Senna Quince | Kapitel 33

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Ich konnte nicht sagen wie viel Zeit verging, in der ich einfach nur apathisch da lag und die Tränen lautlos über meine Wangen liefen. Mein Kopf ruhte mittlerweile auf Tways sich nicht mehr bewegenden Brust, was mir nur um so deutlicher zeigte, dass er nicht mehr lebte. Noch den Tag über hatte ich darauf geruht und seinen starken, gleichmäßigen Herzschlag gelauscht. Jetzt jedoch war er weg und würde nicht wiederkommen. Nie mehr.
Alles was ich wollte, war einfach hier liegen zu bleiben und ebenfalls zu sterben. Ich hatte zwar gewusst, dass dies passieren würde, aber innerlich war die Hoffnung geblieben mit ihm oder sogar vor ihm zu sterben. Die zu sein, die zurück blieb, war um so vieles schwerer. 
Ein weiterer Kanonenknall riss mich jedoch aus meiner Erstarrung und erinnerte mich wieder an das Versprechen, was Tway und ich uns gegeben haben. Vielleicht würden wir hier nicht heraus kommen aber dann brachten wir halt meinen Distriktpartner hier heraus.
Die Erinnerung war es, die dafür sorgte, dass ich mich wieder aufrichtete. Immer noch mit Tränen verhangenen Augen drückte ich Tway einen letzten Kuss auf die Stirn, ehe ich meine Waffen griff und los lief. 
Ich wusste nur circa die Richtung, in die die anderen Drei verschwunden waren, aber ich würde sie finden. Wenn nicht würden die Spielmacher uns zusammentreiben. 
Nur auf meine Schritte konzentriert, versuchte ich meine Gedanken zu ordnen, auch wenn es mir nicht wirklich gelingen wollte. Jedoch rannte ich dadurch fast mit Vine zusammen, der aus einmal aus dem Gestrüpp stolperte. 
Panisch schaute ich ihn an. 
„Wo ist Maze?“, schrie ich ihn regelrecht an, was ihn zusammen zucken ließ. 
Warum war er nicht bei ihm? Der Kanonenschuss? Er konnte nicht... 
„Ich hab ihn und den aus Fünf verloren. Mann ist der schnell und als ich gestolpert bin, waren sie weg.“, verteidigte er sich mit eingezogenen Kopf. 
„Wo lang?“
Er zeigte in die Richtung, in der die zwei anscheinend verschwunden waren und ich konnte ein genervtes auf knurren nicht verhindern. Diese verdammten Spiele sollten einfach endlich vorbei sein.
„Bleib hinter mir.“, befahl ich den Jungen aus Distrikt Drei, der sofort wie ein braver Dackel nickte. 
An sich hätte ich ihn auch gleich umbringen können, da er sowieso sterben musste, aber irgendetwas sagte mir, dass Maze mir dies übel nehmen würde. Die beiden schienen wirklich Freunde geworden zu sein. Wahrscheinlich lachten uns Finnick und Mags deswegen gerade aus. 
Trotzdem lief ich einfach los und hoffte, dass Vine mit mir mithalten konnte. 
So schnell wie ich konnte, brach ich durch das immer stärker werdende Dickicht.
Irgendwann brach es jedoch abrupt ab und ich stolperte, mehr als mir Recht war, aus dem Gestrüpp. Ein kurzes Stück vor mir war noch felsiger Boden, der dann in eine Klippe abfiel. 
Mein Blick jedoch blieb an der Gestalt hängen, die dort stand. 
Größe, Schultern, Haare. Alles passte. 
„Maze?“, brachte ich leise und schwer atmend hervor. 
Er lebte, doch wo war die Leiche des Jungen von Distrikt Fünf? War er in der kurzen Zeit schon von ihm weg gegangen? Warum starrte er dann aber die Klippe hinab und achtete nicht besser auf seine Umgebung?
Und wo zum Henker blieb Vine?
Verwirrung und Wut mischten sich in meinen Kopf, als Maze endlich auf mich reagierte und sich zu mir umdrehte. 
Im ersten Moment wollte ich ihn anschreien, warum er nicht bei mir geblieben war und einfach kopflos los gelaufen war, doch mir blieben die Worte regelrecht im Hals stecken, wodurch nur ein Keuchen über meine Lippen kam. 
Das war nicht Maze. 
Es hätte nicht einmal die gelb glühenden Augen gebraucht, um mir das zu zeigen. Sein emotionsloser Gesichtsausdruck hätte vollkommen gereicht. 
Mit schräg gelegenen Kopf musterte er mich und begann zu grinsen. 
In meinem Kopf fuhren die Gedanken Achterbahn. 
Eine Mutation die wie Maze aussah? Warum? Gab es davon noch mehr? Für was waren sie gut?
Kurzzeitig huschten meine Gedanken zurück, zu dem Tag, an dem Lentil Maze beschuldigt hatte, in den Taschen herum gewühlt zu haben. 
Natürlich. Die Spielmacher hatten Mutationen geschaffen, die aussahen wie wir, um uns zu verwirren und gegeneinander aufzuhetzen. Sie waren dieses Jahr wohl wirklich nicht von der Stärke der Karrieros begeistert gewesen, was mich wütend machte. 
Wirklich darüber nachdenken konnte ich jedoch nicht, da dieses Ding im nächsten Moment auch schon auf mich zu gesprungen kam. 
Nicht mit seiner Schnelligkeit rechnend, riss es mich einfach von den Füßen und ich schlug hart auf den Boden auf. Die Luft wich aus meinen Lungen und ich versuchte krampfhaft wieder Sauerstoff hinein zu bekommen, während ich so gut wie es ging seine Hände abwerte. 
Waren das Klauen?
Ein kleiner Teil meiner Selbst lachte über diese Kuriosität vor mir. Der größer wollte einfach nur überleben, weswegen ich meine Beine anzog und es schaffte ihn von mir herunter zu treten. 
Trotzdem wollte und konnte ich nicht etwas umbringen, was wie Maze aussah. Es war schockierend, diese Erfahrung zu machen, aber ich konnte es einfach nicht. Vielleicht hatte ich es mir die ganze Zeit eingeredet, aber eigentlich wäre ich nie dazu in der Lage gewesen Maze zu töten. 
Deswegen wirbelte ich herum und kämpfte mich hoch, um davon laufen zu können. 
Die Mutation hatte jedoch andere Pläne. 
Ich spürte nur den beißenden Schmerz als der riesige Stein, den die Mutation anscheinend ohne Probleme hochgehoben hatte, genau in meiner Kniekehle landete. Bruchteile von Sekunden vergingen, in denen ich nur all zu gut mitbekam, wie meine Kniescheibe regelrecht zwischen Felsboden und Stein zertrümmert wurde; wie Szenen und Muskeln rissen. Ein Schmerzensschrei kam über meine Lippen, den ich nicht einmal mehr wirklich wahr nahm. Alles was ich tat, war zu versuchen, bei Bewusstsein zu bleiben, auch wenn sich mein Sehfeld bereits eingrenzte. 
Jetzt ohnmächtig zu werden, wäre mein Tod. Eine innere Stimme flüsterte na und, aber ich wollte nicht so sterben. Nicht durch eine Mutation wie Lentil, Velvet und Tway. Ich wollte wissen wo Maze war; wo Vine. Warum war er immer noch nicht hier?
Mit zitternden Händen erreichte ich irgendwie eines meiner verbliebenen Messer, als ich die Schritte der Mutation hinter mir hörte. 
Keine Sekunde später wurde mein Kopf schmerzhaft an den Haaren nach oben gezogen und ich wusste, dass er mir einfach nur die Kehle raus reißen wollte.
Ohne auf meine Haare oder den dadurch entstehenden Druck in meinem Nacken zu achten, drehte ich mich, soweit wie ich konnte herum und stach blind zu.
Das Glück war mit mir und ich traf ihn mitten ins Herz. 
Verwirrt schaute das Wesen einen Moment zwischen der Waffe und mir hin und her, ehe er an mir hängen blieb. Sein Gesichtsausdruck war menschlich. Es war Maze und ich versuchte mich an den glühenden Augen festzuhalten, um nicht wahnsinnig zu werden. 
Das war nicht Maze. Ich hatte nicht Maze umgebracht.
Trotzdem kämpften sich erneut Schluchzer ihren Weg über meine Lippen, als das Wesen neben mir zusammen brach. 
Ich versuchte mir einzureden, dass es wegen meinen Knie war, aber es wollte nicht wirklich funktionieren, weswegen ich nun wütend auf mich selber war. 
Die ganze Zeit hatte ich kein Problem damit gehabt, die anderen zu töten, aber seit Tways Tod hatte sich irgendetwas verändert. Ich war nicht mehr dieses starke, unabhängige Mädchen. Ich wollte nur noch endlich meinen Frieden haben und vergessen. 
Unter Schmerzen schaffte ich es, mich irgendwie nach oben zu kämpfen, wobei ich dabei wusste, dass mein rechtes Bein ab jetzt nutzlos war.
Nur kurz schaffte ich es nach unten zu blicken, doch als ich weiße Stücke, die nur mein eigener Knochen sein konnten, durch die Hose stechen und überall Blut sah, schaute ich schnell wieder weg. 
Im Distrikt würde man das Bein wahrscheinlich amputieren. Wir hatten keine Mittel um so etwas zu reparieren und es würde sich nur entzünden. Im Kapitol sah es da sicher anders aus, doch das war mir egal. Wenn ich tot war, wurde es mich nicht mehr interessieren, wie zerstört mein Körper war. 
Ich spürte die Übelkeit in mir aufsteigen, mit jeden Schritt den ich tat und trotzdem schaffte ich es irgendwie mich in Bewegung zu setzten. 
Ich musste zu Maze. Ich musste diesen Spielen endlich ein Ende setzten.

Senna Quince | Geboren um zu töten Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt