Kapitel 9

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Die Glocken des St. Bartholomäus-Doms läuteten zu früher Stunde und Frankfurter Bürger versammelten sich in Scharen auf dem Domplatz. Der Dom war voll von Baronen, Freiherren, Grafen und ihren Frauen, teils auch Erben und Geistlichen, in den hinteren Bänken fanden sich auch einfache Bürger.

Ein Kirchenchor begann zu singen, als Joséphine die Schneise zum Altar entlang schritt. Die blutrote Schleppe, die sie hinter sich herzog, war sicherlich über einen Meter lang.

Ihr Kleid war aus tiefrotem Satin mit Details aus feiner, schwarzer Spitze und langen Ärmeln, die an den Handgelenken in weite Rüschen aufgingen. Sie trug ein goldenes Collier mit Rubinen besetzt, und kreuzförmige, ebenfalls goldene Ohrringe. Auch ihre Haare waren nun aufwendig gelockt und halb hochgesteckt.

Sebastian wurde bei dem Anblick von Joséphine ganz flau im Magen. Er konnte beim besten Willen nicht beschreiben, was es war oder woher es kam, aber gut war es keineswegs.

Sie trug kein Lächeln auf den Lippen, wie man es sonst von ihr gewohnt war. In ihrem Gesichtsausdruck spiegelten sich Trauer, Wut und Zorn wider, gepaart mit Unsicherheit und Selbstzweifeln. Letzteres sah man nur an ihren Augen. Da war etwas glasiges, zerbrechliches in ihrem Blick, was der Allgemeinheit wohl entgehen mochte, Bash aber nicht.
Sebastian brach es das Herz, sie so zu sehen.

Am Altar angekommen gab sie dem Bischof einen Handkuss und kniete sich hin, während er den Gottesdienst begann.
Es verging beinahe eine Stunde. Nun salbte er sie und sprach seinen Segen aus, während er ihr eine goldene, prunkvolle Krone aufsetzte. ,,Hiermit kröne ich Euch, Joséphine Victoria Louise von Habsburg, zur Königin der Deutschen", sprach der Bischof.
Mit einem Zepter in der einen, und dem Reichsapfel in der anderen Hand erhob sie sich und drehte sich zur Gemeinde.

Durch die Buntglasfenster schien goldenes Sonnenlicht und die Szene wäre wahrhaft wunderschön, wäre da nicht dieser unbeschreiblich ernste, von Sorgen geplagte Gesichtsausdruck der Königin.

,,Königin Joséphine I!"

Die Gemeinde brach in Jubel aus.
,,Lang lebe die Königin!"
,,Der Kaiser ist tot, lang lebe die Königin!"

Selbst außerhalb der Kirche vernahm man den Lobgesang, seitens Joséphine gab es jedoch nach wie vor kein Lächeln. Im Gegenteil, sie zog die Augenbrauen sogar noch weiter zusammen.
Und Bash konnte sich sehr gut ausmalen, was in ihrem Kopf vorgehen musste.
Sie musste sich Lobgesang über den Tod ihres Vaters anhören, als schmerzte es nicht ohnehin schon genug.
Als Joséphine aus der Kirche auszog, wurden unzählige Rosenblätter in die warme Sommerluft geworfen, das Jubeln hörte nicht auf.
Joséphine ring sich zu einem Lächeln durch und begann sachte, den Bürgen zu zuwinken.

Sie setzten alle Hoffnung in sie.
Größer als alle Sorgen, die sie plagten, war nun die Angst davor, ihr Volk zu enttäuschen.
Und in just diesem Augenblick realisierte sie es: Dies waren ihre Untertanen. Und sie trug die Verantwortung für jeden Einzelnen dieser - noch - jubelnden Menschen.

Bis sie wieder auf Schloss Höchst waren, sprach Joséphine kein einziges Wort.
Sie eilte voraus ins Schloss und blieb in der Eingangshalle stehen.

,,Euer Majestät?", fragte Dumont hinter ihr zögerlich.
Joséphine drehte sich nicht um.
,,Mary, du wirst dir keine Sorgen mehr um England machen müssen."
Verwirrt wechselte sie einen Blick mit Bash, ehe Joséphine weiter sprach: ,,Meine erste Amtshandlung wird eine Kriegserklärung an England sein. Und die Engländer werden verlieren."

Noch bevor irgendjemand etwas sagen konnte, ging sie energischen Schrittes die Treppen hinauf zu ihrem Gemach.
,,Das kann sie nicht tun", flüsterte Roderich ungläubig.
,,Und wie sie das kann. Sie ist die Königin, falls Euch das entgangen ist", kam es trocken von Bash. Zu Sebastians Überraschung nahm Dumont Roderich in Schutz.
,,Sie darf England nicht den Krieg erklären. Das wäre fatal."
,,Und umgänglich. Dumont, wenn Ihr es Joséphine nicht sagt, sehe ich mich dazu verpflichtet."

Long May They ReignWo Geschichten leben. Entdecke jetzt