IN EINER GROSSSTADT - IN EINEM EDLEN HOCHHAUS – IN EINER LUXURIÖSEN PRAXIS
Es war ein verregneter Tag. Es kann auch ein sonniger Tag gewesen sein. Ich kann mich ehrlich gesagt gar nicht mehr daran erinnern, ob es Sommer oder gar Winter gewesen war. Auf jeden Fall war es draußen schon dunkel. Im Grunde genommen ist es für den Fortbestand dieser Geschichte irrelevant, ob es hell oder dunkel war. Stellen Sie sich einfach die Stimmung vor, die Sie zu dem Einstieg in eine sehr merkwürdige Erzählung benötigen. Ich weiß jedenfalls nur noch, dass ich in meiner sehr gut laufenden Praxis im elften Stock eines Hochhauses in einer sehr noblen Gegend meine Assistentin schon nach Hause geschickt hatte. Es war so viel Betrieb gewesen. Ich hatte gar keine Zeit und auch gar keine Muße mehr aus dem Fenster zu sehen. Ich ging in den Empfangsraum und wollte gerade schließen, als ich plötzlich in dem Wartezimmer eine Gestalt erblickte. Eigentlich hätte ich erschrocken sein müssen, denn die Situation war grotesk und zudem noch äußerst überraschend. Meine Sprechzimmerdame hätte ihn niemals übersehen und die Tür war von außen ohne einen Schlüssel gar nicht zu öffnen. Normalerweise öffnete meine Assistentin die Tür von innen mit Hilfe eines Summers. Und überhaupt - einen Schlüssel besaß nur das sehr zuverlässige Sicherheitspersonal des Hauses. Irgendwie hatte ich - trotz dieser beängstigenden Situation - nicht das Gefühl, das von dieser Person Gefahr ausging. Er sah so, - wie soll ich sagen – er sah so „normal" aus. Diese Art von Normalität: Einmal gesehen und schon wieder vergessen. Ein Alltagsgesicht. Dünn, schon fast hager, einen leichten Buckel und ein freundlich gesinntes Gesicht. Er sah wie jemand aus, vor dem man sich keineswegs zu fürchten brauchte.
„Guten Abend" sprach ich zu ihm zu meinem eigenen Überraschen in einem Tonfall, als sei es das Normalste der Welt, ihn jetzt hier zu sehen. „Kann ich Ihnen behilflich sein?"
Psychotherapeuten studieren ja bekanntlich, bevor sie ihren Beruf ergreifen. Zumindest sollte man davon ausgehen, denn alles andere wäre nicht so ganz legal – zumindest wenn sie praktizieren. Wenn man Glück hat, stand Psychologie, ein klein wenig Psychotherapie, Neurologie und etwas Gesprächsführung mit auf dem Lehrplan. Diese Kenntnisse sind, wenn man seine Patienten erfolgreich behandeln will, äußerst nützlich. Wie auch in diesem Fall. Wie es sich allerdings erst im weiteren Verlauf des Gespräches herausstellen sollte.
„Behilflich wäre vielleicht zu viel gesagt. Ich bräuchte einfach nur jemanden, der mir zuhört. Ich brauche keinerlei Rat, Ratschläge oder dergleichen. Auch keine analytischen Fragen. Kurzum, ich möchte nicht an einer Lösung eines Problems arbeiten, denn ich weiß ganz genau, dass Sie mir auch nicht weiterhelfen können ..." Seine Stimme klang tief und schwer. Sie war nicht laut, aber bestimmend. Irgendwie ging eine mystische Anziehungskraft von dieser Person aus.
Wir hatten mittlerweile in meiner Designer-Luxus-Leder-Gesprächsecke Platz genommen. Sie bestand aus vier bequemen Sesseln und einem Glastisch, der die bewundernswerte Eigenschaft besaß, keine Ränder von Gläsern oder gar Fingerabdrücke zu hinterlassen. Keine Ahnung was das für ein Material war. Ich hatte mittlerweile so viel Geld und so wenig Zeit, um mich mit der Ausstattung meiner Praxis zu beschäftigen. Darum kümmerte sich meine Assistentin Rose.
Rose war eigentlich viel mehr für mich. Sie sorgte für mein Überleben. Sie achtete immer darauf, dass ich regelmäßig aß und auch sonst ordentlich und vorzeigbar aussah. Zumindest für einen bedeutenden Psychoanalytiker und –therapeuten.„Mr. Jones, es wird Zeit für eine Rasur" und schon hielt sie den bereits eingeschalteten BRAUN-Akku-Rasierer in der Hand. Unbezahlbar war diese Frau. Ich hätte sie glatt geheiratet, wenn sie mich nicht an meine verstorbene Mutter erinnert hätte ... ach was, wenn sie nicht das Alter meiner verstorbenen Mutter gehabt hätte.
„Ich würde vorschlagen, Sie verraten mir einfach Ihren Namen und dann sehen wir weiter ..." sprach ich zu ihm. Er sah mit dieser Antwort sehr zufrieden aus. Anscheinend war er das erste Mal in Behandlung, denn er hatte bestimmt erwartet, dass ich ihm widersprechen würde bezüglich des Helfens bzw. Nicht-Helfen-Könnens. Vertrauen war sehr wichtig und das bekommt man nicht zu Beginn eines Gespräches in Form von Konfrontation. Vertrauen musste man sich erarbeiten.
„Mein Name ... mmmh ..." Nach kurzem überlegen setzte er fort: „Nennen Sie ich einfach Mr. Smith ... ja ... Mr. Smith ist ein guter Name ... für diese ..." Er geriet ins Stocken. Ein klein wenig Traurigkeit übermannte sein ansonsten so gefasstes Gesicht. Außerdem hatte er offensichtlich einen falschen Namen genannt. Normalerweise würde ich auf Ehrlichkeit beharren und wenn diese nicht möglich ist, das Gespräch sofort abbrechen. Aber meine Neugier auf die Geschichte dieses Mannes und ebenso sein Charisma war immens groß, so dass ich mir nichts anmerken lies und ihn zum Weitermachen animierte. „Fahren Sie ruhig fort ... vollenden Sie Ihren Satz, wenn Sie möchten ..."
„Naja, Sie würden mir ja doch nicht glauben ..." Ich versuchte ihn mit meinem Gesichtsausdruck zu ermutigen. Er fuhr fort: „Es ist zu komplex ... nun ja und doch auch wieder ganz einfach. Aber es hört sich irgendwie – wie soll ich sagen – es hört sich irgendwie verrückt an." Er machte eine Pause.
„Nur Mut" meinte ich „verrückt heißt ja im Endeffekt nur: Nicht der Norm entsprechen. Und wer will das denn schon? Schließlich sind wir Individuen ... so gesehen ist jeder verrückt. Außerdem gibt es diesen Ausdruck in der modernen Psychologie schon lange nicht mehr ..."
Ich begann diesen Kerl zu mögen, dabei hatten wir kaum ein paar Worte gesprochen. Diese Ausstrahlung von ihm war fast schon unheimlich. Auch sein plötzliches Erscheinen war unheimlich. Und dennoch fühlte ich mich sehr entspannt und spürte die immer stärker werdende Neugier in mir aufsteigen.
„Sie sind nett ... „ fuhr er fort. „Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll, es ist zu verworren ... .
Am besten fange ich so an. Also was ich vorher sagen wollte.- Ich heiße gar nicht Smith ... das heißt in ihrer Welt schon ... ."
Er stockte, wartete meine Reaktion ab. Ich nickte ihm ermunternd zu, auch wenn ich ihn nicht verstand. Selbstverständlich versuchte ich mir dies nicht anmerken zu lassen. Dummerweise stand Schauspielerei nicht auf meinem Lehrplan und das Talent fehlte mir leider auch.
„Sehen Sie, Sie verstehen ja jetzt schon nicht ..."
„Wie meinen Sie das ‚von dieser Welt', das müssen sie mir erklären ..." fragte ich mit interessiertem Ton nach.
„Also ich bin nicht – wie soll ich sagen – also ich bin nicht von hier, von dieser Welt ... ich komme aus einer Parallelwelt."
Verblüfft sah ich ihn an und fragte: „Sind sie also ein ..."
„Nein! ..." unterbrach er mich energisch „Ich bin kein Außerirdischer! Ich fühle mich sehr fremd, weil diese Welt nicht zu mir gehört. Es ist nicht nur die andere Kultur ... es ist einfach ein anderes Umfeld und ich weiß nicht warum ich hier bin ... ich habe keinen Auftrag ... sonst hatte ich immer einen Auftrag ... ohne den ist es so schwer das alles zu ertragen ... verstehen Sie?" Er klang nun ziemlich verzweifelt und durcheinander. Erneut versuchte ich beruhigend zu reagieren, doch er unterbrach mich.
„Ich bin nicht verrückt ... auch wenn das folgende jetzt so klingen mag." Er schluckte. Ich versuchte ihn mit meinem Blick zum Fortsetzen seiner Geschichte zu animieren. Anscheinend gelang es mir. Denn dann platze es aus ihm heraus: „ICH BIN EIN GNOM UND REISE DURCH VERSCHIEDENE WELTEN ..." und kleinlaut fügte er hinzu: „... aber normalerweise immer mit einem Auftrag".
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Gnom, unser
FantasyEin Mann, der sich für einen Gnom hält, befindet sich in ärztlicher Behandlung. Er gibt sich seinen Wahnvorstellungen hin und bemerkt, dass diese sein Leben ziemlich aufregend gestalten. In diesem Leben hat er eine Mission. Er muss verschiedene Para...