Kapitel 12

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,,Offen gestanden halte ich es für die beste Idee, den Hof zu verlassen."

Joséphine sah den Schlesier skeptisch an. ,,Um Mary freie Bahn zu lassen?"
,,Freie Bahn wofür?"
,,Für Frankreich! Mit welcher Allianz steh ich dann da?"
Roderich schnaubte belustigt. ,,Als hätten wir eine Allianz so dringend nötig wie Schottland."
Stürmisch erhob sich der Graf von seinem Stuhl gegenüber der Königin und stellte sich hinter seine Lehne, auf der er seine Hände abstützte.

,,Und wenn Ihr wirklich eine Allianz wollt: Das Zarentum Russland."
Joséphine wurde bleich.
,,Das ist hoffentlich ein Scherz."
,,Ich scherze nicht."

Das stimmte nicht, Roderich scherzte ziemlich gern, wenn auch mit einem eher dunklen Humor.

,,Roderich, über den Zaren erzählt man nichts gutes. Nein!"

,,Ich darf Euer Majestät daran erinnern, dass wir uns seit vier Wochen im Krieg mit Schottland und den Anhängern Elizabeth Tudors befinden und dass, wenn Euch etwas am Englischen Thron und an Eurem Volk liegt, ihr etwas unternehmen solltet."

Joséphine sagte nichts.
Sie sah ihn an, wie ein Angeschossenes Reh.
„...Krieg?", wiederholte sie mit zittriger Stimme. „Echter... Krieg?"

„Ihr dachtet doch nicht wirklich, dass nach Eurem Thronanspruch nichts passiert. Mary hat es Euch doch wenige Tage gleichgetan! Das ist kein Märchen, Euer Majestät, sondern die bittere Realität. Und Ihr steckt mittendrin."

,,Ich sag es ungern", brummte Dumont, ,,aber Herr von Kloch hat recht."
Er trat vorsichtig einen Schritt näher.
„Wir brauchen räumliche Distanz von Mary. So könnt Ihr keinen Krieg führen."

Die champagnerblonden Wellen der Königin fielen ihr ins Gesicht, als sie en Kopf senkte. Einen Moment lang starrte sie nachdenklich auf den Mahagonitisch vor ihr, bevor sie langsam nickte.

,,Nun gut", sagte sie mit dünner Stimme, ,,dann sei es so. Wir kehren zurück nach Wien. Entschuldigt mich."

Wacklig wie ein Rehkitz erhob sich Joséphine und verließ den Konferenzraum.

,,Wie konnte sie denn nicht vor Augen haben, dass ein Krieg um England tobt...?"

Dumont gab Roderich einen schroffen Klaps auf die Schulter. ,,Weil Ihr ihr alles abnehmt und an ihrer Stelle alles mit mir regelt!"

Roderich nickte langsam, den Klaps von Dumont ignorierend: „Sie ist zu jung dafür, und zu zart. Sie ist noch nicht bereit, Krieg zu führen."

,,Oh, mein Bester, glaubt mir", erwiderte Dumont und schaute dem jungen Mann bitterernst in die Augen. ,,Niemand ist bereit dafür. Das merken die meisten Männer jedoch erst, wenn sie in die Augen des Gegners blicken, den sie auf Wohl und Verderb ermorden müssen."

Roderich lief es eiskalt den Rücken hinunter.

Er sagte nichts, er war paralysiert.


,,Und in genau dieser Situation wird sich Joséphine früher oder später wiederfinden, wenn sie in Frankreich bei Mary bleibt. Wien ist vorerst die beste Lösung."

Roderich nickte langsam, als sich Dumont entfernte.


Das würde Joséphine brechen, so wie der Stengel der Nelken, die Francis ihr so oft schenkte.


~

„Ah!", rief Catherine über den Flur, „Konstanze! Gut, dass ich Euch treffe!"

Eigentlich hatte Catherine etwas ganz anderes vor, aber ihre Neugierde packte sie erbarmungslos.
Eiligen Schrittes holte sie Konstanze ein, welche recht verwirrt wirkte.
„Euer Majestät", begrüßte Konstanze die Königin überrascht. „Kann ich Euch helfen?"

Long May They ReignWo Geschichten leben. Entdecke jetzt