Kapitel 23

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Kapitel 23 : 



Leo stieg ein und sah mich eindringlich ein. Das Mädchen hatte aufgelegt, nachdem sie mich noch einmal wüst beschimpft hatte. Ich reichte Leo geschockt das Handy.

„Da war .. ein Mädchen dran und .. und ..“

Ich schaffte es nicht, den Satz zu ende zu bringen. Mein Mund fühlte sich plötzlich staubtrocken an. Betrog Leo mich etwa? Allein der Gedanke daran, trieb mich in den Wahnsinn. 

„Was für ein Mädchen?“, fragt er unwissend. 

Tat er nur so, oder hatte er wirklich keine Ahnung? 

„Zemer .. was ist los?“, fragte er lächelnd. 

Nein. Er lügt nicht, ich spüre es. Leo würde mich niemals anlügen. 

„Nichts Schatz, da hat sich eine verwählt.“, antwortete ich. 
„Passiert.“, er schaltete den Motor ein und fuhr los. 



Am nächsten Tag hatten wir so viel Besuch, dass ich gar nicht dazu kam mit Mama zu reden. Ich kümmerte mich um den Tee und half Aida beim Essen machen. Ich spürte, dass Mama mir aus dem Weg ging. Oh Allah, wieso hatte ich so ein ungutes Gefühl, bei der ganzen Sache? Jedes mal, wenn ich das Wohnzimmer betrat, wurde es plötzlich leise und das Thema wurde gewechselt.



Später am Abend waren alle weg und nur Papa, Mama und ich saßen im Wohnzimmer. Papa trank den letzten Schlucks seines Tees, ich stand auf und wollte nachfüllen, doch er winkte mich zurück. 

„Setzt dich.“, befahl er. 

Ich tat was er wollte. Mamas Blick war starr auf ihre Hände gerichtet, die in ihrem Schoß lagen. 

„Ist was passiert?“, fragte ich leise. 

Papa räusperte sich und fing dann an zu reden. 

„Ich habe lange darüber nachgedacht und mit deiner Mutter geredet. Wir denken es ist besser, wenn du nicht studierst. Die Entscheidung steht fest, es gibt nichts zu diskutieren.“, sagte er ohne mit der Wimper zu zucken. 

Mich traf der Schlag. Nein, ich hörte nicht richtig, das konnte nicht wahr sein. Ich hatte erst vor ein paar Tagen, die Zusage von der Uni in Tübingen gekriegt, für mein Medizin Studium. Mir blieb die Luft weg, ich stand schwankend auf und suchte Mamas Blick, aber sie sah noch immer auf ihre Hände. Kennt ihr das? Ihr seid so geschockt, dass ihr für einen Moment nichts sagen könnt, weil euch die Worte fehlen? Genau so ging es mir gerade. Ich versuchte die Fassung zu bewahren. 

„Das ist nicht euer ernst?“, fragte ich leise. 
„Seh ich so aus, als ob ich Witze machen?“, antwortete er eiskalt. 

Ich sah abwechselnd zu ihm und dann zu Mama.. Während er mich mit ausdrucksloser Miene ansah, schaffte es Mama nicht mir in die Augen zu sehen. 

„Wieso?“, fragte ich so ruhig wie möglich. 

Aber innerlich war ich kurz vorm explodieren. 

„Es hat mehrere Gründe ..“

„Was für Gründe? Was für scheiß Gründe, nenn sie mir!“, schrie ich wütend. 

Papa schien überrascht von meinen Wutausbruch.

„Schrei nicht so.“
„Ich soll nicht schreien?“, fragte ich ungläubig. 

Ich fing an zu lachen. Das war nicht normal, aber ich lachte. Hilflos und Überfordert, so ließ mich diese Situation fühlen. Das künstliche Lachen, half mir meine Tränen zurück zu halten. Mama sah mich erschrocken an, endlich hatte ich ihre Aufmerksamkeit. 

„Willst du dazu nichts sagen? Oder nein, lass es einfach. Ihr habt ja schon Entschieden. Es gibt nichts zu diskutieren. Aber ich will wissen wieso? Wieso tut ihr mir das an? War ich euch keine gute Tochter? Hab ich scheiße gebaut? Hab ich das? Ich will wissen, falls es so ist.“

Meine Stimmte zitterte aber die Worte sprudelte einfach so aus mir heraus. 

„Das ist es nicht ...“, ergriff Mama das Wort. 

Sie stand mühevoll auf und kam auf mich zu, aber ich hob abwehrend meine Hände und machte einen Schritt zurück. 

„Was dann? Was?“, wollte ich wissen. 

Eine einzelne Träne kullerte mir die Wange herab. 

„13 Jahre Schule, umsonst? Ich hab die letzten Jahre hart für mein Abi gearbeitet und war eine der besten meines Jahrgangs. Und das alles damit ihr mir sagt, ich darf nicht studieren?!“ 

Ich hielt meinen Handrücken gegen den Mund und schluchzte leise vor mich hin. 

„Mein Lohn wurde gekürzt. Wir haben einen Haufen Schulden. So ein teures Studium können wir uns nicht leisten.“, sagte Papa. 

Also war es ein Geldproblem? Irgendwie glaubte ich das nicht.

„Ich kann mir Arbeit suchen und ..“

„Nein! Die Sache ist beendet. Es ist alles gesagt.“, fiel er mir ins Wort. 
„Du kannst jetzt auf dein Zimmer gehen.“, wies er mich an. 

Einen Moment lang, blieb ich noch wie angewurzelt stehen. Dann drehte ich mich langsam um und verließ das Wohnzimmer. Wie eine Tote stieg ich die Treppen nach oben und merkte dabei gar nicht, dass Mama mir folgte. Erst als ich vor meinem Zimmer stand, griff sie nach meinem Arm. 

„Adelina ..“ 

Ich riss mich los und sah sie mit gefüllten Augen an. 

„Es ist alles gesagt ..“, gab ich tonlos von mir. 

Ich schloss die Tür ab, warf mich auf das Bett und ließ meinen Tränen freien lauf. Egzon hatte sich raus gehalten, dafür hatte Papa wohl gesorgt. Aber Mama .. dass nicht mal Mama sich für mich eingesetzt hatte .. wieso wird man im Leben immer von den Menschen enttäuscht, von denen man es gar nicht erwartet? 




„Hat er dir einen Grund genannt?“

Ich saß mit Leo im Cafe. Drei Tage waren vergangen seit diesen Abend, der mich noch immer fertig machte. Nur das nötigste sprach ich zu Hause, ich schlief schlecht und hatte keinen Appetit. Es war ohnehin so, dass mir alle aus dem Weg gingen. Keiner hatte den Mut und die Kraft, etwas gegen diese Ungerechtigkeit zu tun. Selbst ich nicht. 

„Angeblich geht es ums Geld, aber das stimmt gar nicht. Unser Kredit ist in 10 Monaten abbezahlt.“, antwortete ich deprimiert. 
„Aber wieso dann?“, fragte er traurig. 
„Ganz einfach .. er hasst mich. Er will mir das Leben zu Hölle machen.“
„Sag sowas nicht.“, sagte Leo und nahm meine Hand. 
„Es ist aber so! Er hat schon immer gesagt, dass er nie eine Tochter haben wollte.“

Niedergeschlagen klammerte ich mich an seine Hand. 

„Das Leben ist so unfair ..“, flüsterte ich. 

Er versuchte mir Mut zu machen und mich aufzumuntern. 

„Vielleicht ändert er seine Meinung.“, meinte Leo und hob lächelnd mein Kinn an. 

Nichts wünschte ich mir im Augenblick mehr, als dass er seine Meinung ändern würde. 

„Ishallah .. (so Gott will ..)“, antwortete ich leise und setzte ein kleines Lächeln auf. 




Ein paar Tage später machte ich mich auf den Weg zu Dilaras Wohnung. Ich hatte ihr Versprochen, sie zu besuchen. Sie umarmte mich heftig, als ich vor ihrer Tür stand. Ihre strahlendes Lächeln verriet mir, dass sie glücklich war. 

„Canim, hab dich vermisst.“, sagte ich lächelnd. 

Sie führte mich ins Wohnzimmer und ich stieß erst mal einen kleinen, anerkennenden Pfiff aus. 

„Hast du gut hingekriegt die Wohnung.“, lobte ich. 
„Danke! Hab mir auch den Arsch aufgerissen.“, lachte sie. 
 „Hat sich gelohnt.“

Wir tranken Cappuccino und eine gute Stunde unterhielten wir uns über alles mögliche. Sie erzählte mir von ihrer Hochzeitsnacht und ließ nur wenige Details aus. Manchmal war mir das peinlich, aber sie war so süß, wie sie von Metin schwärmte. Dass Papa mir nicht erlaubt zu studieren, ließ ich aber weg. Ihre Augen strahlten so glücklich und verliebt, ich wollte ihr nicht die Stimmung vermiesen. Kurze Zeit später klingelte es. 

„Erwartest du jemanden?“, fragte ich überrascht. 
„Nein, eigentlich nicht. Lule hatte abgesagt, die hatte zu tun. Aber vielleicht hat sie es doch geschafft.“, antwortete sie und stand auf um an die Tür zu gehen. 

Es war wirklich Lule gewesen. Ich stand auf und begrüßte sie, aber ihr Gesichtsausdruck war komisch. Ihr Dauer grinsen war verschwunden. 

„Was ist los?“, fragte Dilara besorgt. 

Als Lule nicht antwortete, suchte sie meinen Blick aber ich zuckte unwissend mit den Schultern. 

„Ist was passiert?“, ich rüttelte Lule leicht am Arm. 
„Wenn ich euch was erzähle .. das bleibt doch unter uns?“, fragte sie tonlos. 

Dilaras und ich wechselten einen verwirrten Blick. Lule saß mit gesenkten Kopf da. 

„Wieso fragst du sowas? Du weißt, dass wir Geheimnisse für uns behalten können.“, antwortete Dilara. 
 „Das war echt unnötig. Ich mein wie lange kennen wir ..“
„Okay! Okay ..“, unterbrach sie mich. 

Endlich hob sie ihren Blick und sah uns in die Augen. 

„Ich bin schwanger.“, sagte sie leise. 

Sie war schwanger? Nein nein, nicht mit uns. 

„Ah fick dich doch.“, fing ich an zu lachen. 
„Nochmal schaffst du das ganz bestimmt nicht.“, stimmte Dilara lachend mit ein. 

Vor ein paar Monate hatte sie uns einen Schrecken eingejagt, als sie meinte sie wäre schwanger. Dabei wollte sie uns nur Verarschen. Während wir lachten, fing Lule plötzlich an zu weinen. 

„Hey ist okay jetzt, genug geschauspielert.“, meckerte ich. 

Statt aufzuhören, weinte sie nur noch heftiger... Verdammt! Dilaras panischer Blick, ließ mich wissen, dass sie das gleiche wie ich dachte... 

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