Kapitel 11

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Wasser, immer mehr Wasser und es scheint nicht aufhören zu wollen. Mein Herz pocht wie verrückt, jedoch nicht wegen des Wassers, das mittlerweile bis zu meiner Taille reicht, sondern vielmehr, weil Marc seelenruhig meine steigende Panik beobachtet.

Der Fakt, dass rein gar nichts mehr meinen Körper bedeckt, scheint ihn nicht annähernd zu interessieren.
Ellie, entspann dich. Tu ihm doch nicht diesen Gefallen, dein Leiden zu sehen! Kehr ihm den Rücken zu und beruhige dich, es ist alles in Ordnung. Es ist nur ein bisschen Wasser.

Mein Verstand beginnt damit, wieder die Führung zu übernehmen und ich bin dankbar dafür, endlich in der Lage sein zu können, meinen zittrigen Körper wieder unter Kontrolle zu bringen.

Meine Arme stemme ich gegen die Wände, um mir mehr Halt in den Bewegungen des schwappenden Wassers zu verschaffen. Während ich mich zu einem tiefen Atemzug zwinge, schließe ich die Augen.

Das Gefühl meiner Handflächen an den kalten Wänden, meiner geschlossenen Augen und meines Bemühens, die Fassung zu bewahren, versetzt mich automatisch in den dunklen Gang hinter der schweren Tür zurück. Für diesen Moment vergesse ich das Wasser, das aus dem Nirgendwo zu kommen scheint, und fühle wieder die steinernen Treppenkanten an meinen wunden Handflächen und den Schmerz in meinen Beinen, Armen, Rücken, Kopf, Hals.
Durst.

Die Realität schwappt wieder über mich, so wie das Wasser immer weiter über meine Schultern schwappt. Ich habe seit Tagen nichts getrunken und bin nun umgeben von Wasser - Sollte ich mich nicht eigentlich freuen?

Doch was ist, wenn ich mich gar nicht in Wasser befinde?
Probieren geht über studieren, höre ich meine Großmutter sagen. Ich weiß nicht was studieren ist, doch Großmutter hat mir erklärt, dass dieses Sprichwort bedeuten soll, dass man etwas einfach probieren statt ewig über die Entscheidung grübeln soll.

"Na dann, Granny. Auf deine Verantwortung", murmel ich und hole tief Luft. Das nächste, das ich wie eingeprobt tue, ist, unterzutauchen und meinen Mund zu öffnen, um etwas der Flüssigkeit zu kosten.

Sie hat weder einen auffälligen Geschmack, noch löst sie irgendwelche Schmerzen aus. Von jetzt an übernimmt mein Überlebensinstinkt und als ich wieder auftauche, habe ich das Gefühl, das Becken um einige Liter erleichtert zu haben. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob das Becken sich überhaupt noch weiter gefüllt hat; das Wasser bedeckt immernoch nur leicht meine schmalen Schultern.

Vielleicht ist Becken aber auch nicht das geeignete Wort, vielleicht sollte man es eher ein Aquarium nennen. Ich befinde mich hier drin und werde beobachtet wie ein bunt schillernder Fisch in einem überdimensionierten Aquarium.

Die Wasseroberfläche wird ruhiger, ich dadurch jedoch noch unruhiger. Wieso tut er das, wieso hat er Gefallen daran, mich wie ein Tier zu halten und mit mir zu spielen?
Er ist krank. Einfach nur krank.

Ihn zu verurteilen, hilft mir nur im Moment leider auch nicht weiter. Die Wasseroberfläche beginnt wieder sich zu kräuseln und quer durcheinander zu zwirbeln und das Wasser steigt mir bis auf Kinnhöhe.

Weiter, weiter, immer weiter steigt das Wasser. Doch woher kommt es? Es muss eine Öffnung im oder am Boden geben, die mit einer Röhre an irgendein Wasserversorgungssystem oder einen privaten Wasserkanister angeschlossen ist. Wenn es so eine Öffnung gibt, dann muss es auch möglich sein, diese zu verschließen und somit die Wasserzufuhr zu stoppen.

Ich habe nur leider das Problem, dass ich nichts mehr an mir trage, womit ich die Öffnung verstopfen könnte. Marc hat an alles gedacht und egal, was ich unternehme, er ist mir immer mindestens einen Schritt voraus.

Ja, das ist deprimierend.

Nein, Selbstmitleid hat noch niemandem das Leben gerettet.

Trotzdem überkommt mich Verzweiflung, ich sehe keine Möglichkeit, sein komplett durchgeplantes "Spiel" zu gewinnen.

Wasser klatscht gegen meine Wange, eine kleine Welle bildet sich und ich atme ungeschickterweise einen Großteil davon ein. Hustend versuche ich, mich über Wasser zu halten. Mit den Armen rudernd, von weiteren Hustenanfällen geschüttelt und gekrümmt winde ich mich, während Marc mich starr weiter anstarrt.

Meine Lunge ist kurz vorm Explodieren, doch ihn interessiert das offensichtlich herzlich wenig.

So langsam bin ich ich wieder in der Lage, meinen Körper mit Sauerstoff zu versorgen und kann mich nun mehr darauf konzentrieren, mich mit möglichst wenig Energieaufwand über Wasser zu halten.
Das wenige Essen und der lange Aufenthalt in der Kälte in der Zeit zwischen meiner Flucht vor meinen Eltern und Marcs Kidnapping-Aktion macht das Ganze noch etwas schwieriger. Ich habe kaum Kraft, geschweige denn eine besonders gute Ausdauer.
Marcs Blick brennt auf meiner Haut wie Feuer und kein Wasser kann es löschen.
Wasser... so viel Wasser... zu viel, viel zu viel...
Es muss eine Öffnung geben, irgendwo unter mir.
Ich fülle meine Lungen mit einer ordentlich Portion Sauerstoff, dann tauche ich unter. Meine Augen wandern quer durch das Folterbecken, aber ich weiß nicht, wonach ich überhaupt suche.
Mein untrainierter Körper ist jetzt schon nicht mehr weit von seinem Limit entfernt, weswegen ich so schnell wie möglich zum Boden paddle. Mit den Händen als Hilfe an den Fliesen halte ich weiter Ausschau nach etwas Auffälligem. Der Sauerstoffmangel beginnt sich bemerkbar zu machen; meine Lider wollen mir kaum noch gehorchen und auch meine restlichen Muskeln bewegen sich nicht nach meinen Vorstellungen.
Da ich unter Wasser kaum etwas erkennen kann, fahre ich nun bedächtig mit meinen Fingerkuppen über die glatten Fliesen. Ich finde keine Einkerbung, keine Auffälligkeit, keinen Unterschied, keinen stärkeren Strom aus irgendeiner Richtung.
Die flüssige Todeswaffe scheint von überall zu kommen und gleichzeitig von nirgendwo. Wie hält man etwas auf, das unaufhaltbar ist?
Wasser ist stark und sanft, heiß und kalt, zerstörend und schmeichelnd, unsichtbar doch immer da. Kontraste. Marc hat mich von der Straße geholt, nun foltert er mich. Kontraste. Marcs Seele ist vollkommen verschmutzt, das Wasser die Reinheit. Kontraste. Die Fliesen sind schwarz, die Fugen weiß. Kontraste.
Zufall? -Nein. Marc ist nicht der Typ -oder eher der Psychopath- für Zufälle.
Die Fugen, aber natürlich!
Das Wasser kommt aus den Fugen, eine andere Möglichkeit existiert nicht. So kann das Wasser von überall kommen und gleichzeitig von nirgendwo.
Diese Erkenntnis reißt mir die Augen auf und zieht mich somit aus meinem tranceartigen Zustand, der von der viel zu geringen Sauerstoffzufuhr ausgelöst wurde. Umso durchdringender ist nun mein verzweifelt schlagendes Herz und das unbeschreibliche Verlangen zu atmen, das mir vermutlich den Atem rauben würden, wenn ich nicht ohnehin schon beinahe ertrunken wäre.
Meine Arme treiben um mich herum, meine Beine befinden sich weiter unter meinem Oberkörper, meine Haare wirbeln wie eine dunkle Tintenwolke um mein Gesicht und meine Schultern. Von irgendwoher aus meinem Körper kratze ich noch genügend Energie zusammen, um mich sachte vom Boden abzustoßen.
Fast wie in Zeitlupe treibe ich weiter nach oben, bis mein Kopf unerträglich langsam aus den ruhigen und doch tödlichen Wellen dringt. Dünne Haarsträhnen legen sich wie eine Decke klebend über mein Gesicht. Ein Reflex bringt meine Lungen wieder zum arbeiten.
Wie tot an der Wasseroberfläche treibend öffne ich für einen Moment meine Augen. Mein Blick findet augenblicklich den seinen. Die gewohnte Gleichgültigkeit und Kälte erreicht schon mein Inneres, bevor ich überhaupt seinen Blick deuten kann.
Doch dies hört auf, denn diesmal ist es anders.
Ich sehe nicht den kranken Psychopathen, der so viel Spaß am Quälen hat. Ich sehe einen verzweifelten jungen Mann, der aus angstgefüllten Augen zu mir emporsieht. Er scheint meinen Schmerz zu spüren und meine Angst wiederzuspiegeln.
In diesem Moment ist es nicht Marc, der zu mir aufsieht; ich weiß nicht wer er ist.

Was für ein Spiel wird hier gespielt?

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A/N
Es tut mir so leid! Es gibt nicht einmal einen besonderen Grund für die ewig lange Pause...
Ich hoffe ihr seid mir nicht allzu böse und das Kapitel gefällt euch trotzdem ?

-Kim

PerfectionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt