25. Kapitel: "Atemnot, Nahtoderfahrung."

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„Hey." Aus meinen nassen Haaren tropfte das Regenwasser auf Dags Fußmatte. Er nahm mich von oben bis unten in Augenschein, ehe er aus der Tür trat und den Weg für mich freimachte. „Hast du ein Handtuch für mich?", fragte ich.
„Ja, klar." Er verschwand ins Bad. Ich schnappte mir einen seiner Hoodies und schälte mich aus den engen Jeans, die mir unangenehm an den Beinen klebten.
„Hier." Dag war zurückgekehrt und drückte mir ein gelbes Handtuch in die Hand, mit dem ich mir die Haare trocken tupfte. Vorsichtig, um die Struktur nicht aufzurauen. Aufgepuffte Augen reichten mir, ich brauchte nicht noch eine Puff-Frisur, wortwörtlich. Was anderes war seine Wohnung für mich auch ohnehin nicht mehr, seit meine Laune zum Lachen in den Keller ging.

 „Willst du hier pennen?", fragte er. Ich nickte knapp. Mir blieb kaum was anderes übrig.
„Iara ist bei Tua und Mika hat mich für die Nacht aus der WG geworfen." Um den heißen Brei herumzureden lohnte eh nicht mehr.
„Scheiße, habt ihr gestritten?", erkundigte Dag sich.
„Ziemlich heftig sogar", bestätigte ich.
„Bier?", bot er an und ich nickte wieder. Mit zwei Flaschen in der Hand lief er auf die Couch zu, auf der ich mich ebenfalls niederließ, nachdem ich mein Handy ausgeschaltet hatte. Der Rest der Welt konnte mich gerade mal sowas von und das schloss jeden mit ein. Außer Dag vielleicht, so aus der Not heraus. Mit ihm würde ich mich arrangieren müssen, wenn ich heute Nacht nicht auf der Straße schlafen wollte.

„Was war denn los?", fragte er und legte einen Arm um meine Schultern; aus Gewohnheit. Scheiß-Gewohnheit, solche Gewohnheiten durften wir erst gar nicht haben, grummelte ich innerlich. Ich biss mir auf die Unterlippe ... Irgendwann schmeckte ich Blut. Ging das nicht zu weit? Wie viel Teilhabe ist zu viel Teilhabe am Leben desjenigen, mit dem man eigentlich bloß ab und an schläft? „Lass dir Zeit", meinte Dag verständnisvoll. Mir wurde warm ums Herz davon und ich war kurz davor aufzuweichen. „Hauptsache, du schweigst mich nicht den ganzen Abend an", setzte er dann aber hinzu und ich versteinerte wieder.

Drei Züge trank ich von dem tschechischen Pils und starrte dabei die nackte Wand gegenüber an. So ein Scheiß-Tag. Aber jetzt war ich ohnehin hier; was ich hatte ich schon zu verlieren, wenn ich ihm von der Sache erzählte? Unsere lockeren Zeiten waren doch eh längst vorbei. Ich kam immerhin zu ihm, wenn ich nicht wusste, wo ich sonst übernachten sollte. Meine Füße hatten mich völlig automatisch zu seiner Wohnung getragen.

„Mika und ich hatten mal was miteinander", begann ich ganz am Anfang. Dag warf mir einen schiefen Blick zu.
„Echt jetzt?", hakte er misstrauisch nach. „Er wirkt auf mich null als wäre er dein Typ."
„Verwechsle das mal nicht. Du bist eigentlich nicht mein Typ." Ich tippte nachdrücklich auf seine Brust. „Rein optisch konnte ich mit Mika schon immer was anfangen und zu Abi-Zeiten hat sich zwischen uns was ergeben. Wir hatten beide Stress in der Schule und er außerdem daheim. Rummachen hat uns einfach von allem abgelenkt", gestand ich. Dag kniff die blauen Augen zusammen.
„Macht ihr aber nicht mehr, oder?"
„Nein, natürlich nicht", wehrte ich angewidert ab und schämte mich sofort wieder dafür. Woher kam dieser abwertende Tonfall bloß? Iaras Frage war berechtigt gewesen: Wann war ich zu dieser widerlichen Person geworden?

„Hättest du dir was Festes mit ihm vorstellen können?", wollte Dag wissen.
„Nein. Aber anscheinend mochte ich ihn mehr als er mich, wie ich heute erfahren habe, und das wurmt mich irgendwie, obwohl es das nicht sollte." Seufzend stand ich auf, tigerte hinter dem Sofa auf und ab, während ich – völlig in Gedanken versunken – mein Bier leerte. Ich mochte Konflikte nicht; ganz besonders nicht, wenn sie mich und mein näheres Umfeld betrafen; aber ich hatte leider auch einen fürchterlichen Dickschädel, was mir die diplomatische Gesprächsführung nicht unbedingt erleichterte. Mir kam es allmählich immer mehr vor, als hätte ich vorhin Einiges von mir gegeben, was ich so überhaupt nicht gemeint hatte.
Nach einer Weile ziellosen Hin-und-her-Getapses fiel ich rückwärts auf das frisch bezogene Doppelbett. Die Laken dufteten nach Weichspüler. Manchmal sind es die kleinen Details, die einen das Leben trotzdem wertschätzen lassen. Ich fühlte mich seltsam zu Hause in Dags Wohnung.

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