Ich habe das Gefühl als würde ich neben mir stehen. Es begleitet mich auf dem ganzen Rückweg nach Hause. Es fühlt sich an, als würde ich, seitdem Rebecca mir die Wahrheit gesagt hat, nichts mehr fühlen.
Nichts, bis auf den Schmerz, den die Wahrheit hervorgerufen hat.
Meine Gedanken sind leergefegt, als ich die Metrostation in der Nähe unserer Wohnung verlasse. Ich bin müde und befürchte, dass meine Beine jeden Moment ihren Dienst verweigern und ich mit dem Gesicht auf dem Asphalt aufprallen werde. Ich beiße die Zähne zusammen und schleppe mich schweren Herzens nach Hause, denn dort wartet höchstwahrscheinlich Calvin auf mich. Seine dreißig Nachrichten, die ich allesamt nicht beantworten konnte, machen den Anschein als hätte er geahnt, dass etwas passiert ist.
Ich fürchte mich vor dieser Begegnung mit ihm, dabei ist Calvin der wichtigste Mensch in meinem Leben. Auch er hat die Wahrheit verdient und ich werde sie ihm erzählen. Allerdings hoffe ich, dass ich damit das Bild unserer Eltern nicht vollkommen ruiniere.
Plötzlich macht alles einen Sinn.
Ihr Hochzeitstag kurz nach meinem Geburtstag und Mamas Bemerkungen, dass Dad ihr Held war. Es ergibt alles einen Sinn. Mittlerweile kann ich nicht einmal mehr weinen. Es fühlt sich an als hätte ich keine Tränen mehr übrig, um eine Gefühle nach außen hin zu zeigen. In mir breitet sich eine große Leere aus.
Ich fühle mich allein, was nicht zuletzt daran liegt, dass Trevor diese kleine, aber bedeutende Tatsache vor mir verschwiegen hat. Stattdessen hat er es für sich behalten und hat mit mir geschlafen. Er hat mir das Gefühl gegeben, dass er mich wirklich lieben würde. Wie kann er mich lieben, wenn...
Ich schüttele den Kopf, weil ich nicht über Trevor nachdenken will. Ich will mit Calvin reden und versuchen, es so angenehm wie möglich für ihn zu machen. Es wird ihm sicherlich auch den Boden unter den Füßen wegreißen, da bin ich mir sicher. Die ganze Zeit sind wir mit dem Glauben aufgewachsen, dass wir beide Dads Kinder sind.
Vielleicht lässt sich somit auch sein überbehütetes Verhalten mir gegenüber erklären. Weil er mich nicht verlieren wollte... Weil er Angst hatte, dass ich irgendwann nicht mehr wiederkommen würde.
Und dann waren sie es, die nie wieder gekommen sind.
Mit zittrigen Händen fische ich in meiner Tasche nach meinem Schlüssel und werfe dabei einen Blick auf die Uhr. Fast zwei Stunden sind vergangen, seitdem ich das Büro verlassen und in den Central Park geflüchtet bin. Es muss fast schon lächerlich ausgesehen habe, wie ich mich auf einer Bank fallen lassen und geweint habe. Etliche Male wurde ich gefragt, ob mit mir alles okay sein und jedes Mal nickte ich. Als ein Passant dann aber kurz davor war die Polizei anzurufen, weil ich einfach nicht beruhigen konnte, bin ich geflüchtet und habe den Heimweg angetreten.
Ich laufe die Treppe hoch und stütze mich an der Wand ab, als das Gefühl der Müdigkeit mich überkommt. Ich sehe noch, wie Calvin mir die Tür vor der Nase aufreißt, bevor ich dem Drang nach Schlaf nachgebe und alles um mich herum sich in Luft auflöst.
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Blinding Lights
Literatura FemininaSeit vier Jahren lebt Hailey Michaels nach einem Schema - arbeiten, schlafen und ganz nebenbei noch ihren kleinen Bruder Calvin versorgen. Spontanität und Spaß sind in ihrem Leben wirklich ein Fremdwort geworden, zumindest solange bis ihre Freundi...