Kapitel 45

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Du sollst nicht töten.
- 2. Mose 20:13 -

Statt lediglich nur weißen Fliesen und sauberen Arbeitsflächen standen wir auf einmal einigen Menschen, augenscheinlich Köchen, gegenüber, die uns anstarrten.
War es Furcht oder Erstaunen, was da in ihrem Blick lag? Oder etwas ganz anderes?

Als ich zur Seite sah, hatten auch alle anderen ihre Waffen gehoben und zielten auf die Männer. Ich wollte meine Pistole eigentlich runternehmen, doch ich konnte nicht.

Warum bewegte sich keiner?

Wir standen hier als schwarze Wand gegenüber einer aus weißen Kitteln und sagten kein Wort, starrten uns nur an, unwissend, was der Gegenüber tun würde.

Für weitere Sekunden, die sich endlos anfühlten, war alles ruhig, dann auf einmal sprang einer der Köche auf und rannte zu einem roten Knopf an der Wand.

Er war nicht schnell und ich dachte auch nicht groß darüber nach, als ich auf einmal aus Reflex die Waffe hob und schoss.
Die Wucht ließ mich kurz taumeln, doch als ich mich fing, sah ich, dass sich genau in dem Moment als er die Hand hob, die Kugel durch die Mitte seiner Hand bohrte und in die Wand hinter ihm einschlug.

Sie hinterließ, genau wie in seiner Hand, ein Loch, umgeben von Blutstropfen, die nun Millimeter für Millimeter an der Tapete abperlten.

Langsam ließ ich die Waffe senken und sah darauf.
Ich konnte nicht glauben, was ich da gerade getan hatte. Es fühlte sich an, als wäre mein ganzer Körper von dickem, warmem Blut bedeckt.

Seinem Blut.

Im nächsten Moment fing der Mann an, wie von Sinnen zu schreien und starrte das Loch in seiner Hand an, während er sich hin und her wandte. Die anderen standen für ein paar Sekunden einfach nur da und sahen ihm zu.
Bis eine Flasche an meinem Kopf zerschellte.

Was dann passierte, ging ganz schnell.

Ich sank zu Boden, mein Kopf dröhnte, Blut rann mir die Schläfen hinunter.
Doch so schnell, wie ich gefallen war, stand ich wieder auf den Beinen und schoss auf den nächstbesten weißen Kittel, der mir in die Quere kam.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Sophie zur Tür rannte und versuchte, sie zu öffnen. Sie war verschlossen. Ein Schuss ertönte, dann sank sie zu Boden.
Ich zielte auf die Richtung, aus der der Schuss gekommen war und drückte ab. Zwei Mal, drei Mal, fünf Mal.
Jemand packte mich von hinten, doch ich hatte bereits nach einem Messer gegriffen und es meinem Gegner in den Arm gestoßen. Mit einem Grunzen fiel er von mir ab und blieb sich vor Schmerzen windend liegen.

Doch da kam schon der nächste, der mich attackieren wollte. Mit einem geschickten Schlag verpasste ich ihm einen Kinnhaken und schleuderte ihn zu Boden, wo seine Knochen ein unnatürliches Geräusch machten.

Eine Bewegung auf der anderen Seite des Raumes erregte meine Aufmerksamkeit und ich sah Jai, der von einem zwei-Meter-Mann gewürgt wurde.
Er versuchte, sich loszureißen, doch gegen dieses Muskelpaket war er nicht stark genug.
Ohne zu überlegen, hob ich die Waffe und schoss dem Angreifer in den Fuß.

Der Mann ließ mit einem Schrei von ihm ab und Jai brach ihm mit einer schnellen Bewegung das Genick.

Erschrocken sah ich ihn an.
„Danke," formte er mit den Lippen und widmete sich seinem nächsten Gegner. Auch ich wurde in dem Moment von dem nächsten Mann angegriffen und rang mit ihm, bis ich ihn unter mir eingeklemmt hatte und dann mit dem Ellenbogen auf ihn einschlug, bis er bewusstlos da lag.

Ein paar Schreie ertönten noch, dann war auf einmal alles ruhig.
Ich stand zitternd auf und wischte mir das Blut vom Gesicht.

Erst jetzt bemerkte ich das Massaker, was sich mir bot.
Reglose Männer, über und über mit ihrem eigenen Blut und dem von anderen verschmiert, die auf dem einst weißen Fliesenboden in unnatürlichen Haltungen verteilt lagen.

Und eine von uns.

„Sophie!," rief ich und lief zu dem Mädchen neben der Tür.
Vorsichtig drehte ich sie auf den Rücken und erstarrte, als ich ihre weit aufgerissenen Augen sah.
„Nein," hauchte ich und begann, auf ihre Brust einzudrücken mit dem sinnlosen Versuch, sie wiederzubeleben.
„Hey," sagte Jai und setzte sich neben mich, bevor er meine Hände fest hielt.
„Wir müssen sie retten," rief ich, fest entschlossen, dies auch zu tun, doch er nahm mich nur in den Arm und hielt mich fest.
„Das geht nicht. Sie ist nicht mehr hier."
„Und wir gleich auch nicht, wenn wir nicht so schnell es geht verschwinden," sagte Ryu.
„Der Tunnel ist gleich dahinten," rief Lance und lief darauf zu, doch Ryu stoppte ihn.
„Nein. Wir müssen die Körper erst loswerden und putzen, sonst sind wir morgen alle tot."

Bedrückt sahen wir ihn an.
War das etwa das Ende unserer Mission?

Lance dachte genauso und zeigte auf den Tunneleingang. „Aber wir sind so nah dran!"
Ryu machte einen Schritt auf ihn zu. „Ich weiß, mir gefällt das auch nicht. Leute zu töten war auch nicht der Plan. Aber es wird nicht mehr lange dauern, bis jemand von dem Massaker hier erfährt und mit deren modernen Forensik finden die in wenigen Tagen heraus, wer dafür verantwortlich ist. Zumal wir Sophie auch schlecht als Köder hier lassen können. Und mitnehmen ins Labor geht auch nicht."

Ich sah auf die Uhr. Viertel vor eins. Um Punkt Eins würden die Menschen zurückkommen.

„Er hat Recht, wir müssen verschwinden," sagte Jai. „Macht eure Schuhe sauber, schnappt euch eine Person und dann verschwinden wir von hier, los!"

Ich nahm mir ein Tuch, mit dem ich das Blut von den Schuhen wischte, steckte es in die Hosentasche und schulterte dann einen dünnen Mann, der am leichtesten von allen aussah und lief zur Tür.

„Wie kommen wir eigentlich hier raus? Mit den Leichen?," fragte Violet. Sie stand in einer Ecke des Raumes, zitternd und mit Blut verschmiert. Doch es war nicht ihr Blut und irgendwie hatte ich gemischte Gefühle darüber.

„Moment," rief Teala da und öffnete vor mir die Tür, bevor sie rausstürmte und sie wieder zufallen ließ.
„Teala!," rief ich ihr hinterher und innerhalb von zwei Sekunden war sie wieder da.
„Am Ende des Flurs gibt es eine Tür, die nach draußen führt. Und das beste ist, sie ist unverschlossen. Aber es gibt Kameras," sagte sie.
„Keine Sorge, Kyle wird die Aufzeichnungen löschen und sie durch andere ersetzen," erklärte Jai, als er den Zwei-Meter-Mann schulterte, den ich angeschossen hatte. „Violet, du schaltest den Putzroboter dort in der Ecke an. Stell ihn auf zehn Minuten."

Violet, die als einzige niemanden trug und die Augen weit aufgerissen hatte, lief zu dem kleinen runden Gerät, was in der Ecke stand und drückte auf einen Knopf, bevor der kleine Roboter ein surrendes Geräusch von sich gab und sich an die Arbeit machte.

„Los Leute, raus hier!," rief Ryu und öffnete die Tür, durch die wir nach draußen stürmten und dann nach links, wo die Freiheit auf uns wartete.

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