Nachdem wir Vincent endlich erfolgreich in die Federn verfrachtet hatten, schloss Dag die Tür zum Schlafzimmer. Ich atmete tief durch, mit geschlossenen Augen sog ich vollständig Luft in meine Lungen, sodass ich deutlich spüren konnte, wie sich mein Brustkorb hob.
„Also dann", hauchte ich den zögerlichen Beginn einer Verabschiedung aus. „Ich fahre besser nach Hause. Ist kein Katzensprung nach Wedding." Mit der rechten Hand tastete ich nach meiner Jacke, die ich vorhin über den Haken neben der Tür gehangen hatte, doch ich fand sie nicht. Mir fehlte die Orientierung, weil mein Gegenüber mir besorgt in die Augen sah und mich genau das ablenkte.
„Du solltest um die Uhrzeit nicht mehr mit den Öffentlichen in Berlin unterwegs sein."
„So als Frau, meinst du?" Ich setzte mein bestes spöttisches Grinsen auf.
Dags Finger umschlossen meine Hand, mit der ich inzwischen einen Zipfel meines Mantels zu fassen bekommen hatte.
„Ich mein's ernst. Da draußen warten ein paar zwielichtige Gestalten nur darauf, zierliche Frauen wie dich zu überfallen und –"
„Ich kann gut für mich selbst einstehen, Dag", schnitt ich ihm scharf das Wort ab. „In der Tasche habe ich Pfefferspray", fügte ich hinzu. Zur Bestätigung zog ich die kleine Sprühdose hervor und hielt sie ihm unter die Nase.„Das ist mir egal." Er schob das Spray beiseite. „Du bist müde und ich möchte nicht, dass du in dem Zustand allein durch die Stadt tingelst. Manche nutzen jede kurze Unaufmerksamkeit schamlos aus. Falls dir auf dem Heimweg was passiert, will ich mir das später nicht vorwerfen."
„Mir passiert aber nix, ich bin erwachsen", hielt ich vehement dagegen. Dag schüttelte den Kopf, dann nahm er seine eigene Jacke von der Garderobe.
„Ich bringe dich nach Hause."
„Super, und wer soll bei Vincent bleiben?", wies ich ihn auf die Schwachstelle hin, die sein ach so toller Plan hatte.Verunsichert linste Dag zur Schlafzimmertür, hinter der sein bester Freund schnarchte.
„Willst du, dass er im Schlaf an seiner eigenen Kotze erstickt?", setzte ich triumphierend noch eins obendrauf. „Würdest du dir das später nicht eher vorwerfen?"
„Eher?", wiederholte er fragend. „Eher als was?" Sein Blick durchbohrte mich förmlich und das altbekannte Gefühl der Verlegenheit stellte sich bei mir ein. Blut schoss mir in die vom Rouge ohnehin schon rosig glühenden Wangen. „Ich lasse dich auf keinen Fall nachts um drei allein in die S-Bahn steigen", kam er auf das ursprüngliche Thema zurück.
„Um neun bin ich mit meiner Lerngruppe verabredet, ich muss nach Hause."
„Du kannst genauso gut morgen früh von hier aus dahinfahren."Ich verdrehte die Augen.
„Sieh dich doch mal um, wo soll ich denn hier deiner Meinung nach schlafen? Neben Vincent im Bett vielleicht, damit er mich vollkotzt? Diese Wohnung bietet nicht genügend Platz für drei Leute", argumentierte ich sachlich.
„Schlaf halt auf der Couch, ich kann auf dem Teppich pennen", schlug er vor.
„Vergiss es", fauchte ich leise. „Ich fahre heim und damit basta." Schwungvoll hüllte ich mich in meinen Wintermantel und knotete den Gürtel zu.„Pari, lass es bleiben", bearbeitete Dag mich weiter. „Das ist es nicht wert." Er umfasste meine Arme mit festem Griff und ich blickte stumm zu ihm auf. „Ich will dir doch nichts Böses", erklärte er. „Es ist sicherer, wenn du bleibst." Natürlich hatte er Recht: Hier wäre ich geschützt vor den eventuell draußen auf mich lauernden Kriminellen – aber ich wäre nicht sicher vor der Anziehung, die zwischen Dag und mir wirkte und die mir eine Heidenangst einjagte. Ich wollte nie wieder vor einem Mann so schwach werden ... Er ließ von mir ab. „Schau mal, ich setze jetzt Wasser auf, wir trinken eine Tasse Tee und du lässt dir das nochmal in Ruhe durch den Kopf gehen, okay?", schlug er vor.
Ich nickte bloß.Wenige Minuten später stand ich mit einer Tasse Apfeltee auf dem Balkon. Dag rauchte neben mir eine Zigarette und wir starrten beide schweigend runter auf die kaum befahrene Straße, in der Vincents Wohnhaus lag. Ich brütete noch über dessen vorheriger Aussage, dass sein bester Freund angeblich auf mich stand. Iara war um einiges talentierter darin als ich, aus anderen Menschen zu lesen, was in ihnen vorging. Ich wünschte mir, sie wäre hier, bei mir, dann hätte sie mir dabei helfen können, Dag zu durchschauen.
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Fiksi Penggemar~ Auf der Suche nach uns selbst kann uns niemand begleiten. ~ Pari hat sich nie sonderlich für die Leute interessiert, mit denen Iara, ihre beste Freundin, sich sonst so umgibt. Die meisten von ihnen verdienen Unsummen mit ihrer Musik und treten deu...