Ich saß im Seminar neben Marieke und starrte auf das Display meines Handys. Seit fünf Minuten versuchte meine Mutter jetzt schon ununterbrochen mich zu erreichen. Sie hatte meine Nachricht ignoriert, in der ich sie freundlich, obgleich auch ein wenig bissig, darauf hinwies, dass ich gar nicht rangehen konnte, selbst wenn ich es gewollt hätte. Ich saß mitten in einer Projektbesprechung.
„Pari", nannte Marieke meinen Namen. „Das nervt. Du bist unkonzentriert und sowas können wir gerade nicht gebrauchen. Geh raus und wimmle wen auch immer ab; unsere Präsentation muss bis morgen stehen, das ist wichtig." Der intensive Blick, den sie mir aus ihren dunkel geschminkten Augen zuwarf, verriet, wie sehr sie sich über mich ärgerte.
„Tut mir leid", entschuldigte ich mich, ich sah es ja ein. Direkt schnappte ich mir mein Handy und verließ den Raum, um auf dem Gang mit Mama zu telefonieren.„Endlich gehst du ran!", rief meine Mutter erleichtert, als ich ihren Anruf entgegennahm.
„Es ist gerade wirklich ungünstig", knurrte ich schlecht gelaunt. „Mach's einfach kurz."Und sie machte es kurz.
„Du musst deine Schwester von der Schule abholen." Ich presste den Hörer näher an mein Ohr.
„Etwa jetzt sofort?"
„Ich muss gleich zu meiner nächsten Führung und Papa hat in der Praxis wie immer alle Hände voll zu tun. Aber die Sekretärin der Schule hat angerufen. Sie meinte, Laya hätte sich übergeben und dass es das Beste wäre, wenn jemand käme, um sie abzuholen."Durch die in die Tür eingelassene Glasscheibe beobachtete ich Marieke, die aufgestanden war und sich angespannt zu unserem Erstsemester-Küken vorbeugte, dem sie ganz genau schilderte, was seine Aufgabe war. Ich wollte sie nicht hängenlassen.
„Kann nicht eine Freundin sie nach Hause begleiten?", fragte ich hoffnungsvoll.
„Nein, ihre Freundinnen schreiben alle eine Mathe-Arbeit." Ich blinzelte überrascht und kehrte dem Raum den Rücken.
„Laya ist schon wieder aus einer Klassenarbeit rausgegangen?"
„Holst du sie nun ab oder nicht?", überging Mama mich gereizt.
Wütend über ihre harte Entscheidungsfrage fuhr ich sie an: „Wieso kann keiner deiner Kollegen deine Führung übernehmen? Sie ist deine Tochter!"
„Und deine Schwester, Pari, also komm mir nicht auf die Tour!", giftete sie augenblicklich zurück.
Ich unterdrückte einen Fluch. „Bei mir steht eine wichtige Gruppenarbeit an, Mama", argumentierte ich so ruhig wie möglich.
„Beantworte mir eine Frage, Pari, bevor du mich weiter aufhältst: Wie sollen wir dir dein wildes Studentenleben finanzieren, wenn du uns nicht arbeiten lässt?!"Ich glaubte, mich verhört zu haben.
„Mein was?! Jetzt ist aber gut, sag mal, hast du sie noch alle?! Mein wildes Studentenleben! Ich glaub, ich werd' nicht mehr! Wehe du kommentierst das noch weiter, verkneif dir das bloß! Ich hole Laya ab und heute Abend wechseln Papa, du und ich mal ein ernstes Wort miteinander." Ohne mich zu verabschieden, legte ich auf.
Es ging mir gehörig gegen den Strich, wie Mama mit mir gesprochen hatte, aber wenn es meiner Schwester schlecht ging, blieb mir keine Wahl. Schnellen Schrittes marschierte ich zu den anderen an unseren Tisch und feuerte meinen Kram in die Tasche. Marieke funkelte mich warnend an.
„Was soll das denn jetzt werden?"
„Familiärer Notfall, ich muss weg", gab ich knapp zurück.
Marieke packte mich am Arm. Ihre schwarz lackierten, falschen Fingernägel gruben sich in meine Haut.
„Willst du mich eigentlich verarschen?", zischte sie. „Ist das dein Ernst, dass du mich hier allein lässt? Was ist denn nur los mit dir in letzter Zeit?"
„Rieke, ich kann mir deine Moralpredigt gerade nicht reinziehen, kapiert?" Entschlossen riss ich mich von ihr los und warf einen Blick in die Runde. „Schickt mir eure Folien bis 23 Uhr und denkt daran, den richtigen Folienmaster zu benutzen. Ich lade alles hoch. Wir sehen uns morgen früh."
Ihre gemurmelten Verabschiedungen hörte ich nicht mehr.Verzweifelt versuchte ich mich Minuten später auf die Begleitlektüre zu einem meiner Pflichtkurse zu konzentrieren, doch es wollte mir nicht gelingen. Also schob ich das Bibliotheksbuch zurück in meine Manteltasche und öffnete stattdessen Instagram. Zu Iaras neuem Job gehörte es, regelmäßig Social-Media-Präsenz zu zeigen und ich wurde beim Betrachten des Fotos, das sie heute gepostet hatte, daran erinnert, dass ich meinen eigenen Feed sträflich vernachlässigte. Nicht, dass es irgendwen interessiert hätte. Das letzte Bild von vor zwei Wochen zeigte Marieke und mich nach dem Sport. Marieke ... Ich hoffte, dass sie nicht allzu sauer auf mich war und sich bald einkriegen würde.
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Don't Enter the Friendzone
Fanfic~ Auf der Suche nach uns selbst kann uns niemand begleiten. ~ Pari hat sich nie sonderlich für die Leute interessiert, mit denen Iara, ihre beste Freundin, sich sonst so umgibt. Die meisten von ihnen verdienen Unsummen mit ihrer Musik und treten deu...