Fürsorge

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Ich halte mir die Hand vor die Augen und lächle, damit man denkt ich würde mich freuen.
"Ich muss mich kurz entschuldigen.", Wispere ich und rausche davon.

Kaum bin ich aus dem Wohnzimmer, nehme ich die Hände von meinem Gesicht und schluchze stumm, während ich den Weg zu meinem Zimmer fortsetze.
Es fühlt sich an, als hätte ich mich selbst betrogen. Mich selbst und die unwissende Jonghi.

Sie denkt sicherlich nun, dass sie einen Ehemann haben wird, der sie eines Tages aus ganzem Herzen lieben wird...
Wenn es nicht das ist, dann erwartet sie wohl logischerweise, dass ich ihr ein vernünftiger Mann sein werde, der mit ihr Nachwuchs zeugt.

Mein schlechtes Gewissen plagt mich.
Ich bin egoistisch oder?
Natürlich bin ich egoistisch.
Alles was ich entschieden hätte wäre egoistisch gewesen.
Die Entscheidung zwischen Geld und Glück. Beides gute Dinge...
Purer Egoismus.
Welche Entscheidung hätte man treffen können, damit es nicht egoistisch wäre?

Hetero sein. Nur ist das keine Entscheidung.

Ich habe mittlerweile mein Zimmer erreicht.
Schwer atmend wische ich mir die Tränen aus den Augen, welche jedoch unaufhörlich weiterlaufen, blicke an die Decke und laufe unruhig hin und her.
Ich muss mich beruhigen. Einfach entspannen.

"Es ist nichts los Jimin, ganz ruhig.", Rede ich mir selbst zu und wuschel mir durch die Haare.
Ich atme tief ein und wieder aus, setze ein Lächeln auf, um mir selbst ein paar Glückshormone zu beschaffen.

Doch statt Glückshormonen, kriege ich Aggressionen, weshalb mein Lächeln sich in eine wütende Miene verzieht.
"Verdammte Scheiße! Ich hasse es!" Wütend wie lange nicht mehr trete ich gegen einen Hocker und schmeiße meinen Schreibtischstuhl um.
Ich atme unregelmäßig ein und aus und starre gegen die weiße Wand.

Alles passiert, weil ich außer Kontrolle bin. Meine Emotionen haben die Überhand gewonnen, weshalb ich nach dem kurzen Ausbruch einen lauten Schluchzer von mir gebe und verzweifelt auf die Knie falle.
Ich lehne mich weit nach vorne so, dass ich meinen Kopf in meinen Armen vergraben kann, die auf dem Boden liegen.

Das darf nicht wahr sein.
Ich kann Jonghi nicht heiraten.
Für ihr Wohl und auch für mein eigenes.

Ich schluchze jämmerlich und schließe meine Augen.
Gerade als ich in Selbstmitleid versinken will, klopft es leise an der Tür.
Ich erstarre, blicke auf den nahen Boden und beobachte, wie die Tränen auf meinem Teppich landen.
Ich habe komplett vergessen, dass ich noch mitten in einem verdammten Gespräch bin.

Ohne Aufforderung öffnet sich die Tür, leise wird sie auch wieder geschlossen. Ich höre dumpfe Schritte und mache mich schon auf einen Haufen Ärger gefasst, als ich plötzlich eine Hand auf meinem Rücken spüre.
Zögerlich, aber auch verwundert,  werfe ich einen Seitenblick zu der Person...

Und bin erleichtert. Naja, so erleichtert, wie man es in dieser Situation sein kann.
Ich stütze mich auf die Knie und gucke aus verheulten, unschuldigen Augen auf Seokjin.

"Komm her.", Murmelt er und breitet seine Arme aus. Ich fange wieder an zu wimmern und strecke mich, ohne zu zögern, nach ihm aus, um fest meine Arme um ihn zu legen.
Ich bin so eine Heulsuse...

"Es ist okay zu weinen.", Flüstert Jin mir in mein Ohr und streicht mir beruhigend über den Rücken.
Es ist eine Art Zuneigung, von der ich nicht gedacht hätte, dass ich sie noch einmal brauchen würde.
Anscheinend hatte ich vergessen, wie gut es sich anfühlt einfach eine tröstende Umarmung zu bekommen.

Lange Zeit hocken wir hier so auf dem Boden, bis ich mich langsam von Jin löse und betroffen auf meine Hände schaue.
"Willst du mir erzählen, was dich bedrückt?"
Ich hebe meinen Arm, um mir die Tränen aus den Augen zu wischen, als Jin mir ein Taschentuch hin hält.
"Mach dir den schönen Anzug nicht kaputt.", Meint er dazu.
Dankend nehme ich es an und tupfe mir die Feuchtigkeit aus dem Gesicht.

"Es ist nur...", Beginne ich, doch stocke.

Kann ich es Jin erzählen? Er wirkt wie eine fürsorgliche Person, doch ist er auch tolerant?
Er wird wohl einen Grund hören wollen, warum ich Jonghi nicht zu meiner Frau nehmen möchte.

Er betrachtet mich abwartend.
Ach scheiß drauf, ich habe sowieso nichts zu verlieren.
Ich hebe meinen Kopf und gucke ihm direkt in die dunklen Augen.

"Ich kann Jonghi nicht heiraten, weil ich... Männer liebe."

𝐇𝐚𝐭𝐫𝐞𝐝 [VMIN] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt