Kapitel 12

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Even in the most barren desert one would still feel one's heart beating.
- Marty Rubin -

Als ich auf den Vorplatz lief, schlug mir kühler, angenehmer Wind entgegen und ich atmete tief ein. Das war die reinste Erfrischung nach dem heißen Tag.

Ich ging über den noch befestigten Weg, bis ich Sand unter meinen Füßen spürte. Fast meinte ich, das Meer rauschen zu hören, wie zuhause, doch da war nur der Wind und das gelegentliche Zirpen einer Zikade.

Als ich nach oben schaute, blieb ich ehrfürchtig stehen.

Über mir sah ich einen wolkenlosen, schwarzen Himmel, der mit Millionen und Abermillionen von Sternen bedeckt war, die nur so um die Wette strahlten.

So etwas hatte ich noch nie gesehen. Der Himmel zuhause war meistens bedeckt, vor allem nachts und die Sterne sah man nur selten. Der Straßenverkehr und die Abgase ließen den Himmel zuziehen und die Lichter der Stadt blendeten.

Weil es so schön war, bekam ich gar nicht mit, wie ich von von jemandem hinter mir beobachtet wurde.

„Ganz anders oder?"
Mit einem Ruck drehte ich mich um, beschämt, dass mich jemand in diesem Moment sah. Es war Jai, der da stand, mit den Händen in den Hosentaschen.
„Was?," sagte ich.
„Er ist ganz anders als in der Stadt. Der Himmel, meine ich. Zuhau... in Houston sieht man die Sterne fast nie."
„Ja," erwiderte ich bloß, dann wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Auch Jai rieb sich ahnungslos über die Stirn. Ich musterte ihn neugierig. Auf einmal wirkte er nicht mehr so hart und kalt wie am Anfang.

„Was hast du eigentlich für eine Kraft?," fragte ich ihn.
Plötzlich sah er mich an und sein Gesichtsausdruck verändert sich wieder zu dem, den ich an ihm kennengelernt hatte.

„Du stellst echt ganz schön viele Fragen, weißt du das?," sagte er bloß als Antwort und seufzte, wie schon zum hundertsten Mal an diesem Tag. „Ich habe noch nie jemanden so neugierigen getroffen wie dich. Die meisten akzeptieren einfach, was ich ihnen erzähle."
„Und?," hakte ich nach.
Jetzt stöhnte er genervt.
„Amnesie."
„Benutzt du deine Kraft oft?"
„Eigentlich benutzen wir unser Kräfte nie."
Ich runzelte die Stirn. „Wieso nicht? Ist das nicht der ganze Sinn des Lagers?"
„Nein, ist es nicht. Die Kräfte, die wir haben, sind gefährlich und sollten auf keinen Fall achtlos verwendet werden."
„Also die meisten Leute, die ich bisher getroffen habe, sind sehr stolz auf ihre Fähigkeiten," widersprach ich.
„Ja, aber nur, weil sie es nicht besser wissen. Oder weil sie vor dir angeben wollen, weil du neu bist. Es ist nicht allzu schlimm, wenn du deine Fähigkeit hier benutzt, aber benutze sie niemals in der Öffentlichkeit oder bei normalen Menschen."

Das war relativ leicht umzusetzen, wenn ich womöglich niemals eine normale Person wiedersehen würde.

Mein Blick fiel erneut auf die Sterne über uns.
„Wo sind wir hier eigentlich?," fragte ich unschuldig.
Jai guckte belustigt, aber ohne die Mundwinkel zu verziehen.
„An einem Ort, der auf keiner normalen Karte zu finden ist."
„Sind wir weit weg von Houston?"
„Das verraten wir nicht, um die Leute nicht darin zu bestärken, zurück zu gehen."

Ich schüttelte den Kopf. Ich fand immer noch, dass jeder gehen sollte, der es so wollte.

„Also allzu weit weg können wir nicht sein. Die Sternbilder sehen gleich aus und mit den alten Autos in der Halle ist es euch überhaupt nicht möglich, Leute innerhalb eines Tages besonders weit zu transportieren. Zumal irgendwo der Ozean anfängt und den könnt ihr auf keinen Fall überqueren."

Ich sah ihn prüfend an.
Ich meinte, ein wenig Anerkennung in seinem Blick zu erkennen.

„Woher weißt du das alles?"
„Ich lese."
Er nickte. „Das war klar."
Er machte eine Pause und drehte sich dann zu mir.
„Also gut. Du hast Recht. Wir sind nicht weit von Houston entfernt. Aber um dorthin zu kommen, müsstest du trotzdem eine tödliche Wüste durchqueren. Das würdest du niemals alleine schaffen."
"Das denkst du. Ich kann viel mehr, als du glaubst."
„Davon bin ich überzeugt."
„Wenn dieser Ort auf keiner Landkarte zu finden ist, dann kann uns auch niemand aus der Stadt hier finden oder?"
„Korrekt."
„Also ist es aussichtslos, dass ich nach Hause zurückkehren kann?"
„Wieso willst du denn unbedingt nach Hause? Es ist doch schön hier."
Ich warf ihm einen misstrauischen Blick zu.
„Ich kenne hier niemanden."
„Du kennst doch mich."

War das etwa der Versuch eines Freundschaftsangebots?

„Ja klar. Weil du mich auch so gut leiden kannst."
„Ich würde dir empfehlen, nicht zu raten, was ich denke oder fühle."
Sein Gesicht war nun wieder gewohnt ernst und streng.
Aber irgendwie erahnte ich, dass das nur eine Front war.
„Okay," antwortete ich also nur.
„Sehr gut. Und jetzt geh wieder ins Bett, nachts wird es ziemlich kalt und außerdem kommen wilde Tiere."

Ich versuchte nicht mit ihm zu diskutieren, außerdem überzeugten mich die wilden Tiere, also murmelte ich noch ein „Gute Nacht" und ging dann wieder rein.

Sofort als ich mich auf die platte Matratze legte und mein Gesicht auf das muffig riechende Kissen bettete, sank ich in einen traumlosen, tiefen Schlaf.

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