Die Lichtung

325 16 9
                                    

„Guten Morgen. Gut geschlafen?"

Ich drehte mich wie noch vor ein paar Minuten um, blickte diesmal jedoch in das Gesicht des Blondhaarigen von heute Nacht.

Newt.

Er lächelte mich an, wartete auf eine Antwort auf seine Frage, aber ich gab sie im nicht.

Was geht es ihn denn an, wie ich heute geschlafen habe? Interessieren wird es ihn ja eh nicht. Man fragt nur aus Höflichkeit danach.
Dennoch, allzu unfreundlich wollte ich nun doch nicht rüberkommen, weshalb ich kurz mit meine Schultern zucke.
Zumindest etwas.

Ich schaute Newt kurz an, wie er mir näher kam, lenkte mein Blick jedoch hinter ihm, zur Mitte des Feldes, wo sich nun eine kleine Gruppe an Jungs gebildet hatte und Säcke sowie andere Dinge aus dem Loch von gestern rausbrachten.

„Die erste Nacht ist bei jedem nicht sehr angenehm, du gewöhnst dich aber schon dran."

Der blonde Junge blieb ca. einen Meter vor mir stehen, lächelte weiterhin.

„Komm ich zeig dir schon mal die Lichtung, dann kennst du dich hier etwas aus." Er nickte mit den Kopf hinter sich, drehte sich um und ging mit mir im Schlepptau davon. Wir ließen die Mauer immer weiter hinter uns, näherten uns der kleinen Gruppe von Jungs.

„Das Ding, womit du hier her gekommen bist, ist die Box. Die kommt jeden Monat einmal rauf und bringt uns Vorräte und einen Neuankömmling. In diesem Fall du.
Herzlichen Glückwunsch."

Die letzten beiden Sätze hörten sich leicht ironisch an. Verbittert und hoffnungslos, aber nur ganz dezent, so dass man es schon fast überhört, wenn man nicht drauf achten würde. Sein Gesichtsausdruck verzerrte sich minimal, in eine traurige Grimasse, doch so schnell wie es kam, genau so verging es auch wieder und ein falsches Lächeln zierte die Lippen des Jungen.

Ich schaute mir wieder die Jungs an, von denen einer in der gitterartigen Box war und einzelne die Sachen rausreichte.

Es waren nicht mehr viele Dinge drin, nur noch zwei Säcke.

Newt ging unbeirrt weiter, erzählte mir von der „Lichtung", wie sie aufgebaut war, was sie machten und schließlich auch von den Regeln.

„Also, wir haben mehrere Arbeiten hier, die jeder hat und auch nachgehen muss." Wir standen mit dem Rücken zum Wald und blickten auf die Lichtung, die sich vor uns erstreckte.
Hier und da liefen die anderen vorbei, zielstrebig, als wüssten sie wohin mit ihnen und als hätten sie einen Platz gefunden.

Der Morgennebel war nun vollkommen verschwunden, und ließ die Atmosphäre nicht mehr so niedergeschlagen und trüb wirken.

Ich nahm mir die Zeit alles genau zu scannen.

Ein riesiger Wald erstreckte sich hinter uns und nahm ein Großteil der Lichtung ein. In der Mitte des ganzen befand sich die „Box", die nun vollkommen leer und bereits wieder nach unten gefahren war.

Nicht weit von uns waren Felder zum anbauen von Gemüse und Obst zu sehen, viele wurden noch ausgebaut und erweitert.

Uns gegenüber, ziemlich an der anderen Seite der Lichtung, befand sich eine etwas größere „Hütte", von der mir Newt erzählt hatte, dass es das Bluthaus war, wo die Tiere gezüchtet und schließlich geschlachtet wurden.

Ich sah noch weitere kleine angefangene Hütten, eine etwas größere an denen gerade zwei hoch kletterten.
Anscheinend bemerkte Newt meinen Blick, der auf den hantierenden Jungs lag.

„Unsere Hütten waren leider nicht so stabile wie wir am Anfang gehofft hatten, aber seitdem Gally da ist, baut er alles regelrecht um.
Jetzt sehen die nicht nur besser aus, sondern sind auch so standfest, dass wir keine Angst haben müssen, dass sie mal einstürzen und uns erschlagen."

Und tatsächlich, ich erkannte Gally, wie er drei Jungs Anweisungen gab und selber mehrere Holzstapeln zu der Hütte trug.

„Also zu den Aufgaben und Regeln, es gibt einmal die Baumeister, also diese,
die für das Bauen der Hütten zu ständig sind, dann noch die Hackenhauer, die Arbeiten auf den kleinen Feldern, die Sanis, weist du was die machen. Die wohl wichtigsten von allen. Ohne die, wären wahrscheinlich schon alle Schlitzer an deren Wunden verblutet.
Achso ja und dann gibt es da auch noch die Schwapper.
Keine empfehlenswerte Arbeit. Wirklich.  Zwar haben wir bis jetzt noch keinen, der dir das bestätigen kann, aber ich denke mal dafür braucht man auch keinen Beweis.
Du wirst heute schon mal mit denn ersten anfangen, damit wir dich auch schnell einer Arbeit zu ordnen können. Dann wird dir auch nicht langweilig und du hast eine Beschäftigung."

Ich nickte nur auf seine Aussage, obwohl ich gar nicht damit einverstanden war.

Ich wollte weg von hier.

Und mich nicht den anderen einordnen, damit ich mit ihnen hier leben kann, aber ich sagte es nicht, sondern ließ es nur in mich hinein fressen.

Aber mir kam dann plötzlich ein Gedanke auf, den ich auch ohne zu überlegen laut sagte, obwohl Newt gerade den Mund öffnete um weiteres zu erzählen.

„Und was sind diese beiden Jungs, die heute Morgen durch die Öffnung gegangen sind." Meine Stimme war kalt, desinteressiert, passte nicht zu der lebhaften warmen Stimmung auf der Lichtung.

Aber warum?

Newt überlegte kurz, antwortete aber relativ schnell auf meine Frage.

„Das sind die Läufer. Diese Arbeit gibt es noch nicht so lange, erst seit knapp zwei Monaten. Wir Läufer suchen draußen nach einem Ausweg. Ist leichter gesagt als getan." Er lachte leicht zum Ende hin.

Gekünstelt. Hilflos. Hoffnungslos.
Er war am Ende.

Ich nickte nur kurz verstehend, drehte meinen Kopf dann wieder zur Lichtung vor mir, wollte sein Gesicht nicht sehen, denn ganz plötzlich tat dieser Junge, der ununterbrochen lächelte, obwohl es ihm selber schmerzte, leid.

Ich erkannte einen dunkelhäutigen Jungen, der zielstrebig auf uns zu kam.

Er war recht muskulös, hatte breite Schultern. Sein Gesicht erkannte ich erst nachdem er nur noch ein Steinwurf von uns entfernt war.
Er hatte eine relativ breite und flache Nase, volle Lippen und kurz geschorene Haare.

Anführer, dachte ich mir nur, bei seinem Äußerem, welches Dominanz sowie Seriosität ausstrahlte.

Aber nicht angst einflößend, wie man es sich sonst vorstellen würde.

„Na Alby, wo hast du so lange gesteckt?
Unser Frischfleisch musste den Rundgang ohne dich überstehen."

Freundschaftlich schlug er mit dem dunkelhäutigen Jungen ein, bevor er sich wieder zu mir wendete.

„Darf ich vorstellen? Das ist Alby, der Anführer unserer Lichtung. Gestern konnte er dich leider nicht willkommen heißen, da er flach in der Hängematte lag." Stellte mir Newt den mir gegenüber überschwänglich und grinsend vor. Kein Anzeichen von der Trübnis, die ich noch vor kurzem aus seiner Stimme heraus hören konnte.

Rein gar nichts.

𝔼𝕞𝕠𝕥𝕚𝕠𝕟𝕝𝕖𝕤𝕤Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt