Kapitel 6

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Das Klopfen riss mich ohne Erbarmen aus dem Schlaf. Knurrend zog ich mir das Kissen über den Kopf und alles um mich herum wurde wieder schwarz, ich tauchte abermals fast ins Reich der Träume ein.

Doch dann erinnerte ich mich dunkel, warum gerade jemand an meine Tür geklopft hatte. Schwerfällig stieg ich also aus dem Bett und streifte mir irgendein x-beliebiges Shirt über, die Farbe war mir scheißegal. Alles in mir schrie nach Schlaf.

Das änderte sich auch nur geringfügig als ich gähnend Octavian begrüßte und mich mit ihm auf den Weg durch die verschlungenen Gänge machte. Wir stiegen Treppen über Treppen hinauf, vorbei am Speisesaal und dem großen Eingangstor des Baumes, auf dessen andere Seite ich bisher keinen Blick werfen konnte. Das müsste ich im Laufe des Tages dringend nachholen. Genau wie meinen Schlaf...

Nach einer gefühlten Ewigkeit standen wir in der Bibliothek. Ein gigantischer, von Mondlicht durchfluteter Saal, von dessen Mitte aus viele Gänge voller Bücherregale abzweigten.

Octavian ließ mir allerdings nicht die geringste Zeit weiterzustaunen. Mit einem Ruck zog er mich am Arm entlang eines kleinen Seitenganges, zwischen tausenden Büchern hindurch.

Ich wollte ihn fragen, warum er es so eilig hatte, doch ein Blick in sein ernstes und ungewohnt verkniffenes Gesicht gab mir genug Grund zur Annahme, dass ich jetzt still sein sollte.

Links, rechts, eine paar Stufen nach oben... Abzweigung für Abzweigung wurde es dunkler um uns, noch dazu hatte ich absolut die Orientierung verloren. Warum nur war hier alles so verdammt verwinkelt... Inzwischen klammerte ich mich an Octavians Handgelenk, um ihn in der Finsternis nicht zu verlieren. Es war gespenstisch still und langsam roch es auch modrig. Mir fröstelte je weiter wir in das Bücherlabyrinth eintauchten.

Irgendwann hielt Octavian inne und einige Sekunden später hörte ich das zischende Geräusch eines sich entzündenden Streichholzes. Das kümmerliche Feuer erhellte den Raum und Octavian gebrauchte es, um eine kleine Lampe zu erleuchten. Sie baumelte an einem rauen Schulterriemen, den er sich vor dem Aufbruch quer über seinen Körper gestreift hatte.

„Dort durch", flüsterte Octavian und zeigte auf ein winziges Loch am Boden.

„Das ist ein Witz, oder?" Octavian hob die Schultern und ein schelmisches Grinsen huschte über sein Gesicht.

„Dein Ernst?! Wie soll man da überhaupt durchkommen..."

„Naja... krabbeln, kriechen, durchzwängen. Wie auch immer du es nennen möchtest."

„Na danke." Kurz überlegte ich mich zu weigern, aber irgendwelche Gründe würde Octavian schon haben, dass er diesen Weg hier wählte. Er schien sich jedenfalls erschreckend gut in diesen Gewölben auszukennen. Aber andererseits kannte ich ihn gerade mal einen Tag.

„Woher soll ich wissen, dass du mich nicht einschließt, sobald ich da drin bin?", fragte ich mit Skepsis in der Stimme.

Octavian wirkte verletzt und sein direkter Blick in meine Augen beruhigte mich.

„Du kannst es nicht wissen und ich kann es dir nicht beweisen. Aber hätte ich kein Vertrauen in dich, hätte ich dich nicht hierhergeführt", meinte er leise. Sein Ausdruck du seine Worte schienen aufrichtig.

Ich seufzte, dann legte mich auf den klammen Boden und versuchte mich durch die Öffnung zu quetschen. Nachdem ich es geschafft hatte, reichte mir Octavian seine Lampe und kroch selbst hindurch.

„Danke, Cassius." Er zog ein paar weitere Streichhölzer hervor. Erst jetzt drehte ich mich um und realisierte, dass wir uns nun in einem kleinen geschlossenen Raum befanden. Es gab zwar keine Fenster, aber dafür einen selbst zusammengeschusterten Sessel und zwei gemütliche Sofas, Kissen und andere Kleinigkeiten. Die Wände waren in Teilen von hübschen Kletterpflanzen bedeckt. Octavian zündete nach und nach verschiedene im Raum verteilte Laternen an bis alles einen hellen und freundlichen Eindruck machte. Anschließend schob er noch einen Stein vor die Öffnung.

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