ALLEIN AUF WEITER FLUR
Er konnte es kaum glauben was er gerade durchmachte. Er hatte eben seine schlimmste Erfahrung erlebt. Dabei war er noch gar nicht so lange auf dieser Welt. Er wurde von seiner Familie abgelehnt. Er spürte, dass es seinen Artgenossen egal war, ob er mit Ihnen wanderte oder eine andere Richtung einschlug. Und ihm missfiel, dass sie Leben zerstörten, statt sich an ihm zu erfreuen. Wieso rannte er ihnen hinterher? Was sollte das überhaupt? Vielleicht waren diese „Monstren" gar nicht seine Familie, nur weil sie so ähnlich aussahen wie er? Genau - vielleicht gab es ja noch andere Freidenker da draußen. Nein, er würde jetzt nicht aufgeben und sich hängenlassen. Er würde sich aufmachen und sich andere individuellen Bäume (und diesmal mit Schöngeist) suchen. Ja, mit denen würde er sich bestimmt besser verstehen. Er würde ab sofort seinen eigenen Weg gehen. Aber ... neugierig war er schon, wohin seine Kollegen so abrupt einen anderen Weg eingeschlagen hatten, nachdem sie ständig in die andere Richtung gegangen sind. Also was soll's. Er war so lange mit Ihnen mit getrabt, dann machte er dies eben noch ein Weilchen, bis ihm etwas Besseres einfiel. Da musste er sich aber jetzt beeilen. Er nahm all' seine Kraft zusammen und versuchte sie einzuholen. Zum Glück hatte er die Eigenschaft, relativ lange rennen zu können. So etwas wie mangelnde Ausdauer kannte er nicht. Von weitem sah er, wie seine ehemalige Baumfamilie einen Wald betrat. Es sah schon ziemlich eigenartig aus, wie sie neben den starren Bäumen vorbeiliefen. Denn optisch waren sie voneinander gar nicht zu unterscheiden. Tja, leider standen einige von den Bewegungslosen im Weg und wurden recht unsanft zur Seite geworfen. Ältere, morschere von Ihnen zerbarsten beim Aufprall. Echt Schade. Das durfte nicht sein. Nein, nein, nein. Die armen Tiere die unter, auf oder neben Ihnen wohnten, flohen. Die Langsameren wurden zerquetscht. Die Vögel schimpften verächtlich vom Himmel herab. Er konnte ihre Aufruhr verstehen. Mit welcher Dreistigkeit die Baumwesen vorgingen. Einfach zu entscheiden, wann ein so wundervoll begonnenes Leben beendet werden sollte, weil es Ihnen im Weg war. Schlimm, sehr schlimm. Er holte alles aus sich heraus. Er lief schneller ... noch schneller ... so schnell er nur konnte. Sie durften nicht noch mehr Lebewesen töten. Er versuchte Ihnen zu verstehen zu geben, dass sie damit aufhören sollten. Er holte ein paar von Ihnen ein, stellte sich vor sie, doch sie rempelten ihn nur um. Er stand auf, lief weiter vor und sah auf entfernter Lichtung an einem Bach zwei Menschen stehen. Angsterfüllt blickten diese um sich. Ein toter Stamm flog auf sie zu und in einem kurzen Moment des transparenten Zustands durch sie hindurch. Dann machte es ganz leise Blob und sie waren weg. In Luft aufgelöst. Die wandelnden Bäume an vorderster Front sahen sich um und es schien so, als zuckten sie mit der Schulter. Dann blieben sie stehen. Genauergesagt sie blieben abrupt stehen. Genauso abrupt wie zuvor, als sie plötzlich die Richtung wechselten. Nur mit dem Unterschied, dass sie diesmal eben nicht die Richtung wechselten. Sehr, sehr merkwürdig. Keiner von Ihnen regte sich mehr. So als ob sie schon immer hier gestanden hätten. Ihre Wurzeln begannen sich tief in die Erde einzugraben. Er dachte schon, sie wären am Ziel Ihrer Reise angekommen. Sie würden hier bis zu Ihrer Verrottung verweilen, Frieden mit sich und Ihrer Umwelt schließen und das böse Abschlachten hätte ein Ende ... aber nein. Aus den Ritzen der Rinden rekelten sich klitzekleine Raupen zu Tausenden (pro Baum) hervor, um sich blitzschnell in die Erde einzugraben. Ein kalter Schauer überkam ihn. Irgendwie hatte er das Gefühl, das die kleinen Würmchen die „Seelen" der Bäume gewesen sein könnten und sich diese aufmachten, um irgendwo Wiedergebohren zu werden. Das Morden nahm noch kein Ende und er konnte nichts dagegen tun. Aber vielleicht schafften es diese Menschen, die entkommen konnten. Warum verfolgten seine Artgenossen sie und wieso kamen sie Ihm so bekannt vor? Irgendetwas tief in seinem Gedächtnis mit grauem Schleier umhüllt wollte hervor. Nein, es war gar nicht sein Gedächtnis, es war eine Stimme in seinem Unterbewusstsein, welche er bisher erfolgreich verdrängte. Diese Stimme wurde lauter und diese befahl ihm in tiefem hasserfüllten Grollen: „Töte ihn, Allen Fine und jeder der ihn unterstützt. Töte ihn, Dr. Susan Popheila und den Gnom. – Halt! - Den Gnom schände nur und bring ihn dann zu mir! Er soll zuerst mit ansehen wie alles, wofür er steht, qualvoll getötet wird, bevor ich Ihn genüsslich über Äonen von Jahren zerquetschen werde. Dein Herr und Meister befiehlt es Dir. ICH BIN DEIN CLEANER!"
Unser Baum blieb, ebenso wie seine Brüder (und Schwestern!?) zuvor, angewurzelt stehen, ohne sich zu bewegen und begann erneut nachzudenken ...
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Gnom, unser
FantasyEin Mann, der sich für einen Gnom hält, befindet sich in ärztlicher Behandlung. Er gibt sich seinen Wahnvorstellungen hin und bemerkt, dass diese sein Leben ziemlich aufregend gestalten. In diesem Leben hat er eine Mission. Er muss verschiedene Para...