2. Kapitel - Alice

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Als ich das nächste mal aufwachte, hörte ich Stimmen. Keine Stimmen in meinem Kopf, echte Stimmen, reale Stimmen. Ich drehte meinen Kopf und erkannte einige Betten, die in einer Reihe standen. Jedes hatte einen fahrbaren Nachttisch aus Metall auf der linken Seite. An manchen stand ein Tropf, durch den eine klare Flüssigkeit lief, andere waren hinter einer kleinen Trennwand versteckt und man sah nur die Rollen der Betten unter der Trennwand hindurch. Die Betten die nicht belegt waren, waren fein säuberlich hergerichtet worden und mit einer hellgrünen Tagesdecke versehen. Ich wollte mich etwas aufsetzen, spürte aber die Fixierung an meiner Brust, die mich bewegungsunfähig machen sollte. Was sollte das? Ich drehte also nur meinen Kopf, um etwas zu sehen. Aber das einzige was ich sah, war das leere Bett neben mir. Ich horchte auf und hörte wieder die Stimmen. "Ja, sie war ganz alleine." Ich konnte die Stimme niemandem zuordnen und konnte auch den Besitzer der Stimme nirgends ausmachen. "Wie konnte das nur geschehen?", antwortete eine weitere Stimme. Sie waren beide weiblich, vielleicht die Krankenschwestern. Ich erinnerte mich daran, wie ich gestern noch blutend auf dem Boden meines Zimmers lag und die Stimme in meinem Kopf versuchte zu vertreiben. Wie in Trance bekam ich mit, wie die Tür geöffnet wurde und einer der Pfleger die Nachtdienst hatten herein stürmte . Er hatte meine Schreie gehört und kam, um mir zu helfen. Er eilte auf mich zu und sagte irgendwas, aber ich konnte es nicht verstehen. Ich sah nur wie seine Lippen sich bewegten, doch hörte kein Wort. Das letzte woran ich mich erinnerte, waren die braunen Augen des Mannes, dann nur noch schwärze. Ich musste kurz darauf ohnmächtig geworden sein. Und dann wachte ich hier in der Krankenstation wieder auf.
"Sie hatte keine scharfen Gegenstände bei sich." Die Stimme der ersten Frau holte mich wieder ins Hier und Jetzt zurück und ich lauschte ihren Worten. "Aber wie konnte sie sich dann so verletzen?" Der Schrecken war aus der Stimme herauszuhören. "Genau das versucht die Anstaltsleitung nun herauszufinden", antwortete die Frau wieder. Doch die Stimmen entfernten sich und Schritte die vom Krankenzimmer weg führten , waren zu hören. Seufzend versuchte ich mich irgendwie zu bewegen, doch es klappte nicht. Die können mich doch hier nicht versauern lassen! Wütend wollte ich nach jemandem rufen. Da hörte ich ein ansteigendes Getrampel, welches genau in meine Richtung kam und immer lauter wurde. Gemurmelte Worte waren zu hören und etwas, was über den Boden schabte. Es klang wie Rollen, die gegen ihre Richtung über den Boden gezogen wurden. Die Tür wurde aufgestoßen und krachte mit einem lauten Gepolter gegen die Wand. Ich drehte meinen Kopf in die Richtung und sah eine Ansammlung an Sanitätern, die eine rollbare Trage über den Boden schleiften. Sie riefen wild hin und her und zwei Damen in weißen Uniformen, wie man sie aus dem Krankenhaus kannte, kamen aus einer anderen Tür herein gestürmt . Sie gestikulierten wie wild und gaben Anweisungen, den Patienten von der Trage auf das Bett zu befördern. Der Stimmen nach zu urteilen, waren es genau die Zwei, die sich vorhin schon unterhalten hatten. Alles war laut und durcheinander und ich hörte nur Wortfetzen. "Unfall", "Verletzt", "viel Blut verloren", "Lebensgefahr". Das Bett wurde durch eine weitere Tür geschoben und so war ich wieder alleine mit mir selbst.
Nach einer Ewigkeit ging die Tür wieder auf und das Bett wurde neben meins geschoben. "Ah, du bist wach. Wie fühlst du dich, Cataysa?" Die Frau von vorhin stand so vor mir, dass ich sie anschauen konnte. Die roten Locken umrahmten ihr dünnes Gesicht und die strenge, die ihre gerade Nase ausstrahlte, wurde durch die Sommersprossen vermindert. Ihre Augen leuchteten in einem sanften Blau, als sie mich anlächelte und auf eine Antwort wartete. "Wird derjenige es überleben?" Ich bewegte meine Augen zu dem Bett, welches neben mir stand. Das warme Lächeln der jungen Frau verlor etwas an Kraft und sie sah zu dem Bett hinüber. "Wir hoffen es", erwiderte sie leise. "Sie hat sehr viel Blut verloren. Aber wir haben getan, was wir konnten." Ich nickte einfach. "Warum bin ich festgebunden?" Die Krankenschwester sah wieder zu mir. "Zu deiner Sicherheit." Sie schenkte mir wieder ein freundliches Lächeln. "Und was für eine Art Sicherheit soll das sein? Wenn mich jemand angreift, kann ich mich nicht einmal wehren", gab ich wirsch zurück. "Aber ich bitte dich. Wer sollte dich hier angreifen?" Lachend schüttelte sie den Kopf. "Ich muss mich um die anderen Patienten kümmern. Sollte etwas sein, oder Alice aufwachen, ruf mich doch bitte." Sie deutete bei dem Namen Alice auf das Mädchen in dem anderen Bett und ging dann aus dem Raum. Und ich war schon wieder mit meinen Gedanken alleine. Doch diesmal lag ein Mädchen neben mir, welches ich nicht kannte und von dem ich nicht wusste, ob sie es überleben würde. Ich sah eine Zeit lang einfach nur zu dem Bett und schlief irgendwann ein.
"Niemand will mit mir spielen. Alle lassen mich immer alleine, laufen weg, verstecken sich. Doch ich finde sie, finde sie alle und dann erlöse ich sie von ihrem Leid." Eine helle, kindliche Stimme holte mich aus dem Schlaf und ein leises Kichern war zu hören. "Und wenn sie erlöst sind, trinke ich ihr Blut." Das leise Kichern wurde lauter und es waren nicht nur die Worte, die mich erschauern ließen. Angst machte sich in mir breit. Ich versuchte mich weiter aufzurichten, doch es ging nicht. Diese Stimme klang so leblos, so kalt und kam mir irgendwie bekannt vor. Ich sollte die Schwester rufen. Ich sah rüber zu dem Bett, konnte aber nichts erkennen. "Alice?" Das Kichern verstummte. "Bist du wach?" Ich drehte mich so gut es ging in ihre Richtung und ignorierte das ungute Gefühl. "Cataysaaaa." Sie zog meinen Namen in die Länge und hauchte ihn zischen. Es klang so bedrohlich, dass mein Herz schneller schlug und ich nach der Krankenschwester rief. "Dumme Cataysa. Sie kann dir nicht helfen, wird dir nicht helfen." Das Lachen erklang wieder. "Was willst du von mir?" Es kostete mich meinen ganzen Mut, diese Frage zu stellen. "Spielen. Ich will nur mit dir spielen und am Ende schenke ich dir die Erlösung." Ich fing an, mich gegen die Fixierung zu wehren und sah zu dem Bett rüber, auf dem ich nur einen Kissen und Deckenberg erkannte. "Du willst doch mit mir spielen?" Die Stimme von Alice wurde noch kälter und jagte mir einen Schauer über den Rücken. Sie bewegte sich und blonde Locken kamen zum Vorschein, dann die Stirn, die von einem Verband umhüllt war und schließlich eiskalte, aber klare, blaue Augen. Der Rest des Gesichts wurde von dem Kissen verborgen. Sie starrte mich mit diesen Augen an und jedes Leben schien aus ihrem Körper gewichen zu sein. Ich rief erneut nach der Krankenschwester. Irgendjemand musste mich doch hören. Das Mädchen hatte einige hauchdünne Schnittwunden im Gesicht, die wie feine Risse in der Haut wirkten. Doch was mich viel mehr erschreckte, war ihr Mund. Ihre Mundwinkel waren bis zu den Wangen aufgerissen und genäht worden. Es sah aus wie eine Maske des Grauens und das getrocknete Blut, welches an den Nähten und der Haut klebte, tat sein übriges. Der Mund verzog sich zu einem bösartigen Grinsen, wodurch die Nähte in das Fleisch schnitten und so erneutes Blut über ihren Mund und ihr Kinn lief. Es war die Puppe! Die Puppe der vergangenen Nacht. Lachend streckte sie ihren Arm nach mir aus, was mich nur noch lauter schreien ließ. "Hilfe! Warum hilft mir denn keiner?" Meine Stimme überschlug sich und die Panik war deutlich heraus zu hören. "Weil dich keiner hören kann!" Alice schlug die Decke weg und richtete sich auf. Ihre kalten bösartigen Augen waren auf mich fixiert. Warum ist sie nicht festgebunden? Panisch rüttelte ich an meiner Fixierung, während Alice mit langsamen, schlurfenden Schritten auf mich zu kam. Ihr einer Arm hing ab und war bandagiert und ihr Kopf lag schräg auf ihrer Schulter. "Du hättest das nicht tun dürfen." Sie sagte es in einem ruhigen Tonfall und ließ mich nicht aus den Augen. Ich rutschte hin und her und versuchte den Gurt zu lösen. Alice blieb genau vor mir stehen, griff nach einer Spritze die auf dem Nachttisch zu meiner Rechten lag und setzte dazu an, sie in meinen Hals zu stoßen. Ich bäumte mich noch einmal auf, merkte wie sich der Gurt löste und sprang auf Alice zu. Ich warf das Mädchen um, welches die Spritze fallen ließ, die dann über den Boden rutschte. "das wirst du bereuen!", fauchte sie mich an und ihre Augen fingen an zu lodern. Sie schubste mich nach hinten und sprang auf mich drauf. Mit ihren Händen kratzte sie mir durchs Gesicht. Das Blut, welches ihr immer noch über das Gesicht lief, tropfte auf mich und die Kratzer, die sie mir eben zugefügt hatte, brannten. Sie verzog ihr Gesicht wieder zu einer häßlichen Fratze und riss den Mund auf, was die Fäden nur weiter in ihre Haut schneiden ließen. Mit den spitzen und scharfen Zähnen wollte sie mich beißen, während sie mir mit der Hand die Luft abschnürte. "Es wird Zeit für dich zu sterben!" Sie schnürte mir weiter die Luft ab und ich wehrte immer noch ihren Mund ab, mit dem sie mich zerfetzen wollte. Mit letzter Kraft bäumte ich mich nochmal auf, warf sie nach hinten und robbte schnell zu der Spritze, die in meinem Sichtfeld lag. Ich hörte einen wütenden Aufschrei von Alice und spürte ihre Zähne in meinem Bein, als sie sich dort festbiss. Mir traten die Tränen in die Augen, so sehr brannte der Biss und ich versuchte weg zu kommen, doch sie ließ nicht locker. Ich holte mit meinem gesunden Bein aus und trat ihr mitten ins Gesicht. Durch den Stoß kam ich mit den Fingerspitzen an die Spritze, die ich auch direkt in die Hand nahm. Ich hörte Alice erneut Schreien vor Wut und drehte mich auf den Rücken, um mich hochzusetzen. In dem Moment, als sie auf mich zu rannte und mich mit weit aufgerissenem Mund und einem mordlustigen Blick nun endgültig töten wollte, hob ich in windeseile meinen Arm und als sie sich auf mich stürzte, versenkte sich die Spritze in ihrer Brust, genau in ihr Herz. Sie sackte auf mir zusammen, wodurch ihr der Inhalt der Spritze injiziert wurde. Das Blut, welches immer noch aus ihren Wunden austrat, durchnässte mein Haar und meine Kleidung. Wenn sie jetzt wieder als Zombie aufsteht, kotze ich! Doch das tat sie nicht, sie blieb leblos liegen. Gott sei Dank. Endlich vorbei! Erleichtert schubste ich sie von mir herunter und sah in ihre leblosen Augen. Sie sah nun wieder genau so aus wie die Puppe, die mich in der vergangenen Nacht besucht hatte. Unheimlich. Ich erhob mich fröstelnd und ging zu meinem Bett rüber. "Cataysa!" Panisch drehte ich mich wieder zu Alice um, als ich meinen Namen hörte, voller Angst, dass sie wieder aufgestanden war. Doch das war sie nicht. "Cataysa!" Mit einem Ruck wurde ich aus dem Schlaf gerissen und wollte mich schnell aufsetzen, um zu sehen wer mich angreifen wollte. Doch die Fixierung ließ es nicht zu. War die nicht eben noch ab und hing herunter? Verwirrt sah ich in das Gesicht der Pflegerin, die mich anscheinend geweckt hatte. "Cataysa? Alles in Ordnung? Du hast im Schlaf geschrien" Die Krankenschwester setzte sich auf die Kante meines Bettes und strich mir ein paar verschwitzte Strähnen aus der Stirn. "A-Alice?", hauchte ich leise. Ich war verwirrt und meine Stimme war kratzig und klang heiser. Der Ausdruck auf dem Gesicht der Frau veränderte sich. "Sie hat es leider nicht überlebt. Sie hatte einen Herzstillstand und wir haben versucht sie zu reanimieren. Doch einer der Sanitäter hat ihr eine zu hohe Dosis Adrenalin gespritzt. Da ist sie kollabiert" Sie tätschelte meine Hand und ich sah rüber zu dem anderen Bett, auf dem das leblose Mädchen lag. Eine Spritze steckte in ihrer Brust und einer der Sanitäter zog sie gerade heraus, um sie auf den Tisch zu legen. Er deckte das Mädche zu und verhüllte so den leblosen Körper. Alice war tot. Genauso gestorben, wie in meinem Traum. War es denn ein Traum? Ich denke nicht!

Sweet Dreams - In Albträumen gefangen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt