Kapitel 11

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Die zarte Morgensonne fiel sanft durch die Baumkronen des Waldes um Fontainebleau - freilich nicht der Blutwald -  und Vogelgesang erfüllte die frische Luft, bloß unterbrochen von dem Rauschen der Bäume und dem Hufgetrappel zweier Pferde auf dem Waldweg, bald auch die Stimmen der Reiter.

„Es ist befremdlich", sagte Francis, „äußerst befremdlich. Gestern war ich der erste in der Thronfolge, und nun spiele ich für diese gar keine Rolle mehr."
Joséphine zögerte.
„Nun, immerhin kannst du jetzt tun und lassen, was du willst, nicht? Und das hast du dir doch so lange schon gewünscht."
Francis nickte bloß stumm, ehe Joséphine noch etwas hinzufügte.
„Du stehst jetzt nicht mehr unter der Kontrolle deines Vaters. Auf diesem Weg von meinen väterlichen Fesseln frei zu kommen, wäre mir durchaus lieber gewesen."
„Ich habe nun Sebastians Freiheit", murmelte der Blondschopf, „und er meine Fesseln."

Die beiden kamen an einem kleinen Bach abseits des Weges an und stiegen ab.
„Und Mary", sagte Joséphine, „Mary hat er auch."
Francis schien Joséphines Aussage komplett zu übergehen, als er mit dem Finger auf eine Stelle im Wald, vielleicht zweihundert Meter von dort, wo sie standen, zeigte.
„Schau mal, dort hinten hat mich Prior abgeworfen."
Joséphine folgte seinem Fingerzeig mit ihrem Blick und begann zu schmunzeln, während sie Prior über die Stirn streichelte.
Das Schmunzeln verflog jedoch, als Francis weitersprach: „Und du mich auch."
Sie wandte ihren Blick zu Francis und begann, ein Satzgewirr zusammen zu stammeln.
„Francis, ich... Weißt du, damals, da-"
Francis unterbrach sie.

„Schon gut, ich verstehe dein Handeln. Damals lag nichts davon in unserer Hand, nichts als unsere Gefühle."
Er trat vorsichtig einen Schritt näher an sie heran und legte - so wie damals - seine Hand an ihre Wange.
„Das ist jetzt jedoch anders", fuhr er fort. „Es liegt bei uns, und es ist nun unser eigener Wille."

Joséphine setzte an, um etwas zu sagen, jedoch verließ kein Satz ihre Lippen. Sie verlor sich in Francis' ozeanblauen Augen, die so viel Freude und Hoffnung ausstrahlten, als er beide ihrer Hände in die seine nahm.
„Joséphine", hauchte er, als er ihre Hände anhob und einen leichten Kuss auf ihren Knöcheln hinterließ, seinen Blick dabei nicht von ihr lassend, „ich weiß, es klingt verrückt, und das ist es womöglich auch.
Ich kann dir keine Krone mehr bieten, nichts, als meinen Reichtum, von dem du selbst genügend hast, und meine Liebe. Meine unsterbliche Liebe, die dir wohl kein anderer Königssohn Europas entgegenbringen kann."

Mit seinem sonnengleichen Lächeln ließ er sich auf sein rechtes Knie fallen und umschloss mit beiden Händen ihre rechte Hand.
„Joséphine", strahlte er, „bitte heirate mich."

Joséphine war überfordert. Überglücklich - aber überfordert. Diese Entscheidung würde über ihre Nation entscheiden.

Francis drückte sanft ihre Hand, „Sag ja", fügte er hinzu.
Eifrig nickte Joséphine, „Ja."
Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
„Ja, und wie", wiederholte sie diesmal lauter, während sich Francis erhob und sie stürmisch küsste.

Ihr Herz sagte ja. Und sie hörte auf ihr Herz. Welche Allianzen brauchte sie schon, Spanien stand sowieso hinter ihr! Und wenn sie dann auch noch die englische Königin würde, was brachte ihr dann eine Allianz, was sie noch nicht hatte? Sie würde politisch wohl kaum einen Unterschied merken.

~

„Das kann nicht ihr Ernst sein!", rief Roderich und raufte sich verzweifelt seine unbändigen Haare.
„Nun beruhig dich doch!", kam es von Konstanze, „Lass sie glücklich werden!"

Long May They ReignWo Geschichten leben. Entdecke jetzt