6 - Allen Fine

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IN EINEM GROSSEN GEBÄUDE EINER TAGESZEITUNG

„Der Trottel soll sofort in mein Büro" rief der Mann, der von Kopf bis Fuß cholerisch veranlagt war und eine bedeutende Zeitung führte. Seine betörende Assistentin, deren Beschreibung sehr aufreizend ausfallen müsste (Beine bis zum Hals, sehr kurzen Rock, der fast schon die Dimension eines Gürtels eingenommen hatte, blond, rote Lippen, die nach Verführung schrien, und ein atemberaubend üppiges Dekolleté), sprach schnippisch: „Sie meinen Mr. Fine, Sir."
„Ja, bringen sie ihn in mein Büro!"
„Aber selbstverständlich Sir" säuselte sie offensichtlich so falsch wie eine schwarze Witwe, die sich schon innerlich die Zähne nach einem Mahl leckte, bei der das Männchen offensichtlich der Hauptgang war.
Allen Fine kann man in etwa kurz und prägnant wie folgt beschreiben: ein Rotschopf wie er im Buche steht. Er war groß, schlank (gemeine Leute würden ihn nicht schlank sondern hager nennen), hatte lockige kastanienrote Haare, Sommersprossen im Gesicht, ein Drei-Tage-Bärtchen und haselnussbraune Augen.
Im Moment saß er hinter seinem Schreibtisch. Der Lüfter seines Computers säuselte leise vor sich hin, der blinkende Cursor auf dem Bildschirm lud im hypnotischen Takt zum Träumen ein und das energisch störende Klingeln des Telefons musste bei einem so penetranten Verhalten einfach ignoriert werden. Das hektische Treiben seiner Kollegen um ihn herum war mehr als befremdlich. Doch sein phlegmatisches Verhalten sollte sich bald ins Gegenteil umkehren. Zunächst wurde er von den fantastischen Beinen der persönlichen Assistentin seines Chefs abgelenkt. Aber dies war erst der Anfang. Dieser Körper, diese wohlgeformten Brüste und dieses perfekt auf Wollust geschminkte Gesicht mit zwei erotisch-kühlen Augen. Überhaupt wirkte ihre Mimik streng. Genauso streng wie ihre Haare, die ebenso drakonisch nach hinten zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden waren. Ihre Stimme unterstrich ihr ernstes Auftreten (und dennoch klang Sie so wunder-, wunderschön):
„Mr. Fine – ab zum Chef – sofort"
„Mit Ihnen gehe ich bis ans Ende der Welt" erwiderte Mr. Fine verschmitzt.
„Bis zum Büro reicht es vorerst" zischte sie nur kalt zurück.
„Angenommen ich wäre der Boss hier und ich hätte einen feuerroten Porsche, hätte ich dann den Hauch einer Chance auf eine Romanze zwischen Ihnen und meiner Wenigkeit?"
Mit unverändertem Gesichtsausdruck antwortete Sie: „Nur wenn Sie den letzten Sportwagen der Welt hätten ... können wir jetzt ..." Sie drehte sich um, zeigte mir ihre kalte Schulter und er blickte auf Ihren ebenso wohlgeformten Po – „... weiter? Und starren Sie mir nicht auf meinen Allerwertesten, sonst zeige ich Sie wegen sexueller Nötigung an."
„WAS ZUM GEIER machen Sie hier? Sie werden nicht fürs Träumen bezahlt!" schnauzte ein Koloss von fettleibigem und wahrscheinlich noch nie bzw. äußerst selten sexuell befriedigten Mann den schlanken Mr. Fine an.
„Haben Sie meinen Artikel gelesen, Sir?" erwiderte er kleinlaut, aber doch mit ein klein wenig Hoffnung auf Anerkennung in seiner Stimme.
„Ja, und er ist Scheiße! Auch wenn ich dieser Meinung von Dr. Cryfax zustimme ... wo bleibt das Exklusiv-Interview mit dieser verrückten Baum-Tante? Ich will es jetzt, nein, noch besser: Das hätten Sie schon gestern erledigen sollen!"
„Sir, ich betreibe nur seriösen Journalismus, nicht Boulevard!"
„Ah, ein Anzeichen von Größenwahn mir widersprechen zu wollen? - Seriöser Journalismus oder Boulevard – beides ist für'n Arsch, wenn es sich nicht verkauft. Und Sie mein Lieber sind nicht hier um sich selbst zu verwirklichen – Sie sind hier um einen Artikel zu schreiben, der unsere Auflage erhöht! Also los, holen Sie mir diesen Dr. Poopsi ran!"
„Dr. Susan Popheila" mischte sich die anmutige Assistentin ein. Zu ihrem kalten Blick kam jetzt ein Hauch von Mitleid für Mr. Fine hinzu – aber nur einen kurzen ... einen sehr kurzen Augenblick.
„Ob Sie sich doch für mich interessiert und meine Artikel liest?" dachte Allen voller Hoffnung und fing unbewusst an zu Lächeln, welches sofort von seinem cholerischen Boss wieder genommen wurde.
„Wie auch immer, worauf warten Sie noch?" zischte es aus ihm heraus wie ein Dampfkessel, der kurz vor der Explosion stand.
„Sie ist sehr schwer zu finden Sir" sagte er noch kleinlauter als zuvor.
„Das ist ihr Job und jetzt raus aus meinem Büro, bevor ich mich vergesse!"
Mr. Fine duckte sich und verschwand ganz schnell aus dem Büro mit einem nun mittlerweile ganz klein gewordenen „Ja, Sir!". Denn es schien, als ob sein Chef wirklich gleich zerbersten würde.

Gnom, unserWhere stories live. Discover now