Kapitel 9

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"Wieso lässt du mich nicht gehen?", presse ich hervor und hoffe, dass Marc das Zittern in meiner Stimme nicht bemerkt.

"Ach, es ist einfach so spaßig mit dir!", flötet er und betont das Wort spaßig als wäre es das wunderbarste Wort dieser Welt.

"Wieso sollte ich dich denn dann gehen lassen?" Darauf gebe ich keine Antwort.

"Nun denn... Wie ist es dir in meinem Gang ergangen? Bist du gut zurechtgekommen? Ich hoffe, es war nicht allzu ängstigend?" Heuchler.

"Es war wundervoll, ein wahres Paradies", erwidere ich trocken mit spöttischem Unterton. Doch diesen ignoriert er gekonnt ohne auch nur ein Mal die Stirn zu runzeln.

"Dir bekommt so viel Gutes wohl anscheinend nicht, Prinzessin. Schließlich musste ich dich ja halbtot von den Stufen kratzen... Das war auch für mich nicht so angenehm, wie ich dich auf Armen eine ewige Treppe hinuntertragen musste. Meine Knie sind ja mittlerweile auch schon seit mehreren Jahren in Benutzung."

Vielleicht sollte es witzig sein, doch seine Augen zeigen keine Spur von Belustigung. Außerdem fällt mir seine merkwürdige Formulierung auf, dass seine Knie in Benutzung seien. Nicht dass es sie gibt oder wie alt er ist.

Konnte er sie länger nicht benutzen? Wenn ja, dann aus welchem Grund? Hatte er einen Unfall?

Letzteres streiche ich sofort wieder, da es bei dem heutigen Verkehrsystem praktisch unmöglich ist, einen Unfall zu haben.

Aber als ich noch zur Schule ging, hat der Lehrer uns davon erzählt, dass es früher oft Autounfälle gegeben hat, weil dort noch alles von einem Menschen gesteuert werden musste. Heutzutage läuft das alles automatisch und alle Systeme sind ausnahmslos miteinander verknüpft, sodass ein defektes System sofort auffällt und gemieden werden kann. Noch dazu trägt ein einzelner Mensch so nicht mehr solch eine große Verantwortung, was für weniger Stress und sich somit auch positiv auf die allgemeine Atmosphäre auswirkt.

Ich bin nur von wenigen technischen Erfindungen begeistert, doch diese SGW - Systemgesteuerten Wagen - haben mich tatsächlich überzeugt.

Mom und Dad hatten auch einen, doch dann mussten sie ihn verkaufen, da das nunmal eine unserer größten Geldanlagen war und wir das Geld dringend brauchten.

"Schau doch nicht so ernst drein", meint Marc auf einmal und klingt dabei überraschend ehrlich freundlich. Doch das legt sich schon mit seinem nächsten Satz wieder.

"Davon kriegst du Falten, das sieht scheußlich aus." Mahnend, gefühlskalt und tadelnd; Marc ist wieder ganz der Alte.

"Du kannst mich nicht ewig hierbehalten. Und wenn du mich nicht gehen lassen willst, werde ich immernoch irgendeinen Weg finden, um mich umzubringen", fauche ich. Natürlich ist das ein Bluff, doch ohne ein bisschen übertriebene Selbstsicherheit komme ich bei ihm nicht weiter, selbst wenn ich eigentlich gar nicht die Energie und Nerven für so viel Theater.

"Ich habe mich um alles gekümmert", erwidert er wie die Ruhe in Person.

"Wir werden eine unglaubliche Zeit zusammen haben", fährt er entzückt fort. Ich bin viel gute Laune zwar von meinem Bruder gewöhnt, doch Marc bringt mich wirklich an meine oberste Toleranzgrenze.

"Und wie lang soll das deinem Plan nach sein?" Den genervten Unterton brauche ich nicht einmal zu spielen.

"Natürlich für immer, Beth", erklärt er, als sei das ganz selbstverständlich und ich nur zu dämlich um es zu verstehen. Ungläubig sehe ich ihn an, aber er würdigt mich nicht eines Blickes.

"Super Plan. Und was für eine Horrorstory hast du als nächstes mit mir vor?" Die Frage ist ironisch gemeint, deshalb erstaunt es mich umso mehr, als er mir eine ernsthafte Antwort gibt.

"Lass mich überlegen... Ach, als nächstes darfst du erstmal entspannen." In seinen Augen suche ich nach einem Anschein einer Lüge oder auch nur der Spur von Sarkasmus, jedoch ist alles was ich erblicke, der wahrscheinlich ehrlichste Blick, den ich jemals gesehen habe, sodass es mir beinahe schon die Sprache verschlägt. Ich wende den Blick ab und lasse meinen Kopf zurück in das platte Kissen sinken. Es gibt keinen Grund ihm zu vertrauen, aber im Moment gibt es auch keinen Grund ihm nicht zu glauben.

"Oder findest du eine Dusche unter meiner Aufsicht etwa schrecklich?", fügt er hinzu und mein Kopf schnellt in seine Richtung zurück.

Ein böses Grinsen umspielt seine Lippen, seine Augen strahlen eine unheimliche Kälte aus.
Und du hast ihm doch tatsächlich geglaubt, ihn unterschätzt. Wie dumm.

Mit einer Dusche habe ich kein Problem. Mit einer Dusche, während der er mich begaffen wird, schon. Sehr sogar.

Ich werde nichts tragen und er wird mich beobachten, dagegen kann ich nichts unternehmen.

"Ich werde mich nicht ausziehen", stelle ich klar. Die beabsichtigte Selbstsicherheit passt nicht auf meine zitternde Stimme und er merkt das. Und es freut ihn.

Dafür hasse ich ihn sofort nochmehr.

"Wie gut, dass du das nicht entscheidest, Prinzessin", schmunzelt er.

"Ich hasse dich, Marc. Ich verabscheue dich", knurre ich, das Zittern aus meiner Stimme ist nichtmehr zu erahnen, da das bebende Gefühl des Hass es restlos überschattet.

"Ich weiß, Beth,", lächelt er, "Ich weiß."




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A/N
Sorry, dass es erst jetzt kommt... Musste erst einiges planen und durchdenken aber naja...
Hier ist das Kapitel ^-^
Hoffe ihr mögt es ?

-Kim

PerfectionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt