INMITTEN EINER IDYLLISCHEN LANDSCHAFT – EIN ROGGENFELD
Die Sonne war schon eine Weile aufgegangen. Sie stand ziemlich hoch. Nur ein klein wenig säuselte friedlich der Wind. Wäre ein Lebewesen aus Fleisch und Blut dagewesen, es hätte ziemlich stark zu schwitzen angefangen – so heiß war es. Doch weit und breit war keines zu sehen. Der Himmel war wolkenlos.
Eigentlich wäre bei diesem Anblick nichts Besonderes zu erwähnen gewesen, wenn nicht inmitten dieses Feldes ein großer dunkelbrauner, fast schwarzer Baum alleine auf weiter, weiter Flur gestanden hätte. Seine Krone war grün. So grün, dass es die Vögel angezogen hätte, wenn welche da gewesen wären. Aber da waren keine. Sie werden jetzt bestimmt denken, dass auch ein Baum inmitten eines riesigen Roggenfeldes zwar skurril, aber auch nicht besonders spektakulär sei. Zugegeben, ich würde Ihnen zustimmen, wenn nicht ... tja, wenn nicht dieser Baum angefangen hätte ein Bewusstsein zu entwickeln. Und sie sind nun Zeuge dieses einmaligen Phänomens. Seine Gedanken lauteten ungefähr so:
„Wo ... wo bin ich? Was, ja was bin ich? Woher kam ich, wo werde ich zukünftig sein? Werde ich gebraucht? Bin ich alleine? Welchen Sinn hat mein Da-Sein? ... Ich bin so verloren! ... Ich habe Durst ... ich spüre Wärme auf meinen Blättern ... Mann-O-Mann habe ich schöne Blätter und stramme Äste und mein Stamm ... Mann-O-Mann ... ich sehe bestimmt saugeil aus ... für so'n Typ Baum wie mich.
Die Wärme ... ja, ja ... die Wärme. Sie wird immer stärker ... mir wird heiß ... ich habe so einen Durst ... Meine Wurzeln, sie liegen auf der Erde, warum sind sie nicht in der Erde? Wieso fange ich an mir so viele Gedanken zu machen? Ich kann hier nicht bleiben. Ich gehöre irgendwie nicht hierher. Ich muss hier weg. Ich muss unbedingt hier weg ... ich bin hier falsch ... neben mir nur Komisches gelbes Gestrüpp ... kilometerweise Gestrüpp. Ich muss hier weg und seit wann kann ich überhaupt sehen? Es geht etwas Komisches vor. Vielleicht bin ich ja auch gar kein Baum ... aber es fühlt sich so an, als wäre ich einer. Und ich sehe auch aus wie einer von oben bis unten. - Ich kann mich selbst sehen! Das ist ja noch eigenartiger. Ich sehe mich und ich sehe kilometerweit ... ich sehe ein Ende des riesigen Feldes. Es sind die hohen Berge die ringsherum dieses Tal einkreisen.
Komisch, seit wann weiß ein Baum über die Flora, Fauna und den Rest der Biologie bzw. Physis der Natur so gut Bescheid, dass er auch einen Berg bzw. ein Gebirge erkennt. Aber eines steht fest, mein Ziel befindet sich hinter den Bergen ... sogar sehr sehr weit hinter den Bergen ..."
Und so marschierte der Baum los. Und keiner konnte dieses Schauspiel beobachten, außer dem Roggen. Und den kümmerte es nicht, denn Roggen hat doch kein Bewusstsein...
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Gnom, unser
FantasiaEin Mann, der sich für einen Gnom hält, befindet sich in ärztlicher Behandlung. Er gibt sich seinen Wahnvorstellungen hin und bemerkt, dass diese sein Leben ziemlich aufregend gestalten. In diesem Leben hat er eine Mission. Er muss verschiedene Para...