Nestis

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Ich stand auf. Der dunkle Wald warf schwarze Schatten auf mich. Noch immer war es Totenstille. Ich drehte mich um. Dort, wo ich durch die Zweige geprescht war, um vor dem großen Wolf zu flüchten, waren keine Spuren zu sehen. Und das Ende vom Wald, der Ausgang, ebenso nicht. Es war, als stände ich inmitten des Waldes. Panisch sah ich mich um. Doch überall sah es gleich aus.
Ich bekam Panik und trat einen Schritt vor. Im halbdunkeln erkannte ich kaum etwas. Unter meinen Füßen hörte ich ein Platschen. Ich war in den kleinen Bach getreten. Unbeholfen ging ich weiter, bis ich den kleinen Bach überwunden hatte. Wohin sollte ich nur gehen? Der Wald hatte mich in seine Mitte gerissen, obwohl ich nur ein paar Meter in ihn rein gelaufen war.
Ich hätte weinen können. Doch dann sah ich ein Augenpaar, welches mich ansah. Ängstlich starrte ich es an und die Augen starrten zurück.

Plötzlich spürte ich etwas an meinem Rücken. Ich schrie auf, als ich nach vorne gestoßen wurde, in Richtung der Augen. Vor Angst schlug ich um mich, doch schlug nur durch Luft oder Wasser. Ich stockte. Es war ein langer Arm aus Wasser, der mich nach vorne drückte, so sehr ich mich auch gegen wehrte. Dieser Wald wollte mich Tod sehen. Er wollte mich ertränken.

Ich stolperte über eine Wurzel und landete ächzend im Laub. Die Hand aus Wasser packte mich am Fuß und zerrte mich über den Waldboden hinweg, zu den Augen. Meine Kleidung riss an manchen Stellen, der Dreck kroch in meine Hose und mein Hemd hinein. "Hilfe!", schrie ich, krallte mich in die Erde und strampelte um mein Leben. In dem Moment, blieb ich liegen. Die Hand hatte von mir abgelassen. Schwer atmend, richtete ich mich auf und sah vor mir, direkt in das Augenpaar. Nun erkannte ich dass dazugehörende Gesicht. Es war eine Frau, die im Wasser eines Teiches schwomm. Sie hielt sich am Ufer fest. Sie wirkte wie ein Geist auf mich. Blau schimmernde Haut, große blaue Augen, die mich musterten. Und ihr Haar war eins mit dem Wasser. Es schien, als könnte man durch sie hindurch sehen. Ein Monster des Waldes. "Ich bin Nestis." Ihre Stimme war zu sanft, um im ersten Augenblick zu denken, dass sie ein Monster sein könnte. Doch etwas anderes gibt es hier nicht. "Du scheinst nicht in diesen Wald zu gehören", fuhr sie fort.

Ich konnte nicht antworten, geschweige denn mich regen. Ich saß, in ängstlicher Fluchthaltung, auf dem Boden und schaute sie, am ganzen Körper bebend vor Angst, an. "Du hast dir weh getan." Sie hob ihre Hand an und streckte sie nach mir aus. Ich ließ ein wimmern aus mir heraus, als ihre Hand, so bleich, mit ihren langen Fingern, immer näher kam und schließlich zu Wasser wurde. Das Wasser war warm, als es meinen Körper berührte. Es wusch mir den Dreck aus Gesicht und vom Körper, ohne, dass ich Nass wurde. Auch spürte ich, wie meine Anspannung verging, mein Zittern weniger wurde und mein Atem ruhiger. "Wie ist dein Name?", fragte Nestis. Ich öffnete meinen Mund. "Pat..Patrick." Nestis lächelte. Es war ein schönes Lächeln. "Du wurdest von den Schwarzwölfen hinein getrieben, nicht wahr?" Ich nickte. Nestis schien zu überlegen. Sie sah kurz von mir ab, dann wieder in mein Gesicht. "Der Wald lauert voller Gefahren. Ich kann dir leider nicht helfen, lieber Mensch. Ich kann nicht von hier fort. Hinauszufinden ist fast unmöglich. Die meisten werden von bösen Wesen gefunden. Was mit ihnen passiert, das möchte ich garnicht aussprechen. Allerdings gibt es auch viele, längst vergessene, friedvolle Völker in diesem Wald. Man muss sie nur finden, es zu ihnen schaffen. Patrick, gehe nie nach Süden. Dort lauern die schwärzesten Geschöpfe dieses Waldes." Nestis brach ab und tauchte ein Stück tiefer in das Wasser ein.
"Gehe dort lang." Sie deutete mit ihren dürren Fingern in eine Richtung. "Dort wirst du Hilfe finden. Doch vertraue nicht jedem, lieber Mensch. Vertraue nicht jedem." Die mysteriöse Gestalt wurde immer kleiner und zerfloss anschließend mit dem Wasser, in dem Nestis eben noch geschwommen ist.

Mein Kinn fing an zu zittern. Doch ich durfte nicht aufgeben. Ich stand nun vom Boden auf und klopfte mir das restliche Laub von den Hosen. Sollte ich dieser fremden Wasserkreatur vertrauen? Ich schluckte. "Das kann doch alles nicht wahr sein." Ich schlug mir die Hände auf mein Gesicht und weinte lautstark los. Noch nie hatte ich mich so verloren gefühlt, wie in diesem Augenblick. Ich war diesem Wald nicht gewachsen. Wie sollte ich mich gegen böse Gestalten verteidigen? Und wenn ich keine begegnete würde ich, früher oder später, verdursten oder verhungern. Denn meine Tasche hatte ich bei der Flucht vor den großen Wölfen verloren.

Doch hier, an dieser Stelle, zu verweilen, ging auch nicht. Ich entschied mich, ihre Wegdeutung zu folgen. Ich umschlang meinen eigenen Körper und ging langsam, mit vorsichtigen Schritten, weiter in den Wald hinein. Meine Augen huschten Wachsam umher. Ich achtete auf jedes Geräusch, was der Wald von sich gab. Aber das was ich hörte, waren nur meine eigenen Schritte und mein ängstlicher Atem.
Es schienen Stunden zu vergehen, in denen ich durch den Wald lief. Meine Beine wurden müde, weswegen ich mich an einen Baum lehnte und mich an ihn hinunter gleiten ließ.

"Gehst du wohl weg von mir!", schrie plötzlich jemand hinter mir. Erschrocken stieß ich mich nach vorne und drehte mich dabei um. So saß ich, wie schon so oft an diesem Tage, auf dem Boden. Ich sah auf, zu dem Baum. Und der Baum hatte ein Gesicht.

........

Danke an EllenAlnight für die Idee mit der Nebelgestalt, die ich Nestis getauft habe. Ich hoffe ich habe das ganz gut und nach deinen Vorstellungen umgesetzt 😊

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Danke für's lesen 😊

Der Wald der Elfen || KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt