Am Ende des Weges leuchtet ein Licht, Folge ihm stets und verliere es nicht.
Verschwitzt und schnell atmend wachte ich auf.
Nur ein Traum, nur ein Traum. Zitternd fuhr ich mir mit der Hand durchs Gesicht, während ich mich langsam aufsetzte. Ich hörte diese Stimme jede Nacht in meinen Träumen. Sie wollte mir etwas wichtiges mitteilen. Etwas, was ich nie vergessen durfte. Sie sagte es mit einer Eindringlichkeit, als wäre es so wichtig wie atmen. Doch was genau wollte sie mir damit sagen? Die Träume hatte ich schon länger, beinahe mein ganzes Leben lang. Mal handelten sie von Erinnerungen, mal von Ausflügen, oder von Wünschen, die ich hatte. Jedoch schienen sie sich zu verändern. Sie wurden immer grausamer und, was mich weitaus mehr erschreckte, realistischer. So träumte ich den einen Tag, dass ich über einen Sandstrand rannte und wachte in meinem Bett auf, mit sandigen Füßen. Die Träume, so hatte es den Anschein, verfolgten mich bis in die Realität.
Ich nahm die Hand von meinem Gesicht und sah mich in dem kahlen Zimmer um. Außer dem Bett auf dem ich saß, stand noch ein Nachttisch an der weißen Wand und ein kleiner Tisch, mit einem Stuhl mitten im Raum. Die Wände waren weiß, kühl und trostlos. So trostlos wie die komplette Einrichtung. Keine Bilder, keine Farben, nichts. Das einzige Licht spendete eine LED-Lampe. Keine Nachttischlampe und keine Stehleuchte. Ich könnte die Kabel ja benutzen, um mich umzubringen, oder um jemanden zu verletzen. Am Tag viel ein schmaler Lichtstreifen durch das kleine Fenster, welches sich gegenüber von meinem Bett befand und ich konnte den Baum sehen, welcher sich dort draußen in der Freiheit befand. Es gab Tage da schaute ich stundenlang auf den Baum und ich freute mich, wenn ich ein Vöglein sah.
Nur einen Monat, nur bis es dir besser geht. Dort kann man dir helfen. Ich hörte diese Worte in meinem Kopf. Es ist nun drei Monate her, als meine Mum diese Worte zu mir sagte. Doch konnte man mir helfen, wenn man mir nicht glaubte? Aber wer würde auch einem Mädchen glauben, welches in ihren Träumen durch Raum und Zeit reiste. Von Schatten sprach, die in ihrem Zimmer lebten und von Albträumen, die sie für real hielt. Genau, niemand! Das war auch der Grund für meinen "vorübergehenden" Aufenthalt. Nachts hörte ich das Schaben an den Wänden, leises Flüstern aus den Abflussrohren und gedämpfte Schreie aus den Fluren. Doch war es real, oder spielte sich das in meinem Kopf ab. Aber wer entschied was real war und was nicht? Sind Dinge, die in meinem Kopf geschahen weniger real, nur weil sie kein anderer sah?
Ich sah zu der großen analogen Uhr, die über der Tür hing. Außer Reichweite und doch ganz nah. Kurz vor acht. Gleich klopfte es an der Tür, dann öffnete sie sich und eine Frau mit dem Emblem der Anstalt auf ihrer Robe kam herein, um mir einen Becher mit Tabletten zu geben, die ich nehmen musste. Ich hatte keine Ahnung, was das für Tabletten waren und wie sie mir helfen sollten, aber ich wurde ja auch nicht gefragt, ob ich sie nehmen wollte. Tick, tack, tick, tack. Der Sekundenzeiger schob sich unaufhaltsam vorwärts. Tick, tack. Einen Moment später waren auch schon Schritte auf dem Flur zu hören und ein Schlüssel der im Schloss gedreht wurde. Die Tür schwang auf und ich sah mit meinen klaren, blauen Augen zu der älteren Dame. Die Falten ließen darauf schließen, dass sie ihre besten Tage schon hinter sich hatte und die runde Nickelbrille saß tief auf ihrer Nase und vergrößerten ihre Augen enorm. "Wie geht es dir heute, Cataysa?" Das gutmütige Gesicht erhellte sich durch ihr Lächeln, welches sie mir schenkte. "Genauso wie gestern und vorgestern und den Tag davor." Meine Stimme klang neutral, war leise und kratzig. Ich benutze sie nicht oft. Eigentlich nur das eine mal am Tag, wenn die Tür für einen Moment geöffnet wurde und ich meine Tabletten bekam. Einmal in der Woche musste ich das Zimmer verlassen und zur Psychologin gehen, die immer die gleichen Fragen stellte, auf die ich jedesmal keine Antwort hatte.
Seufzend stellte die Frau den Becher auf den kleinen Tisch neben meinem Bett und sah mich auffordernd an. Ich nahm den Becher, schüttete den Inhalt in meinen Mund und trank das Wasser aus dem Plastikbecher, welcher schon auf meinem Tisch stand. "Du weißt, dass wir dir nur helfen wollen, Mädchen." Ihre Stimme klang wie die einer Tante. Eine dieser Tanten, die immer auf einen achteten und einen in Schutz nahmen. Die alles böse dieser Welt von einem fernhalten wollten. Doch das konnten sie nicht. "Ich weiß, Miss Carter", sagte ich und sah aus dem Fenster. "Aber sie können es nicht. Nicht so lange sie mir nicht glauben." Die Frau sah zu mir runter. "Wir glauben dir. Wir glauben dir, dass du die Träume tatsächlich für real hältst." Ich schüttelte mit einem ironischen Lächeln den Kopf. "Dass ich sie für real halte?", murmelte ich leise. "Wie erklären Sie sich dann die schmutzigen Füße, die Kratzspuren an den Wänden, die Blutflecken am Fensterbrett?" Ich sah der älteren Frau direkt in die Augen. "Nimm weiterhin deine Tabletten, sprich mit Doktor Erolds und es wird dir bald besser gehen." Das Lächeln verrutschte nicht eine Sekunde. Immer dieselbe Antwort, auf alle Fragen, die ich ihr stellte. Ich sah weiter aus dem Fenster, direkt auf den grünen Baum, der sich dort befand. "Cataysa, ich weiß es ist schwer gegen seinen eigenen Kopf zu kämpfen. Aber verliere dich nicht in den Gedanken. Es ist nicht real, es sind nur Illusionen." Sie tätschelte meine Schulter und ging die Tür hinaus, die hinter ihr ins Schloss fiel. Der Schlüssel wurde gedreht und Schritte die sich entfernten erklangen auf dem Flur. Ich wendete meinen Blick vom Fenster ab und stand auf, um mich zu waschen. Ich ging in das Bad und sah in den Spiegel. Der Spiegel war eigentlich nur eine Folie, die aufgeklebt worden war, da ein Spiegel aus Glas zu gefährlich war. Müde Augen sahen mir entgegen. Meine kurzen schwarzen Haare machten meine Haut noch blasser als sie schon war. Mein Gesicht war oval und meine Wangenknochen stachen heraus. Es ließ mich überheblich und ernst wirken, viel zu ernst für meine 18 Jahre. Noch dazu kamen meine klaren, hellblauen Augen, die Kälte ausstrahlten. Arrogant, so sagte man, sah ich aus. Arrogant und Kühl. Dann kamen noch meine zynischen Worte und mein seltsamer Sinn von Humor dazu und schon hätten wir die perfekte Mischung eines Außenseiters. Ich war anders und Leute die anders waren, waren immer seltsam und die Menschen fürchteten sich vor seltsam und anders.
Ich ließ von meinem Spiegelbild ab, um mir die Zähne zu putzen. Ein komisches Gefühl machte sich in meiner Magengrube breit und ich hatte das Gefühl beobachtet zu werden. Eine Gänsehaut breitete sich an meinem ganzen Körper aus und blitzschnell sah ich wieder auf. Ich dachte wirklich, mein Spiegelbild wäre in der vorherigen Pose fest gefroren und würde mich mit kalten Augen beobachten. Mit rasendem Herzen hob ich die Hand und war erleichtert, dass sich die Hand in dem Spiegel ebenfalls hob. Mich über mich selbst ärgernd, putzte ich mir schließlich die Zähne und wusch mir das Gesicht mit dem kalten Wasser. Vielleicht würde mir das helfen, einen klaren Gedanken zu bekommen. Einen letzten Blick warf ich in den Spiegel und mein Ebenbild erwiderte den Blick. Kopfschüttelnd wandte ich mich ab und ging zurück in mein Zimmer.
Der Tag verging, wie die anderen zuvor, einsam und farblos. Jedoch war es nicht der Tag, der mich fürchtete, es war die Nacht.
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Sweet Dreams - In Albträumen gefangen
TerrorAm Ende des Weges leuchtet ein Licht. Folge ihm stets und verliere es nicht. Träume... In unseren Träumen können wir durch die Zeit reisen, fremde Orte erkunden, durch die Weltmeere schwimmen und sogar fliegen. Wir können eine Weile an anderen Orten...