Kapitel 2

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Joséphine schlenderte Seite an Seite mit Roderich durch den Garten des Schlosses, während sich die beiden unterhielten, über alles mögliche. Das momentane Thema war der gestrige Abend, die Hochzeit von König Phillip. Joséphine ist zu Ohren gekommen, dass dieser Collin - angeblich der Geliebte einer Marys Hofdamen - sich in der vergangenen Nacht an seiner Königin vergehen wollte.
,,Ich habe heute morgen mitbekommen, dass er in den Kerker geworfen wurde", berichtete Roderich, ,,Ich schätze, er wird hängen."
Joséphine war bei dem Gedanken ganz und gar nicht wohl und sie verstand nicht, wie Roderich das so beiläufig sagen konnte.
Der Mann schien Joséphines Unbehagen zu bemerken und wechselte das Thema. ,,Im Übrigen... Wie war Eure Kutschfahrt? Wie ich sehe, seid Ihr unversehrt. Irgendwelche Zwischenfälle?"
Joséphine wollte antworten, jedoch blieb ihr das Wort im Hals stecken. Wie ein Fisch schloss sie bloß ihren Mund und schaute nachdenklich zu Boden.
Wie war die Kutschfahrt?
Sie wusste es nicht.
Sie ist erst wenige Minuten bevor sie den Hof erreichte aufgewacht. Und davor?
Davor war nichts. Ihre Erinnerungen waren schwarz. Sie erinnerte sich nicht einmal, wie sie in die Kutsche gekommen war.

Da war nichts. ...Fast nichts. Sie erinnerte sich an nichts, außer einem Gefühl, einer starken Emotion. War es Schmerz? Angst? Verzweiflung? Sie konnte das Gefühl nicht einordnen und auch fehlte ihr ein Bild dazu.
,,Eure Hoheit?"
Roderichs Stimme riss Joséphine aus ihren Gedanken.
,,Ja?"
,,Wollt Ihr nicht weitergehen?"
Joséphine schaute ihn einen Augenblick stumm an, bevor sie nickte.
Sie setzte sich wieder in Bewegung und versuchte, Roderichs Erzählungen zuzuhören. Ihre Gedanken kamen jedoch immer wieder zur Kutschfahrt zurück. Es war seltsam.
Doch ein Satz Roderichs brachte Joséphine wieder zurück ins Hier und Jetzt.
,,Euer Vater Kaiser Ferdinand erwähnte bei meiner und Mariannes Abreise übrigens, dass es für euch Zeit werde, zu heiraten."
Erneut blieb die Kronprinzessin stehen. ,,Bitte?"
Roderich verzog seine Lippen zu einem leichten Lächeln. ,,Er habe wohl schon einige Heiratskandidaten für Euch im Blick", erzählte er weiter, während Joséphine ihren Blick von Roderich abwandte.
Ihr Blick fiel auf den Stall, der nicht weit entfernt war und auf einen Stallburschen, der gerade einen Strohballen in den Stall brachte.

,,Einer davon wäre zum Beispi-"
Joséphine schenkte Roderich keine weitere Beachtung und rief dem Stallburschen zu: ,,He! Du da!"
Der Stallbursche sah auf. ,,Ja, Euer Hoheit?"
Joséphine blickte Roderich kurz an. ,,Entschuldige mich", sagte sie schlicht und bewegte sich näher zu dem Stallburschen. ,,Sei so gut und sattle mein Pferd", befahl sie, woraufhin der Stallbursche seinen Kopf neigte. ,,Prior, nicht?", fragte er unsicher, woraufhin Joséphine lächelnd nickte. ,,Genau."
Mit einer weiteren Verbeugung eilte der Junge in den Stall, während sich Joséphine in das Schloss begab, um ihre Reitkleidung anzuziehen. Roderich ließ sie einfach stehen, sichtlich empört blickte er ihr nach und spielte mit dem Gedanken, ihr nach zu laufen, jedoch verwarf er diesen sogleich wieder.

Allein durch dieses Lächeln Seiten Roderichs wusste sie, dass einer dieser Kandidaten Roderich sein musste. Das war sogar recht wahrscheinlich, denn Schlesien war eine wichtige Region, die nun mal Roderich besaß und Roderich ein Liebling des Kaisers war.
Und sie kannte den Grund.

Ihre Mutter, Anna von Böhmen und Österreich, war vor kurzem schwanger gewesen und hatte das Kind verloren, welches wohl schon längere Zeit tot im Mutterleib gelegen hat. Mittlerweile ist sie äußerst krank und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie dem Leben entgleiten würde. Das bedeutet: Einen Erben, jemanden, der die Habsburger Blutlinie weiterführen würde, wird sie nicht mehr gebären. Und Kaiser Ferdinand liebte sie wohl zu sehr, um 'nur' wegen seiner Blutlinie nach Annas Tod erneut zu heiraten.
Das wäre auch nicht nötig, wenn Joséphine seinem Plan Folge leistet.
Ursprünglich hatte Ferdinand festgelegt, dass Joséphine, das einzige legitime Kind von Kaiser Ferdinand, die Thronfolge übernimmt und damit Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches wird. Ein Ehemann ist nicht von Nöten, ob sie dann irgendwann heiratet und einen Erben hervorbringt, wäre dann Joséphine selbst überlassen gewesen.
Aber nun, da Anna langsam aber sicher dem Tod ins Auge sieht und keinen weiteren Nachkommen hervor gebracht hat, will der Kaiser sicher gehen, dass seine legitime Blutlinie fortgesetzt wird.
Joséphine soll also heiraten, so bald es geht - die Ehe muss sie dann also sowieso vollziehen und möglichst bald einen Erben hervor bringen.
Es ist nicht so, als wäre Joséphine das einzige Kind von König Ferdinand. Aber das einzige legitime. Sie hatte einen älteren Halbbruder, zwar war dieser vom Kaiser anerkannt, hatte Land und Titel, aber Kaiser könnte er niemals werden. Denn dazu war die Salbung des Papstes nötig und der Papst würde keinen Bastard zum Kaiser salben.

Long May They ReignWo Geschichten leben. Entdecke jetzt