Teil 1 Karamatsu

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"Das wird schon wieder.", versuchte Todomatsu mich aufzuheitern.

Ichimatsu lag schon eine Weile im Krankenhaus. Nach seinem Unfall hatte er drei Monate lang im Koma gelegen. Ich hatte ihn jeden Tag besucht. Manchmal war ich sogar zwei Mal am Tag dort gewesen. Die Vorstellung daran nicht mehr mit ihm reden zu können hatte mich damals schon verängstigt. Jetzt habe ich ein ganz anderes Problem.

"Der Arzt meinte, dass es eine Weile dauern kann, bis er sich an alles erinnern wird.", fügte Choromatsu hinzu und bekam sogleich einen /Wenn Blicke töten könnten/ Blick von Todomatsu zugeworfen. "Entschuldigung..."

Meine Augen fixierten den Boden vor meinen Füßen. Die Menschenmengen um mich herum blendete ich aus während wir auf dem Weg nach Hause waren.

"Seh es positiv. Morgen schon können wir ihn zurück nach Hause holen."

"Totty, seid wann bist du so einfühlsam?", Osomatsu grinste. "Oh lasst uns doch ein Bier schnorren gehen. Chibita hat sicher nichts dagegen." Ich spürte Osomatsus Blick auf mir liegen. Dann fühlte ich seinen Arm auf meiner Schulter. "Komm schon. Das wird lustig."

"Ich denke ich passe. Tut mir leid.", sagte ich leise ohne meinen Blick zu heben.

"Er wird sein Gedächtnis schon wieder zurück bekommen.", versuchte jetzt auch Choromatsu mich aufzuheitern.

"Danke, Leute, aber ich habe wirklich keine Lust auf Bier."

"Wie du willst. Gehen wir dann nach Hause?", fragte der älteste.

"Geht ruhig ohne mich."

"Bist du sicher?", fragte Choromatsu. Ich nickte.

"Dann sehen wir uns zuhause.", damit gingen die andern drei in Richtung Innenstadt. Jyushimatsu ist bei Ichimatsu geblieben. Die Ärzte wollten ihn herausschmeißen, aber er hat sich ans Bett geklammert. Wenn es jemand anders wäre, wäre ich jetzt sicher eifersüchtig gewesen.

Ich warf einen Blick in ein Schaufenster eines Geschäftes. In meiner Spiegelung erblickte ich einen jungen Mann, der aussah als wäre er auf einem Drogentrip gewesen. Letzte Nacht habe ich kein Auge zubekommen. Sie wollten seine Lebenserhaltungssysteme ausschalten. Gerade dann soll er aufgewacht sein.

Die Augenringe und mein leerer Blick ließen mich wie besessen aussehen. Ich fuhr mir mit dem Handrücken über die Augen. Es wird alles gut. Ichimatsu lebt. Aber ist das wirklich besser? Er erinnert sich an gar nichts mehr. Weder an mich als seinen Bruder, noch...

Ich schüttelte meinen Kopf um die Gedanken zu verdrängen und lief weiter den Weg entlang. Die Gedanken schienen aber andere Pläne mit mir zu haben. Immer wieder kamen Erinnerungen in mir hoch. Wie damals, als wir uns im Regen geküsst hatten. Der Regen war kalt, dennoch wollte er nicht nach drinnen gehen. Damals wussten die anderen noch nichts von uns.

Auch als wir das erste Mal miteinander schliefen wusste noch keiner von ihnen, dass wir miteinander ausgingen. Es war unser kleines Geheimnis. Und Gott war er gut im Bett.

Mein Gesicht nahm einen ungesunden Rotton an. Ich sollte nicht an so etwas denken. Nicht nachdem er davon ausgeht, dass wir nur Brüder sind. Aber diese eine Sommernacht ging mir immer und immer wieder durch den Kopf.

Es war heiß draußen gewesen. Ein Sommergewitter lag in der Luft. Noch regnete es nicht und die Luft war schwül. Die anderen waren auf einer Übernachtungsparty eingeladen. Ich und Ichimatsu haben abgesagt, um das erste Mal eine Nacht zu zweit verbringen zu können. Als wir zusammen auf dem Balkon standen und ein Luftzug seine Haare zerstäubte, dachte ich ich wäre im Himmel gelandet. Allein die Engel fehlten. Aber die brauchte niemand, denn ich hatte einen und er stand direkt vor mir unter freiem Himmel.

Damals trug Ichimatsu ein weites violettes Shirt und eine kurze Hose. Ich weiß es noch als ob es gestern gewesen wäre. Wenn ich die Augen schloss und meine Hand ausstreckte, könnte ich ihn dann berühren?

Sein Blick lag in der Ferne als ich mich neben ihn stellte. Nervös wusste ich nicht was ich sagen sollte. Als ich im Augenwinkel zu ihm sah, bemerkte ich, dass er recht gelassen aussah. Er blickte zu mir und für einen Moment setzte mein Herz aus. "Karamatsu.", seine Stimme klang nicht abweisend, wie sie normalerweise klang. Sie klang beruhigend. Als er nach meiner Hand griff und mich zu sich zog um unsere Lippen zu vereinen war ich erneut auf Wolke 7 angelangt. Mein Herz raste und für einen Augenblick hatte ich vergessen zu atmen.

Erst als Ichimatsu unsere Lippen entzweite und mir in die Augen sah, realisierte ich, dass es kein Traum war. Damals war es kein Traum gewesen. Heute kam es mir wie einer vor.

Ich stand vor einer roten Ampel und wartete darauf, dass sie grün wurde und ich endlich herüber laufen konnte. Die Wolken hatten sich mittlerweile vermehrt und ich fürchtete nicht mehr trocken zuhause anzukommen. Als die Ampel umschaltete lief ich schnellen Schrittes über die Straße. Ein paar Menschen standen vor den Geschäften und unterhielten sich.

Ich frage mich, ob es jemals wieder so sein wird, wie es war. Werde ich Ichimatsu jemals wieder so berühren können wie ich es damals getan habe?

Meine Augen wurden glasig. Ich wusste nicht was schlimmer war. Ihn nie wieder sehen zu können oder ihn nie wieder berühren zu können. Mit ihm in einem Haus zu leben, diese Begierde zu haben und sie geheim halten zu müssen, scheint mir Nahezu unmöglich.

Die ersten Regentropfen fielen vor meine Füße. Ich zog die Kapuze meines Hoodys tief in mein Gesicht hinein, während sich die Tropfen vermehrten. Meine Schritte wurden schneller. Wenige Sekunden später schloss ich die Haustür auf und trat ein.

Ich schmiss meine Schuhe zu den Hausschuhen meiner Brüder und zog mir meine an. Auf dem Weg nach oben zog ich meinen nassen Hoody aus und warf ihn zusammen mit meiner Hose im Bad in den Wäschekorb.

Im Schlafzimmer kramte ich meine Schlafsachen aus meinem Schrank hervor und streifte mir diese über. Dann wanderte mein Blick zum Fenster. Draußen donnerte es mittlerweile. Erneut atmete ich aus und legte mich ins Bett, meine Hausschuhe stellte ich daneben ab. Die Decke zog ich mir über den Kopf bevor ich die Augen schloss.

Ich vermisste das Gefühlt von Ichimatsus Armen um meinen Körper, auf meiner Haut, überall....

Doch ich wusste, dass es niemals mehr so werden würde, wie es einmal war.

Vergiss mich nicht/Ichikara FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt