Die Gebundenen

Kapitel 5

Octavian schien meinen Gesichtsausdruck gut deuten zu können. Er sah mich an und gab mir einen warnenden Blick, um mich darauf hinzuweisen jetzt bloß nichts zu sagen. Also hielt ich den Mund, so schwer es mir auch fiel.

Nicht viel später verließen wir die Halle und meine Zurückhaltung hatte ein Ende. Schweigen war für mich einfach keine Option. Ich setzte zu einer Wutrede an, um meinem Ärger Luft zu machen.

„Warum zur Hölle saßt ihr da alle–"

Doch bevor ich überhaupt loslegen konnte, ergriff mich Octavian und zog mich mit einem Ruck in eine dunkle Seitennische.

„Hey, sei still!", zischte er in einem ungewöhnlich scharfen Ton.

„Aber-"

„Glaubst du ernsthaft keiner hätte etwas gesagt, wenn es nicht gefährlich wäre?"

„Wieso gefährlich?", rief ich und bemerkte zur gleichen Zeit, wie dumm diese Frage eigentlich angesichts der Situation war.

„Schhh!" Octavian legte den Finger an die Lippen, seine Stirn geprägt von Sorgenfalten. „Heute Nacht um Fünf in der Bibliothek."

„Welcher Bibliothek?"

Octavian starrte mich an, dann begriff er. „Oh, sorry." Zerknirscht wendete er seinen Blick zum Boden. „Du kannst ja gar nicht wissen wo sie ist. Ich hol dich vor deinem Zimmer ab. Das vierte, richtig?"

Ich nickte.

„Und muss es denn so früh sein?" Fünf Uhr morgens erschien mir etwas heftig, unabhängig vom Zweck.

Doch zu meinem Leiden war Octavian da eindeutig anderer Meinung.

„Morgen früh ist die Pflichtversammlung für alle Neulinge und dann beginnt auch unsere Bestimmungsfindung. Das dürfen wir auf keinen Fall verpassen. Außerdem", fuhr er fort, „ist diese Zeit die beste, um nicht entdeckt oder gehört zu werden."

Diese Erklärung war zwar einleuchtend, aber mein schlafsüchtiger Körper fand das alles gar nicht lustig.

Wiedersträubend sagte ich Octavian zu und versprach pünktlich vor meiner Tür zu stehen.

Dennoch nagte ein ungutes Gefühl an mir. Irgendwas musste in dieser Schule wirklich ernsthaft falsch laufen.