[nineteen.one]

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Mingi PoV:

Mit halboffenen Augen liege ich wieder einmal auf dem Boden und starre auf das Lämpchen, dies Mal das meines Zimmers. Die Hände hinter den pochenden Kopf gelegt, bin ich im Versuch wenigstens ein paar Stunden Schlaf zu erlangen. Ich hätte nach einer Tablette fragen sollen, die meine Kopfschmerzen eindämmt. Aufstöhnend von der Unruhe meines Körpers, raffe ich mich auf und schnappe mir mein Buch.

Es stellt sich als schwerer als gedacht heraus, die kleinen weiß-beigen Aneinanderreihungen von Buchstaben auf dem schwarzen Papier zu entziffern. Das Gefühl, einer würde mir mit einem Hammer auf den Schädel eintrümmern, macht es nicht wirklich besser. Seit dem Zwischenfall vor mehr als einer Woche, ging es mir bis gestern erheblich besser, doch seit des Abendessen sind diese ungeheuren Schmerzen zurück.

Schließlich halte ich es nicht mehr aus und werfe den abgegriffenen Fetze von Buch gegen die Kamera in der Mitte meiner Zimmerdecke. Da diese nun anfängt unkontrolliert zu flackern, werde ich von meinen Kopfschmerzen abgelenkt. Wie in Trance stelle ich mich unter sie, den Blick starr auf das Flackern gerichtet. Mir gefällt diese Zerstörtheit sehr, insgesamt mag ich es, wenn Dinge kaputt sind, die es nicht heile zu haben brauchen.

"Song Mingi! An die Wand und dort bleiben!", einer der Aufseher stürzt ins Zimmer. Ruhig wende ich ihm meinen Blick zu. Der Schweiß tropft ihm von der Stirn. Scheint so, als wäre er von dem anderen hergesprintet, den ich vorhin schreien gehört habe. "Ich mach nichts, versprochen", raunen ich gelassen, "Aber lass mich das Flackern beobachten und mich hier hinsetzen."

Perplex betrachtet der ein paar Jahre ältere Mann meine bedachten Bewegungen. Als wäre nie etwas geschehen, setze ich mich im Schneidersitz auf meinen cremefarbenen Boden. "Der ähm... Professor Dr. Kim will dich jetzt sprechen. Ich äh.... bringe dich zu ihm... jetzt", faselt er, sich am Kopf kratzend. Genervt werfe ich meine Arme in die Luft: "Wenn's sein muss." Dr. Kim ist sogar gar nicht so schlimm, immer ziemlich realistisch.

Ohne auf meinen Betreuer zu warten mache ich mich durch die Tür aus dem Staub, auf mehr oder weniger direktem Weg zu meinem Lieblingsbüro. Der kleine Schlenker durch den Speisesaal musste einfach sein, denn so konnte ich mir schnell eine Nektarine schnappen und einen Schluck kaltes, stilles Wasser trinken. Durch den Saal kommt man auf direktem Wege zum Büro des Professors, dessen Tür mit einem dieser kitschigen goldenen Schildchen bestückt ist.

'Professor Dr. Kim Junmyeon' steht in kursiver Schreibschrift darauf eingraviert. Höflich klopfe ich an die steineichenfarbene Holztür. Nicht einmal zwei Sekunden später öffnet sie sich und ein Mann in einem weißen langen Mantel mit dunkelbraunem, etwas herausgewachsenem Pottschnitt und freundlich dreinblickenden Augen lächelt mich einladent an: "Komm herein, Mingi."

Mit einer leichten Verbeugung folge ich der Anweisung des Professors und setze mich auf das Sofa seines Sessels gegenüber. Nach schließen der Tür, setzt auch er sich und schaut moch erwartend an. Aber nicht dieses ekelhafte gestarre, sondern eher ein warmer aufmunternder Blick. "Wie geht es deinem Kopf, Mingi?", fragt mein Gegenüber mich ruhig. "Auf einer Skala von Ebbe bis Atombombe würde ich sagen Vulkanausbruch", antworte ich wahrheitsgemäß.

Ein sampftes Lachen entflieht dem Mund des älteren, doch ich weiß, dass er mich nicht auslacht und es nicht abwertend gemeint war. "Wie geht es dir sonst?", erkundigt sich Dr. Kim weiter, "Benötigst du etwas, gegen die Schmerzen zum Beispiel?" Aus seinen Augen spricht vollkommene Ehrlichkeit und wirkliches Interesse, nicht so wie bei dem Hampelmann von Therapeuten, den sie mir zuvor angedreht haben.

"Gerne eine Schlaftablette, wenn das möglich wäre", bitte ich höflich, "Und ansonsten geht es mir beinahe hervorragend. Könnte ich sie dennoch um etwas bitten?" Mein Gegenüber macht eine sachte Handbewegung, dass ich vorfahren solle. Ich weißt woher aufeinmal mein Sinneswandel kommt, aber die Frage die ich nun stelle überrascht nicht nur mich, sondern auch Dr. Kim.

"Wenn sie mich morgen zum CT ins Krankenhaus bringen, könnte ich eventuell jemanden dort besuchen? Ich habe ihn noch nie getroffen und wie der Zufall es will, liegt er gerade auch dort. Deswegen wollte ich fragen, ob ich ihn besuchen könnte kurz, um ihn besser kennenzulernen?", erzähle ich kurz, irgendwelche Sätze aneinanderreihend.

Das Erstaunen über meine Frage ist ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Verwirrt zuckt Dr. Kim mit den Schulter, aber antwortet dann: "Es würde sich sicherlich einrichten lassen, nur muss ich dich darauf hinweisen, dass sein heutiges Verhalten nicht gerade auf eine Sicherheit für euer Kennenlernen hindeutet. Ich werde meinen Kollegen fragen, ob ich statt ihm mit dir gehen kann, denn diese Chance würde ich dir gerne ermöglichen."

Etwas verwundert aber auch irgendwie glücklich über diese Antwort schenke ich ihm ein dankbares Lächeln: "Vielen Dank Dr. Kim. Ich werde mich anstrengen." Der Professor nickt nur abwingend und kramt dann in seiner Manteltasche nach etwas. Als er es gefunden hat, bricht er ein Stück ab und reicht es mir. Es ist schon wie eine Routine, dass ich ein Stück seiner Chilischokolade als 'Abschluss' unserer Sitzung bekomme.

"Ich werde Minseok gleich mit einer Tablette vorbeischicken. Versuch zu schlafen. Morgen wird es früh los gehen, weitere Infos gibt es dann. Gute Nacht, Mingi", verabschiedet sich Dr. Kim mit einem seichten Lächeln. "Ihnen auch. Und nochmals, Danke", antworte ich, verbeugen mich kurz und gehe dann mit einem letzten Winken aus dem Raum. Die Tür wird hinter mir geschlossen und ich schlurfe zurück in mein Zimmer.

Wie bestellt steht dort Minseok und reicht mir eine Tablette und ein Becher Wasser, bevor auch er eine gute Nacht wünscht und wieder verschwindet. Schnell schlucke ich die weißliche Pastille, lege mich auf mein Bett und schließe die Augen. Nach und nach wird alles dumpfer und mein Körper driftet in einen hoffentlich erholsamen Schlaf ab.

Drapetomania || Yungi ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt