11. Kapitel - Cheshire

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"Cheshire..", murmelte ich staunend. Vor uns lag eine Wiese, die von Wildblumen bedeckt wurde. Die schönsten Farben waren vertreten, von dunklem Blau, über ein sattes Rot, bis zu einem strahlenden Sonnengelb. Die Blumenwiese breitete sich zu beiden Seiten aus so weit das Auge sehen konnte und am Horizont traf sie auf einen Berg, der von einem saftigen Grün bedeckt wurde. Aus der Ferne konnte ich Häuser erkennen, die in großem Abstand zueinander dort standen. Sogar den Rauch, der aus den Schornsteinen empor stieg, konnte ich von hier aus sehen. Am Fuß des Berges standen einige Bäume, die Schatten spendeten, denn die Sonne brannte unaufhörlich am Himmel. Die Sonne, seit ich in diese Welt kam, hatte ich die Sonne nicht mehr gesehen. Im anderen Teil der Schattenwelt war es, wie der Name es schon verriet, dunkel und düster. Mein Gehirn konnte die Eindrücke gar nicht so schnell verarbeiten, wie meine Augen sie erfassten. Ein riesiger Torbogen, der im Sonnenschein golden funkelte war am Rande des Berges zu sehen. Ein warmer Windhauch wehte mir meine schwarzen Haare ins Gesicht und ich konnte die Blumen riechen. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Es war so schön hier. Immer noch gebannt, wollte ich mich nicht von diesem wunderschönen Anblick losreißen, doch ich war nicht zum Vergnügen hier. Auch wenn ich meine Sorgen gerne für einen Moment vergessen würde. Ich riss mich los und sah zu Milo, der mich eindringlich anschaute. Sein Gesichtsausdruck wirkte nachdenklich, dabei wanderten seine Augen über mein Gesicht, als wollten sie sich alles genau einprägen. Errötend sah ich wieder weg. Was war das? Als ich mich beruhigt hatte und wieder zu ihm sah, grinste er breit. Wollte er mich etwa auf den Arm nehmen? Ich hob eine Augenbraue, was ihn zum Lachen brachte. "Wenn du nicht gerade schaust, als ob man gerade deine Puppe gestohlen hätte, dann siehst du sogar fast hübsch aus." Herausfordernd sah der Junge mich an. Der will mich wirklich verarschen. Meine Puppe gestohlen? Nein, das nicht, aber erst mein Herz, dann meinen Traum und schließlich meinen Körper. Ich werde gefoltert, gejagt oder beinahe umgebracht und dieser Idiot stellt sich hin und macht Scherze?! Beleidigt wendete ich mich von ihm ab und lief mit erhobenem Kopf einfach voraus. Ich wusste zwar nicht, wo ich hin musste, aber alles war besser, als dort mit diesem Affen stehen zu bleiben. Sein Lachen ertönte wieder und dann waren Schritte zu hören, die über die Wiese eilten. "Ich nehme an du besitzt eine Karte?", sagte der Junge. Verwirrt blieb ich stehen. "Was für eine Karte", fragte ich nach. "Na die Karte zu deinem Ziel. So wie du voran stürmst, musst du ja wissen, wo es lang geht." Verärgert drehte ich mich zu ihm um und er grinste ja schon wieder. Wo waren diese komischen Monster, wenn man sie einmal brauchte? Put, put, Monsterchen...kommt und schnappt euch den Idioten. Er schmeckt bestimmt gut. Nun selbst grinsend wies ich mit der Hand nach vorne. "Ich bin nur ein Tourist in dieser Welt. Deswegen darfst du sie mir gerne zeigen." Milo schüttelte immer noch mit dem Schalk in den Augen seinen Kopf und verbeugte sich spöttisch vor mir. "Wie ihr wünscht, Herrin." Ein Lachen brach aus mir heraus und auch er lachte wieder. Als wir uns beide beruhigt hatten, sahen wir uns noch einen Moment an, bis er schließlich an mir vorbei lief. Ich hielt jedoch sofort Schritt mit ihm und sah mir dieses schöne Reich an. "Wie kann es hier so schön sein und in dem anderen Reich so düster." Der Junge seufzte , sah aber weiter geradeaus. "Das liegt an Catherine, sie liebt Cheshire und genau das zeigt sie auch. Dank ihr ist es hier so schön." Ich nickte. "Dann war das Reich aus dem wir geflohen sind, das der schwarzen Witwe?", fragte ich. "Ja, Yorkshire hat einiges von seinem ursprünglichen Glanz verloren." Ich runzelte die Stirn. "Moment. Das Reich hier heißt Cheshire und das andere Yorkshire?" Das hatte ich jetzt nicht erwartet. "Als diese Welt damals erschaffen wurde, noch bevor der Herzkönig und sein Bruder auf der Welt waren, gab es einen Jungen, der half sie nach seiner Vorstellung zu formen. Sie hatte viel mit den schönsten Seiten Englands gemeinsam. Zum Dank für seine Hilfe, ließen die rote und die weiße Königin den Jungen die Namen für die beiden Reiche auswählen." Milo verstummte. Nachdenklich sah ich über die Blumen. An irgendwas erinnerte mich das, aber ich wusste nicht, was es war. "In welchem Reich lebst du?", fragte ich dann und blieb stehen, als ich eine Bewegung zu meinen Füßen wahr nahm. "Was glaubst du wohl?" Ich überlegte einen Moment. "Du lebst hier." Das war das einzig logische. Er wurde wohl kaum in seinem eigenen Reich gefangen genommen und für Experimente missbraucht. "Das ist richtig." Auch Milo blieb stehen. "Dann waren die ganzen Gefangenen auch.." Ich ließ den Satz unbeendet. "Auch aus Cheshire. Genau! Freunde, Bekannte, Nachbarn", sagte der Junge. "Aber Evil sagte doch, sie dürfe nur an den Experimenten arbeiten, wenn der Herzkönig das Herz schon bekommen hat." Das verstand ich nicht. "Das hast du falsch verstanden. Es ist nicht so, dass sie es dann darf. Aber dem König würde die Abwesenheit nicht auffallen.. Er ist so sehr von den Herzen besessen, dass es ihm nicht auffällt, wenn einer seiner Untertanen verschwindet, außer er hat das Herz noch nicht. Evil macht sich das zu nutzen." Milos Miene war finster, aber ich konnte etwas in seinem Blick erkennen. Es war etwas geheimnisvolles, etwas was er direkt versuchte mit gleichgültigkeit zu verbergen. "Aber dank dir bin ich wieder Zuhause." Irgendwas verschwieg er mir. Abe vielleicht war es ihm auch zu persönlich, er war vielleicht schon Wochen dort an die Wand gekettet. "Autsch!" Erschrocken fuhr ich zusammen. "Wo kam das denn her?" Ich sah irritiert zu dem Jungen mit den warmen Augen. "Hey! Erst hier herumtrampeln und dann nicht einmal her schauen. Unverschämtes Weibsbild!" Milo deutete auf die Blumen zu meinen Füßen. Als ich sah, dass die Blätter sich wie Fäuste ballten, stolperte ich einen Schritt zurück. Die blauen Blumen hatten doch tatsächlich Blüten, die aussahen wie kleine Löwengesichter. "Verzeihung?", sagte ich zu der Blume. "Das ist ja wohl das Mindeste!", antwortete sie. Ich staunte nicht schlecht, als die Blume die Farbe wechselte, sich um sich selbst drehte und dann wieder zurück schnellte. "Was war das?" Ich war immer noch erstaunt, als ich mit dem Jungen weiter ging. "Löwenblättchen. Gefühlsduselige kleine Dinger. Die ganze Wiese ist voll von ihnen." Als er das sagte, sah ich mir die Wiese genauer an und er hatte recht. Jetzt wo ich es wusste, sah ich diese sonderbaren Blumen überall. So gefiel mir diese Welt schon besser.
Über die leicht abfallende Wiese kamen wir dem Torbogen immer näher, der tatsächlich golden war. Aus der Nähe betrachtet, konnte ich die roten Rosen erkennen, die sich um den Bogen schlangen. Der Weg, der sich den Berg hoch schlängelte, begann direkt hinter dem Bogen. Mein Blick wanderte den Berg hoch, über die grünen Wiesen und die Häuser, von dem eins kunstvoller war als das andere. Der obere Teil des Berges war von Wolken umgeben, die wirkten, als würden sie sich an ihn schmiegen. Als nächstes sah ich zu den Bäumen, die nun vor uns lagen und bestaunte sie eine Weile. Sie kamen mir bekannt vor. Ich lief zu einem der Bäume hin und da erkannte ich die Frucht. "Milo! Das ist die Frucht, die ich in dem Lavendelfeld gegessen hatte." Der Junge kam zu mir und sah zu den Früchten. "Das sind Katzenfrüchte", antwortete er. "Katzenfrüchte?" Warum gerade Katzenfrüchte. "Die Früchte haben die verschiedensten Formen und Farben. Wenn du eine davon ist, verwandelst du dich für eine Zeit in die Gestalt, deren Form die Frucht hat." So war das also. "Deswegen verwandelte ich mich in einen Schmetterling? Aber es war doch nur eine Illusion." Milo nickte. "Der Teufel liegt im Detail, richtig?" Er lächelte mich an. "Richtig..", murmelte ich. "Lass uns weitergehen, wir müssen zu Catherine, bevor es dunkel wird." Ich sah noch einmal zu den Früchten und ließ den Baum dann hinter mir, als ich dem Jungen wieder zurück zum Torbogen folgte. "Hinter diesem Hügel befindet sich das Schloss des Königs. Ab hier beginnt offiziell sein Königreich." Ich erschauerte einen Moment, nahm meinen Mut zusammen und ging den ersten Schritt unter dem Bogen durch. "Kommst du?", fragte ich neckend und wartete auf meinen Wegbegleiter. Zusammen betraten wir den Pfad und folgten ihm den Berg hoch. Wir kamen an den Häusern vorbei, deren Außenwände von einem warmen Gelb waren und sehr einladend wirkten. Sie hatten kleine Terrassen, hohe Fenster und Türen aus hellem Holz. Die Dächer waren in den verschiedensten Farben gedeckt und schenkte ihnen so das gewisse Etwas. Doch eine Sache war seltsam, wir trafen auf keine Menschenseele. Weder auf dem Pfad, noch vor den Häusern, nicht einmal durch die Fenster konnte man jemanden sehen.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als Milo vor einer Villa stehen blieb. Das war das beeindruckendste Haus, das ich je gesehen habe. Wie auch das Haus, in dem Evilynne wohnte, war dieses hier im viktorianischen Stil gebaut. Aber im Gegensatz zu dem anderen Haus, war dieses hier bunt und fröhlich. Die Fassade war in einem zarten Rosaton gehalten, die Veranda war vom gleichen Weiß, wie auch die Sprossenfenster, die Fensterläden und die Kassettentür, mit dem verzierten Vorbau. Die Giebel waren von einem dunklen Violett, welches sich auch in den Dachschindeln wiederfand. Ich hätte noch Stunden damit verbringen können, hier zu stehen und die Villa zu bestaunen. Doch die Türe öffnete sich und heraus trat eine Frau, die ebenso beeindruckend war, wie ihr Haus. Milo lächelte, als er die Frau sah und nickte ihr grinsend zu. "Catherine." Die Frau, die dasselbe katzenartige Gesicht hatte wie Evil, lachte ein helles, klares Lachen, welches ihre violetten Augen funkeln ließ. "Wie oft habe ich dir gesagt, dass du mich Cat nennen sollst?" Sie schüttelte lachend den Kopf, was ihre glatten, rosafarbenen Haare, die zu einem Bob geschnitten waren, hüpfen ließen. Ein starker Lilaton verlief von der Mitte der rosanen Haarpracht bis zu den Spitzen und ließen die Haare in der Abendsonne leuchten. Sie trat auf Milo zu, küsste seine Wangen und grinste ihn an. Schließlich wandte sie sich von ihm ab und sah zu mir. "Und du musst Cataysa sein. Willkommen in meinem Zuhause!" 

Sweet Dreams - In Albträumen gefangen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt