Kapitel 27

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(Aaron)

Der Film war bis jetzt echt gut. Ich fand, dass Katniss einfach nur ein verdammt starker Charakter war. Sie kümmerte sich um ihre ganze Familie und opferte sich sogar für ihre kleine Schwester Prim.

Gerade noch schlief sie mehr oder weniger ruhig auf einem Baum, als plötzlich das knacken des Holzes ertönte. Ich schluckte und richtete mich langsam auf. Und dann schwenkte die Kamera auf den Wald - der in Flammen stand. Meine Augen wurden groß. Mein Atem verschnellerte sich minimal und ich spürte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich.

Katniss registrierte es jetzt auch und sprang schnell vom Baum runter und rannte um ihr Leben. Doch das Feuer kesselte sie ein und es sah nicht so aus, als würde sie es schaffen. Der stechende Rauch von Feuer drang in meine Nase und meine Augen tränten davon.

Das Holz neben uns knackte gefährlich und der Rauch quoll bereits wie eine gefährliche Wolke durch jedes kleine Loch in den Wänden. Er streckte seine gierigen Finger nach uns aus, bereit unsere Brücke in den sicheren Tod zu sein. Ich wich langsam zurück, während Leon erneut gegen die Tür hämmerte.

Der Schrei des Feueralarms klangen verzerrt während mein Herz panisch gegen meine Brust klopfte, in der Hoffnung einen Weg nach draußen zu finden um nicht sterben zu müssen.

Die Sicht änderte sich und der Film zeigte wieder die Spielmacher, wie sie kurzerhand entschieden, erneut eine Feuerkugel auf Katniss abzuschießen. Und wieder rannte sie um ihr Leben. Verzweifelt suchte sie einen Ausweg aus der Hölle, die ihr Tod zu sein scheint. Das Feuer sang fröhlich sein Lied von knackenden Ästen und umfallenden Bäumen während es das arme Mädchen beobachtete, wie sie in den sicheren Tod rannte.

Und wieder waren wir bei den Spielmachern, die einen Baum umfallen ließen und Katniss somit der Weg abgeschnitten wurde.

Sie sprang zwar zur Seite aber inzwischen hatte das Feuer sie fast eingekesselt und war bereit, sie in eine warme Umarmung zu ziehen. Und dann geschah es. Eine Feuerwelle traf sie am Bein und schmorrte ihr die Haut von den Knochen.

Sie zogen mich von Leon weg, der unter den Trümmern der Decke begraben wurde. Tränen rannten mir über die Wangen, doch sie wurden sofort von der Hitze des Feuers getrocknet. Verzweifelt schrie ich nach meinem Freund, in der Hoffnung, ein Lebenszeichen von ihm zu bekommen. Doch da war nichts, nur der Gesang des Feuers und die Stimmen der Feuerwehrmänner, die sich Kommandos zuwarfen.

Mein Körper zitterte, doch ich versuchte es zu verdrängen. Inzwischen konnte sie sich in eine Hölle zurückziehen und ich wollte schon erleichtert aufatmen als erneut eine Feuerkugel auf sie zuschoss. Ihre Augen wurden groß vor Entsetzen und kurz bevor die Kugel sie traf, sprang sie zur Seite - und fiel einen Hang hinab.

Anscheinend war ich so sehr zusammengezuckt, dass sich Alec zu mir umdrehte. „Alles okay?" Fragte er und ich nickte „Alles bestens, kein Problem", presste ich hervor und versuchte mich auf meine Atmung zu konzentrieren.

Erinnerungen wollten sich hochdrängen doch ich kämpfte dagegen an. Dass ich dabei den Film verpasste, war mir egal. Hauptsache der Geruch von Feuer verschwand.

„Ich komm gleich wieder", sagte ich und stand auf. Gabriel nickte und starrte weiterhin auf den Fernseher. „Okay", sagte Alec schulterzuckend und mit diesen Worten verschwand ich aus dem Wohnzimmer. Mein Weg führte ins Badezimmer, wo ich erstmal die Türe zögerlich hinter mir schloss. Ich drehte mich zum Waschbecken um und stützte mich auf dem kalten Porzellan ab.

Ich atmete tief durch, versuchte meine Gedanken zu klären und den beißenden Geruch nach Feuer und Tod zu vertreiben.

Doch er verschwand nicht. Zu sehr krallte er sich an mich und raunte mir böse Sachen zu. Aber war das nicht normal? Waren Erinnerungen nicht da, um dich an die Vergangenheit zu erinnern? Sie werden dich ein Leben lang verfolgen und nie mehr loslassen, egal wie sehr du sie zu verdrängen versuchst.

Manche, lassen dich wie ein Schmetterling fühlen, der über die Wiesen tanzt und in einer anderen Situation sind sie ein Rucksack, der mit Steinen gefüllt ist und dich auf den Grund des Meeres zieht.

Meine Hände zitterten und ich versuchte meinen Kopf auf Stumm zu schalten. Ich führte einen Wettkampf mit dem Aaron vor mir. Wir starrten uns an, in der Hoffnung ein Zeichen zu finden. Ein Zeichen welches uns sagte, dass wir nicht schuld waren. Ein Zeichen das uns sagte, dass wir nicht alleine sind und dass sein Tod einen Sinn hatte.

Aber da war keins. Keine Regung, keine Stimme, die uns zu wisperte und kein Leuchten in den Augen welches uns sagte, dass es nur ein Traum war.

Es war meine Schuld. Und ich war alleine damit, warum sonst hätte Leon sterben müssen? Es war meine Schuld, meine ganz alleine.

Ich vergrub meinen Kopf in meinen Händen und stieß einen stummen Schrei aus. Warum war das Leben so scheiß unfair?

Warum passierte immer den guten Menschen schlechte Sachen? Leon war so jung, als er sein Leben aushauchen musste und ich konnte nur blöd danebenstehen.

Ich schüttelte meinen Kopf.

Atmen.

Ganz ruhig.

In meinen Gedanken tauchte die Stimme von Markus auf, der mit mir die Situation bereits oft besprochen hatte. Er sagte, dass das nicht meine Schuld war, sondern die, der Männer, die das Feuer gelegt hatten, um Spuren zu verwischen. Ich trug keine Verantwortung deswegen.

Ein kleiner Teil klammerte sich an diese Aussage, wie ein Ertinkender an ein Stück Holz. Der andere Teil, der, der das Sagen hatte, wisperte mir zu, dass es eben nicht so war.

Dass es ganz alleine meine Schuld war und ich nichts dagegen tun konnte. Sie bildeten zwei Fronten, die sich bekriegten. Laut, und zerstörerisch. Aber sie taten dies ohne Bomben oder Gewehere. Sie nutzen die wohl stärkste und gefährlichste Waffe, die der Mensch zu bieten hatte. Worte.

Sie bewarfen sich gegenseitig damit. Immer lauter und lauter. Böser und böser. Ich presste meine Hände auf meine Ohren. „Hört auf", wisperte ich. „Bitte hört auf."

Meine Stimme brach, obwohl ein Sturm in mir wütete, der nicht entkommen konnte. Tränen traten in meine Augen, doch ich presste sie zurück in ihr Gefängnis. Nicht hier. Nicht jetzt.

Ich hatte erst einen Zusammenbruch vor Alec. Wenn ich jetzt erneut einen habe, dann verschwindet er schneller wieder aus meinen Leben bevor ich Hi sagen kann.

Warum hing er überhaupt mit mir ab? Ich war der Loser der Schule und Alec schien einfach - perfekt. Musste so jemand nicht Leute wie mich fertig machen? Verbal und Physisch?

Ich fühlte mich, als würde ich ersticken, wenn ich noch eine Sekunde länger hier, in dieser kleinen Wohnung von Alec bleiben werde. Deshalb klatschte ich mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht und verließ das Badezimmer wieder.

„Ich geh jetzt dann mal wieder", meinte ich und blieb im Türrahmen stehen. Die beiden Kumpels drehten sich zu mir um. „Jetzt schon? Der Film ist doch noch gar nicht zu Ende" Fragte Gabriel und ich nickte. „Ja ich muss gehen, mein Dad hat angerufen das ich nach Hause kommen soll." Ein schlechtes Gewissen machte sich in mir breit, weil ich sie belügte.

Mein Vater war ja nicht mal Zuhause, sondern beruflich unterwegs. „Achso, na dann", sagte Alec und stand auf.

„Ich begleite dich noch zur Tür", meinte er und ich nickte Stumm.

Schnell schlüpfte ich in meine Sneacker. „Tja dann", sagte ich „Danke nochmal", meinte ich und zeigte auf meine Ohren. Alec lächelte „Kein Probelm", lächelte er mich an.

Der größere ging an mir vorbei und öffnete mir die Wohnungstüre. „Komm gut Nachhause und bis morgen", sagte er.

Ein kleines Lächeln legte sich auf meine Lippen. „Ja bis morgen."

I don't understand you | ᵇᵒʸˣᵇᵒʸ |Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt