Kapitel 6

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,,Meine liebste Tochter,

Es gibt Mächte, die nach Deinem Leben trachten, und es bricht mir das Herz, Wien, dein Zuhause, nicht mehr für Dich sicher nennen zu können.
Meine Leibgarde ermittelt bisher erfolglos gegen einen Attentäter, der sich immernoch unter uns befindet.
Bevor dies nicht geklärt ist und die Hofburg nicht sicher ist, möchte ich Dich am Französischen Hof wissen. Der einzige Grund, weshalb Du früher zurückkehren solltest, soll deine Krönung sein.

Doch nicht nur um Deiner Sicherheit Willen sollst Du dort bleiben, sondern auch als meine Vertretung. Während Du in Frankreich verhandelst, bist Du das Heilige Römische Reich.
Da ich Dich nicht persönlich auf Deine Regentschaft vorbereiten kann, wird das wohl eine gute Methode sein, um Dich an die Verantwortung eines Kaisers zu gewöhnen.

Zwischen all der Dunkelheit habe ich aber einen Lichtblick zu verkünden: Deine Mutter ist schwanger. Bete darum, dass sie das Kind dieses Mal nicht verliert. Zu ihrer eigenen Sicherheit und zu der des Kindes habe ich sie jedoch fort vom Hof bringen lassen. Ich kann und will nicht riskieren, dass etwa Dir, meiner Frau oder meinem ungeborenen Kind etwas zustößt.
Hiermit will ich Dich daran erinnern, auf deine Umgebung zu achten. Der französische Hof mag sicherer sein als Wien, aber trotzdem nicht ungefährlich.
So bleibe wachsam und am leben.

In väterlicher Liebe,
gezeichnet
Ferdinand I, Kaiser des Heiligen Römischen Reichs"

Joséphine ließ ihre Hände, in denen sie den Brief hielt sinken. Tränen unterdrückend blickte sie zu Marianne.
,,Ich...", begann Joséphine, aber ihre Stimme brach ab.
Marianne machte einen Schritt auf sie zu und legte ihre Hand auf Joséphines Schulter.
,,Beruhigt Euch, Joséphine."
Diese schüttelte bloß den Kopf. ,,Ich darf nicht mehr nach Hause... Wer weiß für wie lange nicht?"
Marianne schloss die Arme um ihre Prinzessin, während drei vereinzelte Tränen ihre Wangen hinunterkullerten. Danach versiegten sie.
,,Und wenn ich zurück kann, ist Vater vielleicht-", ihre Stimme brach erneut ab. Aber Marianne wusste, worauf Joséphine hinaus wollte.
Sollte Joséphine wieder nach Wien dürfen, dann hl vorerst nur, weil der Kaiser tot wäre. Damit sie die Thronfolge antreten könne.

Marianne strich Joséphine beruhigend über den Kopf, bis diese ihren klammernden Griff um ihre Hofdame löste.
Sie räusperte sich und faltete den Brief zusammen.
,,Wenn das so ist", murmelte sie, ,,hoffen wir, dass ich noch lange hier bleibe."
,,Lang lebe der Kaiser", sprach Marianne, ohne den Blick von Joséphine zu lassen. Diese blickte nun mit einem schwer deutbaren Blick ihre Hofdame an und nickte.
,,Ja", sagte Joséphine nachdenklich, während sie Marianne merkwürdig musterte, ,,lang lebe mein Vater..."
Marianne wusste nicht, wie sie antworten sollte und der durchbohrende Blick von Joséphine löste ein flaues Gefühl in ihr aus. Einen Moment lang schauten sich die beiden bloß an, bis Marianne nervös den Blick abwandte. Dann sah sie wieder zu Joséphine, jedoch wagte sie es sich nicht, ihr in die Augen zu sehen.
,,Euer Hoheit?", fragte sie schließlich. Unweigerlich zitterte ihre Stimme. Joséphine ahnte doch wohl nichts... Oder?

,,Marianne?", fragte Joséphine zurück und zog ihre rechte Augenbraue hoch. Was wollte sie jetzt von ihrer Hofdame hören?
,,Ist alles in Ordnung, Euer Hoheit?"
Joséphine nickte. ,,Das sollte ich dich wohl fragen. Du wirkst nervös."

Kalter Schweiß lief Marianne den Rücken runter, als sie ihre Augen auf den Boden wandte.
,,I-Ich... Euer Hoheit, es ist... Nun, es ist nur, diese Nachricht nimmt mich natürlich auch mit. Ich vermisse Wien jetzt schon und-"
Joséphine unterbrach sie. ,,Dann geh doch."

,,Bitte?"

,,Du hast mich verstanden. Ich soll hierbleiben, von dir war nie die Rede."
Verwirrt schüttelte Marianne ihren Kopf. ,,Aber Joséphine, ich kann Euch nicht allein lassen."
,,Das bin ich auch nicht."
Joséphine wandte sich ab und schritt zum Fenster. ,,Ich habe Dumont, meine anderen Hofdamen, meinen Berater Roderich, und nicht zu vergessen Mary und die gesamte Familie Valois, die meine Gesellschaft schätzen. Solltest du Wien also so vermissen, sei frei zu gehen."

Long May They ReignWo Geschichten leben. Entdecke jetzt