Schachmatt

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»Was meinst du?«, fragte Michael. Tania schreckte auf und ließ fast das Sandwich fallen, an dem sie geknabbert hatte.

»Ganz deiner Meinung«, erwiderte sie, in der Hoffnung, dass diese Antwort zu dem passte, was Michael ihr erzählt hatte. Sie saßen beim Abendbrot und in wenigen Tagen würde das Quidditchspiel von Ravenclaw gegen Gryffindor stattfinden. Michael redete seit Tagen ununterbrochen davon.

»Du hast Recht!«, rief er enthusiastisch und schlug mit der Hand so stark auf den Tisch, dass sein Glas mit Kürbissaft überschwappte. »Ich werde die Taktik ändern. Wir werden den Fokus auf die Treiber legen -«

Tania schob ihren Teller beiseite, stütze das Kinn in die Hände und folgte Michaels Ausführungen halbherzig. Währenddessen glitt ihr Blick zum Lehrertisch und traf auf Snapes schwarze Augen. Seine Mundwinkel zuckten kaum merklich und in Tanias Gesicht erschien ein warmes Lächeln.

Es war kurz vor neunzehn Uhr und gleich würde sie sich mit ihm auf den Weg ins Labor machen. Ungeduldig beobachtete sie den Sekundenzeiger auf ihrer Uhr. Ihr Blick huschte zurück zu Snape und zu ihrer Überraschung zuckte er mit den Schultern, erhob sich und marschierte aus der großen Halle.

Freudig sprang Tania auf, rief Michael eine Entschuldigung zu und eilte ihm mit großen Schritten hinterher.

»Ich habe den Eindruck, Sie können es kaum erwarten, die frisch gelieferten Blutblasenschoten zu entsaften«, bemerkte Snape mit einem spöttischen Lächeln, als sie zu ihm aufschloss.

»Ihnen auch einen guten Abend«, erwiderte Tania schmunzelnd und verzog angeekelt das Gesicht. Snape lachte leise.

Seit der Nacht zum zweiten März hatte sich in ihrem Umgang miteinander viel geändert. Snape ließ seine Laune immer seltener an ihr aus. Stattdessen behandelte er sie mit mehr Rücksicht und Respekt als jeden anderen Bewohner des Schlosses.

Der Unterschied wurde Tania besonders im Unterricht bewusst. Dort trat er weiterhin als unsympathische Fledermaus auf, doch wenn sie mit ihm allein war, schwand die Arroganz und die Kälte aus seinen schimmernden Augen.

»Wir werden sehen«, erwiderte Snape und stockte plötzlich. »Hören Sie das?« Sein Gesicht verfinsterte sich und er zog in einer fließenden Bewegung seinen Zauberstab.

Tania hielt den Atem an und lauschte. Da die meisten Schüler beim Abendessen saßen, war es totenstill in den Gängen. Sie hörte es auch. In der Ferne erklang ein Kreischen, welches ihr die Haare zu Berge stehen ließ. Sie konnte nicht verstehen, was die grausige Stimme schrie, doch sie schien in heller Panik zu sein.

Bevor Tania einen klaren Gedanken fassen konnte stürmte Snape mit wallendem Umhang die Treppe hinauf. Es dauerte eine Weile, bis die Starre aus ihren Beinen wich und sie die Verfolgung aufnahm. Snape war bereits aus ihrem Sichtfeld verschwunden. Hilflos irrte sie der Stimme hinterher, die mit jeder Treppe an Lautstärke gewann, bis Tania die Worte verstand.

»MORD! MORD IM KLO! MORD!«, schrie die schrille Frauenstimme. Sofort kam Tania die Mädchentoilette im siebten Stock in den Sinn und sie rannte die Treppe hinauf und den Gang entlang.

Kaum, dass sie die Toilette erreichte, erstarb die Stimme. Mit angehaltenem Atem legte sie die Hand auf die Klinke des Badezimmers. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie atmete tief durch, hielt den Zauberstab im Anschlag und riss die Tür auf. Nichts. Der Raum war verlassen.

Verwirrt überlegte sie, dass die Stimme auch aus dem Jungenklo im sechsten Stock stammen konnte. Nervös warf sie einen Blick durch den menschenleeren siebten Stock, ehe sie mit gezücktem Zauberstab zurück zur Treppe lief, doch plötzlich ertönten schnelle Schritte hinter ihr. Erschrocken schlüpfte Tania hinter eine Rüstung, grade rechtzeitig, bevor Harry pitschnass und blutbeschmiert den Korridor entlangeilte.

SeelenfriedenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt