[thirty five.three]

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Professor Dr. Kim Junmyeon PoV:

Interessant zu sehen, was für einzigartige Bindungen sich in kürzester Zeit aufbauen lassen. Ich lehne derzeit in meinem Lieblingssessel, trinke einen viel zu heißen Earl Grey Tee und warte. Und worauf warte ich bloß? Das ist ganz simpel und schnell zu erläutern, denn ich erwarte zweier meiner Patienten, die ich kurz zuvor per Schreiben zum Tee geladen hatte. Ihr wisst sicherlich, wen ich meine.

Während ich hier so unbeschwert herumsitze, stehen die zwei sicherlich schon im Foyer und hoffen, oder vielleicht auch nicht, auf mein baldiges Erscheinen. Dass sie von Jongin zu mir geleitet werden, wollte ich den beiden Jungen lieber vorbehalten. In letzter Zeit fällt mir das Laufen etwas schwer und ich wollte sie nicht unnötig aufhalten, indem ich ihnen hinterherschlurfe.

Stattdessen habe ich den beiden ebenfalls jeweils eine Tasse Tee hergerichtet, die jetzt wunderbar vor sich hin dampfen, und ein paar Plätzchen auf einem Porzellanteller in der Mitte des Tisches platziert. Auch die Decken und Kissen auf meinem Sofa habe ich wieder ordentlich hingelegt und ansehnlich drapiert, man muss ja nicht sofort sehen, dass darauf ein paar Tage genächtigt wurde. Schließlich ist gutes Ansehen leider eine Wichtigkeit, die man als Leiter einer psychosomatischen Klinik aufrechterhalten sollte.

Gerade bin ich dabei, meine Lesebrille wieder zurück in das Brillenetui zu legen, als es klopft und sich ein brauner Schopf durch den Türspalt schiebt. "Dr. Kim? Mingi und Yunho sind da", kündigt Kai mir meinen Besuch an. "Sei so gut und schicke sie hinein", antworte ich gelassen. Keinen Augenblick später stehen die zwei Jungen verhalten in der Tür. Ich muss mir ein Glucksen wirklich verkneifen, denn die beiden stehen da wie hingestellt und nicht abgeholt.

"Setzt euch doch, ihr zwei", lockere ich schließlich die unangenehme Atmosphäre. Sichtlich erleichtert nehmen die beiden mir gegenüber auf dem Sofa platz. Und schon wieder wiederholt sich die Situation, bis Mingi sich schlussendlich verlegen am Kopf kratzt und fragte: "Also... Professor, was machen wir hier?" Ich lächele meine zwei Patienten freundlich an, bevor ich den Blick auf den Tisch senke und einen Moment meine Gedanken sortiere.

"Nun", beginne ich den Anlass in klaren Worten zu erläutern, "Zunächst einmal möchte ich euch danken, dass ihr meine Einladung angenommen habt und euch mein Lob dafür aussprechen, wie pünktlich ihr es zu mir geschafft habt. Bedient euch ruhig an den Plätzchen und trinkt euren Tee, ich hoffe Früchtetee ist genehm. Es ist mir ein großes Anliegen, dass das, was ich euch nun mitteilen werde nicht hinausgetragen wird, unter keinen Umständen! Aber keine Sorge, ich will euch nichts Böses."

Ich kann den Zwei die Anspannung deutlich ansehen. Yunho blickt mich mit großen Augen an und klammert sich an seine Tasse, als verliere er den Verstand, wenn er sie loslasse. Mingi hingegen bohrt mit seinem Blick beinahe Löcher durch mich hindurch, während der arme, ursprünglich fischförmige Keks in seiner Hand nun eher Fischfutter gleicht. Trotzdem muss ich mich beherrschen und nicht mit der Tür ins Haus fallen, denn ihre Gefühle sind immerhin immer noch wie in eine Glaskiste verstaut.

"Meine Zeit als Leiter wird sich demnächst dem Ende zuneigen. Die Gesundheit meint es nicht mehr gut mit mir und ich sehne mich nach etwas Ruhe und Frieden. Ich wollte euch beiden heute mitteilen, dass ab Montag ein neuer Psychater die Klinik übernimmt und euch somit mögliche Freiheiten weiter eingrenzen wird. Es tut mir Leid, euch beiden ab Montag den Aufenthalt auf dem Balkon verbieten zu müssen, aber ich will nicht, dass es euch schlecht ergeht. Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um euch den Wechsel so leicht wie möglich zu machen, das verspreche ich."

Nachdem ich geendet habe, sehe ich in zwei am Boden zerstörte Gesichert. Ihre Züge sind entgleist und scheinen sich nicht in den nächsten Minuten wieder zu richten. Es bleibt still, eine ganze Weile lang. Wenn die beiden nur wüssten, wie schwer es mir doch fällt, die Klinik in fremde Hände zu geben. "Dr. Kim?", Yunho schaut betrübt auf seinen Tee. Ich nicke, zu mehr fühle ich mich nicht im Stande.

"Wird man uns trennen?", es ist die Frage, auf die ich von Anfang an gewartet habe. Die Frage, die sich nicht umgehen lässt. Die Frage, die ich leider beantworten kann und muss. Die Worte stecken in meinem Hals und entziehen ihm jegliche Feuchtigkeit. Mit rauer Stimme gebe ich zu, dass man sie trennen werde und auf unterschiedliche Gebäude aufteilen, weil ihre Zustände unterschiedlicher Behandlung bedürfen.

Und es geschieht, was geschehen musste. Die Tasse in Mingis Hand zerbricht und Scherben verteilen sich auf dem Sofa, auf dem Tisch, zwischen den Plätzchen, auf dem Teppich und in seiner Haut. So schnell wie möglich werfe ich meine Decke über seine Hände und greife nach dem Telefon: "Ja, bitte komme in mein Büro. Schnell, und bring einen Verbandskasten mit." Der ältere der beiden Jungen ist in höchstem Maße überfordert und lässt seinen Blick zwischen mir und Mingi hin und her huschen.

Ich seufze. Mit größter Mühe hieve ich mich aus meinem Sessel, schlurfe um den kleinen Holztisch und gehe vor Mingi in die Hocke. Eindringlich sehe ich ihm in die Augen und halte seine Handgelenke durch die decke hindurch fest: "Pass gut auf, ich möchte, dass du jetzt ganz tief durchatmest und an irgendetwas denkst, dass die Farben Blau, Grün oder Gelb beinhalten. Ein Ausflug zum Meer, zum Beispiel. Sobald Kai in das Zimmer kommt, nehme ich die Decke von deinen Händen und du konzentrierst dich."

Die Panik ist ihm deutlich anzusehen, denn seinen Pupillen zucken haltlos, ohne Ziel in alle Richtungen. "Ich geb mein Bestes", presst er zwischen den Zähnen hervor. Die Anspannung ist kaum auszuhalten. Selbst für einen erfahrenen Psychotherapeuten, wie mich, sind Situationen wie diese nichts Alltägliches. "Dr. Kim... ic...h... da... Blut... tro...pf...t... Dec...ke... Luft!", mit kreidebleichem Gesicht fuchtelt Yunho mit seinem Finger vor der Decke herum, bevor ihm schließlich die Augen nach hinten rollen und er in sich zusammensackt.

„Junmyeon!", die Tür wird mit einem Ruck aufgerissen, „Entschuldigung, Dr. Kim, was ist passiert!" Mit einem unmissverständlichen Blick mache ich die verzwickte Angelegenheit verständlich und, ein Glück, kennen wir uns schon lange genug, dass Jongin mich auch versteht. Unglaublich vorsichtig tastet er sich zum ohnmächtigen Jungen vor, wobei er mir den Verbandskasten zuwirft. Was als nächstes passiert, wird nur noch in Ausschnitten mitgeteilt, so kommt es authentischer rüber:

„Ich nehme die Decke jetzt weg..."
„Er wird einfach nicht wach..."
„Ahh... das tut doch wehhh!"
„Nimm die Wasserflasche aus dem Kühlschrank!"
„Jetzt halt still!"
„Die ist gefroren!"
„Ah, hat geklappt!"
„Hilfe, ich wurde angefallen!"
„Das Stück ist zu tief, Augen zu, Bitte..."
„Meine Fr... Autsch!"
„Ein Schluck Eiswürfel gefällig?"
„So, nur noch einmal herum wickeln und..."
„Nein danke, ich passe."
„Ich glaub ich muss brechen..."
„NEIN!"

Drapetomania || Yungi ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt