Ich sog scharf die Luft ein, als ich die Inschrift des Grabsteins sah. Das war doch bloß ein dummer Zufall oder ein blöder Streich. Es gab nicht viele Möglichkeiten an koreanischen Nachnamen und der Name Hyerin war früher bestimmt sehr beliebt gewesen. Doch wieso konnte ich dann nicht aufhören zu zittern? Ein kalter Schauder lief mir den Rücken runter und ich wollte einfach nur noch verschwinden und vergessen, was ich hier gesehen hatte. Doch als ich mich umdrehte, um mich wieder vom Acker zu machen, spürte ich plötzlich eine eiskalte Hand an meinem Hals und dann, wie ich im nächsten Moment gegen die harte Rinde des Baumes gedrückt wurde, hinter dem ich mich vorher noch versteckt hatte. Meine Luft wurde mir abgeschnürt und der Griff um meine Kehle wurde immer fester. Verzweifelt versuchte ich die Hand von meinem Hals weg zu reißen, doch je mehr ich es probierte, desto stärker packte die Person zu. "Ich hab dir gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen!", knurrte die Person mich hasserfüllt an und ich erkannte, dass es der Junge von vorhin war. Hatte er etwas gewusst, dass ich gelauscht hatte? Meine Kehle schmerzte und mir wurde schwindelig. "B-Bitte-", keuchte ich, bekam aber nicht mehr raus, da ein Hustenanfall mich überkam. "Wieso lässt du mich so leiden?" Ich schaute zu dem Jungen. Seine Stimme war voller Trauer und Hass zugleich. Komischerweise hatte ich keine Angst vor ihm, sonder viel eher überkam mich ein Gefühl von Einsamkeit und ich bemerkte plötzlich, wie mir eine Träne über die Wange lief. Mein Körper handelte einfach, ohne dass ich es kontrollieren konnte. Wie von alleine hob sich meine Hand und legte sich auf die Wange des Jungens. Erschrocken starrte er auf diese und wollte erst zurückzucken, doch ich formte meine Lippen zu einem sanften Lächeln, so dass er es einfach zu ließ. Seine Augen funkelten von den Tränen, die sich in ihnen ansammelten und ich verlor mich in ihnen. Sie kamen mir so vertraut vor und waren für mich wie Sterne, die die dunkle Nacht erleuchteten. Für einen Moment sahen wir beide uns einfach nur an, ohne dass er mich los ließ. Doch sein Griff hatte sich gelockert.
"Was zum...?", kam es auf einmal von der Seite und als hätte der Junge alles vergessen, drückte er erneut zu. Ich keuchte auf. Im Augenwinkel sah ich eine Gestalt, die auf uns zu kam. "Lass sofort los." Ich erkannte Hongjoongs Stimme. Doch der Junge dachte nicht mal daran los zu lassen. Stattdessen drehte er sich nur mit einem hasserfüllten Blick zu ihm. "Dieses Ding-", fing er an, doch wurde von Hongjoong unterbrochen, als dieser auf ihn zu kam und ihm sanft eine Hand auf die Schulter legte. "Kein Ding, Wooyoung. Sie ist ein Mensch."
Dieser Wooyoung riss die Augen weit auf und sah wieder zu mir. Völlig erstarrt ließ er mich endlich los. Leider hatte ich nicht damit gerechnet, so dass meine Beine mich nicht rechtzeitig auffangen konnten und ich zu Boden fiel. Sofort kniete Hongjoong sich neben mich. "Alles okay?", fragte er und am liebsten hätte ich ihm einen bösen Blick zu geworfen, doch ich war zu sehr damit beschäftigt, mir meinen Kopf zu reiben, der gegen den Baum geknallt worden war.
Außerdem wollte ich einfach nur nachhause. Ganz weit weg von diesem Jungen, der mich eiskalt als ein "Ding" bezeichnete. Hongjoong hielt mir seine Hand hin, um mir aufzuhelfen, doch ich ignorierte es und richtete mich von alleine auf. Ich war nicht auf irgendeine Hilfe angewiesen. "Tut mir Leid, Hyerin. Wooyoung ist-"
"Krank? Ja, das hat er mir gerade bewiesen", unterbrach ich ihn kalt und warf diesem Wooyoung einen bösen Blick zu, doch dieser wich ihm gezielt aus. Er hätte mir fast schon Leid getan, wäre da nicht die Sache mit dem Luft abschnüren gewesen. "Ich werde jetzt zu mir nachhause gehen und ausnahmsweise so tun, als wäre das Ganze nie passiert." Mit einem festen Blick sah ich die Beiden ein letztes Mal an und verschwand dann in Richtung Ausgang.Ich hatte das Gefühl gehabt, dass ich den ganzen Weg nach Hause versucht hatte, die Luft anzuhalten. Zu sehr schmerzte mich auch nur jede kleinste Berührung geschweige denn jeder Atemzug. Ohne es zu bemerken stand ich dann auch schon vor meiner Haustüre, aber ich hatte keinen Funken Kraft mehr in mir. So zu tun als wäre das Ganze nie passiert, war eine dumme Idee, denn so ein Erlebnis konnte ich nicht einfach vergessen. Warum hatte Wooyoung das getan? Nur weil ich nachgeschaut hatte, welches Grab sich in der Dunkelheit befand? Aber das war doch noch lange kein Grund mir weh zu tun und mich zu behandeln, als wäre ich irgendeine Art Monster. Stumm blickte ich in Richtung Friedhof und zum alten Haus und ohne dass ich es wirklich bemerkte, lief mir eine Träne über die Wange. Sie hinterließ eine warme Spur auf meiner Haut. Schnell artete das Ganze in ein Schluchzen aus und dann konnte ich meine Gefühle einfach nicht mehr zurück halten und ließ ihnen einfach freien Lauf. Meine Beine gaben nach und ich fiel auf die Knie, wo ich mein Gesicht in den Händen vergrub. Ich wusste, dass mich keiner trösten kommen würde. Meine Mutter war weg und meldete sich nicht mehr, mein Vater war tot und sonst hatte ich auch keine Freunde. Was war so falsch mit mir, dass ich all das durch machen musste? Ich war immer zu jedem höflich, kümmerte mich um meine Mitmenschen und stellte mich an letzte Stelle und das war mein Dank dafür. Immer mehr Tränen schossen unkontrolliert aus meinen Augen. Ich konnte einfach nicht mehr.
"Hyerin?" Eine mir allzu vertraute dunkle, sanfte Stimme riss mich aus meiner verkrampften Haltung. "Himmel, was ist passiert?" Ich spürte eine Hand auf meinem Rücken. Sie strich sanft über meine Wirbelsäule hinauf zu meinem Nacken. Sofort zuckte ich wieder zusammen. Changwook durfte nicht erfahren was passiert war und doch war er gerade der Einzige, der hier war. Natürlich reagierte mein Körper aus Gewohnheit automatisch und wie ein kleines Kind, was Zuneigung brauchte, warf ich mich in seine Arme und krallte mich in seinen Pullover. Ich wollte das nicht, aber brauchte es gerade einfach. Wenn ich die Tat von Wooyoung versuchte zu verdrängen, dann konnte ich auch für einen kurzen Moment die von Changwook vergessen. Er wich nicht zurück oder stellte Fragen. Er legte einfach nur seine Arme, die mich schon so oft gehalten hatten, um mich und drückte mich enger an sich. Ich genoss seinen Geruch, er erweckte Erinnerungen. Schöne Erinnerungen. "Na komm, geb mir deine Schlüssel", forderte Changwook sanft und ich kam seiner Bitte nach.
Zusammen mit mir im Arm, schloss er die Haustüre auf und begleitete mich ins Innere, wo er mich behutsam zur Couch führte, auf die ich mich niederließ. Schnell schloss er die Türe wieder und setzte sich dann neben mich, ohne mich erneut in den Arm zu nehmen. Auch wenn er ein Arsch war, das war eine gute Eigenschaft an ihm. Schon immer hatte Changwook mir meinen Freiraum gegeben und nichts getan, was ich nicht wollte, mal abgesehen von seinem Seitensprung. "Dein Hals-", fing er plötzlich an. Sofort zog ich den Kragen meines Pullovers weiter nach oben. "Ich will nicht drüber reden", krächzte ich und versuchte den Schmerz in meiner Kehle zu unterdrücken. Für einen Moment sah mich mein Ex-Freund skeptisch an, nickte jedoch dann und sah mir wieder in die Augen. Jetzt wo ich wieder einen relativ klaren Kopf hatte, fragte ich mich, warum er sich überhaupt getraut hatte, hier her zu kommen. Sicher wollte er wieder über seinen Fehler reden.
"Okay, es ist jetzt anscheinend kein guter Zeitpunkt, also werde ich am besten einfach gehen und-"
"Nein!" Keine Ahnung was in mich gefahren war, aber ich wollte nicht schon wieder alleine gelassen werden. "Nein?", wiederholte Changwook verwirrt und legte den Kopf schief. "Bleib bitte noch etwas hier. Das heißt nicht, dass ich dir verzeihe, aber ich brauche eine kurze Pause von meinen Problemen." Er nickte verständnisvoll, auch wenn er trotzdem noch sichtlich verwirrt über meinen plötzlichen Sinneswandel war.
"Na schön, dann mache ich es mir mal gemütlich." Sein typisches Grinsen kam zum Vorschein und dann hatte er auch schon seine Schuhe ausgezogen und sich in der Couch zurück gelehnt.
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•Blood | Ateez Fanfiction•
FanfictionWie fühlt man sich, wenn man ganz alleine in einem düsteren Wald wohnt, wo es nur einen Friedhof gibt und eine alte Pension, von der man sich die gruseligsten Geschichten erzählt? Hyerin ist eine angehende Medizinstudentin und wohnt seit ihre Mutte...