisst? Du hast mich vermisst?! Das fällt dir nach 4 Jahren auf? Nach 4 verdammten Jahren, in denen du mich allein gelassen hast?!“, zischte ich wütend. 
„Ich hatte keine andere Wahl!“, verteidigte er sich und kam erneut auf mich zu ..


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Wenn fleißig kommentiert, gevotet und gefollowed wird, dann bekommt ihr heute vielleicht noch ein Kapitel :) 

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