Kiste

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Ich wusste nicht, ob ganz kleine Kinder immer anfingen so schnell zu weinen nach jeder Neuigkeit, die sich nicht sehr toll anhörte, doch der kleine Junge, welcher neben mir saß, tat es herzzerreißend. Er machte sich nicht die Mühe seine Tränen wegzuwischen, denn nur neue würden kommen und seine Wange wieder durchnässen. Ein Zittern ging durch seinen Körper, das merkte und sah ich gut genug, als er sich ohne Vorwarnung an mich drückte und seine kleineren Arme um meinen Bauch schlang. Ratlos blieb ich in dieser Position verharrt. Was sollte ich tun? Wieso umarmte er mich und suchte nicht seine Ruhe, wie ich es immer tat?
Soll ich die Umarmung erwidern? Aber was würde es ihm bringen? Besser könnte er sich doch nicht fühlen.

Fragen um Fragen erfüllten meinen Kopf, nur wegen dieser einen kleinen Geste von dem neuen Jungen, bei dem der Name noch unbekannt war.
Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, versuchte sich an eine Information zu erinnern, die ihm die Antwort gab, wie ich mich jetzt verhallten sollte, doch er fand nichts. Stattdessen saß ich starr neben ihn. Wartete bis der Kleine sich beruhigt hatte und sich selbstständig von mir löste.
Er schnief ab und zu noch, zog seine Nase geräuschvoll hoch und wischte sich immer wieder die halb getrockneten Tränen von seinen geröteten Wangen weg.

„Geht's wieder?" fragte ich leise, beobachtete den Jungen weiterhin.
Er nickte nur leicht, schaute mit gesenktem Kopf nach unten, die eine Hand an seine Brust gedrückt. Er saß da in sich zusammen gesunken. Zeigte das, was wir alle eigentlich waren.

Elend. Wir sind nichts außer ein großer Haufen Elend, welcher in einem Käfig lebt, verzweifelt versucht sich einzureden, dass es bald von hier weg sein wird, doch die Wahrheit war eine hässliche und schmerzhafte Realität, die einem mit roher Gewalt ins Gesicht geworfen wird. Und genau diese Wahrheit habe ich diesem unschuldigen kleinem Kind erzählt. Wegen mir hatte es so schrecklich geweint.

Sollte ich eigentlich nicht ein Gefühl spüren? Etwas, was mir sagte, dass es falsch war? Ich habe von Winston erfahren, dass er manchmal so ein Gefühl hatte. Er nannte es Reue, Mitleid und noch was anders. Immer wenn er ein Tier tötete fühlte er dieses Gefühl, welches so schmerzhaft war, so erklärte er es mir.
War es gut, so etwas nicht fühlen zu können? Oder steht es für etwas schlimmes? Ich wusste es nicht und um ehrlich zu sein, war es mir in diesem Moment schrecklich egal.

„Heute wird ein Fest gefeiert. Wird bei jedem Neuankömmling so gemacht. Geh freiwillig dahin, wenn nicht dann wirst du leider dort hin gezwungen." Ich stand auf, als ich bemerkte wie eine Person zu uns kam. Alby schritt zügig mit erhobenem Haupt auf uns zu, ein Lächeln auf den Lippen, als wäre in den letzten Tagen nichts passiert. Als wäre es unnötig und belanglos gewesen, dass Jason mich geschlagen und vor der Gruppe bloß gestellt hatte.

Kurz bevor er bei uns ankam, verabschiedete ich mich vom kleinen, in dem ich ihm kurz auf die Schulter klopfte und ein „Bis dann" nuschelte.
Ich wollte Alby heute nicht mehr sehen. Am liebsten würde ich heute gar keinen mehr sehen, aber das ging leider nicht, denn Arbeit gab es aus irgendeinem verfluchten Grund immer auf dieser verdammten Lichtung.

Somit begab ich mich wieder in das Schlachthaus, welches aber schon bald nicht mehr der Arbeitsplatz von uns Schlitzern sein wird, da die Baumeistern schon bald mit der neuen Hütte fertig sein werden und traf dort auf Winston und Luka, die gerade mit aller Kraft ein Schwein auf den Metalltisch hievten und dann erstmal kurz erschöpft verschnauften.

„Braucht ihr Hilfe?" fragte ich nur um die Aufmerksamkeit von beiden auf mich zu lenken. Zwei Köpfe drehten sich ruckartig zu mir, schauten mich verwundert sowie erleichtert an.

„Da bist du ja wieder. Hast du dem Frischling alles erklärt." Luka drehte sich wieder zum Schwein, welches laut quiekend auf dem Tisch lag. Ein einfaches ja, gab ich ihm zur Antwort.

„Du kannst nach den Tieren gucken, wenn du willst. Luka und ich schaffen das mit dem Schwein schon."
Winston lächelte mich kurz an, bevor auch er seine Aufmerksamkeit dem nicht mehr lange lebendigen Tierchen schenkte.

Draußen bei den anderen Tieren, füllte ich das Wasser sowie das Futter auf und untersuchte jede Kuh, Schwein, Schaf, Ziege, ja selbst die Hühner wurden von mir begutachtet. Ich suchte nach Verletzungen, nach offenen Wunden oder Beschwerden, denn dadurch dass die Tiere auf so engem Raum zusammen leben, können Krankheiten und Infektionen sich umso schneller verbreiten.
Die Quelle des Wissens kannte ich nicht. Wusste nicht, woher ich dies wusste. Ich wusste, dass ein Tag 24 Stunden besaß, obwohl wir hier keine Uhren benutzen, sondern uns an dem Stand der Sonne orientierten.
Ein Jahr hatte 12 Monate, im Winter schneite es für gewöhnlich, der angebliche Weihnachtsmann brachte dann immer Geschenke in dem er durch das Kamin geflutscht kam inklusive seines dicken Bauchs und den riesengroßen Sack an Geschenken.

Ich wusste all dies. Aber nur woher? Keine Ahnung und ich hatte auch kein Lust es herauszufinden. Ich wendete mich dem gehen zu, zurück in die heruntergekommen Hütte, in welcher Winston und Luka bestimmt schon fertig sein müssten, doch ein Rufen brachte mich zum stehen. Seine Schritte waren unverkennbar, schnell, fließend und leichtfüßig. In meinen Augen glitt er manchmal über die Lichtung, meistens hörte man ihn sogar nicht, wenn man nicht ganz genau hin hörte.

„Hey, ich habe hier was für dich."
Newt kam neben mir zum stehen, grinste mal wieder und klammerte seine Hände an eine Wassermelongroße verschlossene Holzkiste. Ich legte meine Stirn kurz in Falten, zog die Augenbrauen zusammen und schaute mir die Kiste, ohne jegliche Anstalt sie entgegen zu nehmen, an.
Warum sollte für mich etwas gebracht worden sein? Von wo kommt das überhaupt?

„Was ist das?"
Fragte ich an Newt gewandt, die müden Augen weiterhin auf die rechteckige Kiste gewandt, als wäre dadrin etwas gefährliches, welches mich direkt anspringen möchte.

„Weis ich nicht. Es wurde mit dem Frischling nach oben geschickt. Dadrauf lag nur ein Zettel, wo drauf stand, dass es für das Mädchen ist."
Er drückte mir die Kiste letztendlich in die Hand, verabschiedete dann von mir, da er noch mit Minho und einem weiteren Läufer etwas besprechen musste und ging dann genau so schnell wie er gekommen war auch wieder.

Was? Etwas ist für unsere Ex-Frischling raufgekommen? Aber nur was? Und was haltet ihr von dem neuen 👀?
Puh, da habe ich auch aber mit vielen Fragen alleine gelassen. Tut mir leid

Eure

HopeOfDestruction

𝔼𝕞𝕠𝕥𝕚𝕠𝕟𝕝𝕖𝕤𝕤Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt