Ein Jahr später

3.5K 181 69
                                    

Es hatte eine Zeit gegeben, da war es für Tania undenkbar gewesen, in ihr Turmzimmer zurückzukehren. Jetzt stand sie in dem leeren Raum, der lange ihr Zuhause gewesen war und musste Abschied nehmen. Abschied von Hogwarts, ihren Freunden und wohl auch von einer größtenteils unbeschwerten Jugend.

Mit einem wehmütigen Blick schloss sie die Tür und lief zum letzten Mal die Treppe in den Gemeinschaftsraum hinab. Michael wartete auf sie. Er lächelte matt, als würde auch in ihm ein Konflikt toben. Ein Konflikt aus Freude und Trauer.

Im letzten Schuljahr war er erwachsen geworden. Es war merkwürdig gewesen, als sie im letzten Sommer in die Schule zurückgekehrt waren, um ihren Abschluss zu machen. Das grausame Jahr mit den Carrows und die anschließende Schlacht hatten sie alle tief geprägt. Jede Ecke des Schlosses erinnerte an den Krieg, an die vielen Verluste und die Trauer der Angehörigen.

In der Schlacht waren große Teile des Gemäuers gefallen, Flüche hatten die Statuen zerschmettert und an manchen Stellen war das Blut ins Parkett gesickert. Mittlerweile waren die Wunden geflickt. Das Leben ging weiter und Hogwarts erstrahlte in alter Pracht.

»Ich wollte immer fertig werden mit der Schule«, sagte Michael mit einem Schulterzucken. »Aber jetzt ist es doch - komisch

»Jaah«, antwortete Tania. »Ich kann mir nicht vorstellen, nie mehr hierher zurückzukehren.«

»Aber Tania«, erwiderte Michael grinsend, »das heißt nicht, dass wir den Kontakt zueinander verlieren. Ich kenne dich.«

»Ich verspreche dir, mindestens einmal im Monat zu schreiben.«

»Schreiben reicht nicht.« Er drohte ihr mit dem Finger.

»Na schön.« Sie verdrehte die Augen.

»Versprich es!«, forderte Michael schmollend. »Wenn ich erst ein Auror bin kommt mir der Kontakt zu einer Meisterin für Zaubertränke äußerst gelegen!«

»Ich bin keine Meisterin!« Tania verdrehte die Augen. Dieses Thema hatten sie jetzt schon etliche Male durchgekaut.

»Na klar bist du eine.« Michael rempelte sie freundschaftlich an, als sie sich auf den Weg zur Abschlussfeier machten. »Mann, du hast ein Buch geschrieben!«

»Ich habe kein Buch geschrieben!«, protestierte Tania. »Severus hat ein Buch geschrieben. Ich habe nur - assistiert

»Sei's drum! Dein Name steht auf dem Cover.«

»Wie du meinst«, gab Tania verlegen nach.

Sie erinnerte sich lebhaft an den Weihnachtsmorgen, als sie das erste Lebenszeichen von Severus erhalten hatte.

Nachdem sie ihm den Ring der Auferstehung gegeben hatte, war sie wie versprochen am nächsten Abend ins Spinners End zurückgekehrt. Ein mulmiges Gefühl hatte sie beschlichen, als sie sah, dass die Haustür offen stand.

Als sie über die Schwelle getreten war, hatte sie fast der Schlag getroffen. Das Haus war leer gewesen, alle Möbel und Gegenstände verschwunden. Selbst die Wände waren von der schäbigen Tapete befreit worden. Es war, als hätte sie einen Rohbau betreten.

Severus hatte das Haus seiner Kindheit aus seinem Leben ausradiert. Die Spuren der Gewalttätigkeit, die seine Mutter erdulden musste, ebenso, wie die Spuren des Mordes an seinem Vater.

Tania war bedächtig durch das ganze Haus geschritten. Im Schlafzimmer war sie schließlich fündig geworden. Ein leises Summen drang aus dem kahlen Raum. Ein Memo kreiste beständig unter der Zimmerdecke. Als sie das Zimmer betrat, schwebte es auf sie zu und landete in ihren Händen. Stumm hatte sie es bewundert.

SeelenfriedenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt