Kapitel 2 - Überarbeitet

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Die Wahrheit schmeckt süß und bitter;

die süße schont, die bittere heilt.

-Augustinus Aurelius (Bischof von Hippo, Philosoph, Kirchenvater und Heiliger)

»Kann ich mich zu dir gesellen?«, erkundigt sich eine fremde Stimme. Vor mir steht ein Junge. Er ist Jung, vielleicht Achtzehn? Seine Haare hat er Weiß gefärbt. Es passt zu Ihm. Die blasse Haut und die Blauen Augen, aber er ist groß für sein Alter. Nervös sieht er mich an. Hat er nicht viel Selbstbewusstsein? Er muss sich unbedingt andere Kleidung anschaffen. Das ist ihm zu Groß und er sollte keine dunklen Farben tragen. Nicht wenn er die Haarfarbe behalten möchte. »Darf ich? Es wird sich auch noch jemand zu uns gesellen.«

»Ja, könnt Ihr.«, stimme ich zu nachdem ich mich umgesehen habe. Das Bistro ist ziemlich voll. Alle Tische sind besetzt. Mein Tisch ist der einzige an dem nur eine Person sitzt, nämlich ich. »Ich heiße Olivia. Olivia Hanson.«

»Lorcan.«, murmelt der Junge als er Platz nimmt und aus dem Fenster sieht. »Ich hab Käsekuchen und Mooskuchen bestellt. Sind die gut?«

»Die Kuchen hier sind gut genauso wie der Kaffee. Welchen Kaffee hast du bestellt? Ich kann es dir haargenau sagen, ich komme öfter hierher. Gehst du noch zur Schule oder arbeitest du schon?«, erkundige ich mich bei Lorcan. Ein einzigartiger Name, aber er hat mir nicht seinen Nachnamen gesagt. Vielleicht hat er Angst ich würde ihn bei Sozial Media finden und ihn anschreiben.

»Zwei große Latte, doppelter Espresso, italienische Zubereitung, wenig Schaum, extra Zimt mit Vollmilch und eine davon mit einem Schuss Himbeere.«, zählt der Junge auf. Es hört sich schon automatisch an, so als hätte er es schon hundert Mal gesagt. »Hunter meinte zumindest, dass ich das bestellen soll und dann den Kuchen aussuchen darf.«

»Hunter? Dein Bruder oder ist er ein Freund von dir?«, erkundige ich mich neugierig bei Lorcan. Der wiederum beißt sich auf die Lippe. »Ah, Sozialberater? Was hast du gemacht? Warst du unartig? Du musst dich doch nur nicht erwischen lassen. Also? Sag schon: Was hast du gemacht?«

»Ich habe nichts gemacht«, streitet der Junge ab und dreht sich zur Eingangstüre. Im Eingangsbereich steht wohl Hunter. Er sieht Lorcan, bis auf die Körpergröße nicht ähnlich.

»Hunter hier.«, macht der weißhaarige auf uns aufmerksam und hebt die Hand. Überrascht sieht Hunter erst Lorcan und dann mich an. Seine Augen bleiben an mir hängen, ziehen mich in seinen Bann. Sogar von hier aus sieht er bedrohlich aus, mit den sichtbaren Piercings und Tattoos, die seinen linken Arm schmücken.

»Hunter, das ist Olivia Hanson und Olivia, dass ist Hunter.«, stellt Lorcan uns vor.

»Hey, schön dich kennen zu lernen. Also in welcher Beziehung stehst du zu Lorcan? Er will es mir nicht sagen«, plappere ich drauf los und sehe unverschämterweise dabei zu wie er sich hinsetzt, beobachte seine Muskeln. Die Blaugrauen Augen sehen mich an, starren mich an, fast schon animalisch. »Also? Tut mir leid, ich bin sehr neugierig und plappere immer drauf los. Vor allem wenn ich nervös bin. Wie peinlich. Das hätte ich jetzt nicht sagen sollen.«

»Hunter. Er gehört mir.«, brummt Hunter mit tiefer Stimme und lehnt sich zurück, verschränkt die Arme und sieht der Kellnerin dabei zu, wie sie seine Bestellung abstellt.

»Einmal ein Stück Käsekuchen und Mooskuchen und zwei Latte, einmal mit Himbeere und ohne. Rechts ist ohne. Kann ich Ihnen noch etwas bringen?«

»Ja sehr gerne, bitte einen Einspänner mit Karamell und ich vielleicht noch ein Stück von eurem Apfelkuchen.«, bestelle ich bei unserer Bedienung. »Ich kann hier doch sitzen bleiben oder? Wenn ihr etwas wichtiges zu besprechen habt, müsst ihr es sagen. Ich möchte wirklich nicht stören.«

»Tust du nicht.«, beschwichtigt Lorcan meine Nervosität. »Wir haben uns doch zu dir gesetzt, wenn dann sollten wir uns einen neuen Platz suchen. Wartest du auf jemanden?«

»Nein. Ich wollte mir nur ein Stück Kuchen genehmigen und einen Kaffee. Jetzt sind es schon zwei. Also du musst unbedingt andere Kleidung tragen. Keine dunkle Farben, du solltest dich auf helle Farben konzentrieren, Lorcan oder deine Haare färben. Warum hast du dir eigentlich weiß als Haarfarbe ausgesucht? Es gibt doch schönere. Ich hätte mir dann Rot ausgesucht.«

»Elfchen, du solltest einmal tief Luft holen. Der Junge bekommt gleich neue Kleidung.«, murrt Hunter und nimmt einen Schluck von seinem Komplizierten Kaffee, ohne den Schuss Himbeere. Seine tiefe Stimme lässt mich erschaudern. Elfchen. Er hat mich Elfchen genannt.

»Ey, so klein bin ich nicht! Ich bin 1,63m. In manchen Ländern dieser Welt bin ich Durchschnittsgröße! Vielleicht nicht hier, aber kleinwüchsig bin ich nicht. Du könntest mir doch ein paar Zentimeter abgeben oder Lorcan! Ihr seid einfach nur groß! Zu groß!«, meine ich wutentbrannt. Ich bin nicht klein! »Wieso brauchst du eigentlich neue Kleidung? Was hast du mit deiner Alten gemacht! Ich begleite euch. Ihr beide braucht wirklich Unterstützung. Danke, Hunter reichst du mir den Zucker?«, frage ich den dunkelbraun haarigen, lächle die Kellnerin an und tue zwei Löffel Zucker in meinen Einspänner. »Ich habe heute noch nichts vor und ihr könnt meine Hilfe bestimmt gebrauchen oder? Sag schon.«

»Elfchen, schweig. Lorcan deine Entscheidung.«, unterbricht Hunter mich und wendet sich an Lorcan. Der weißhaarige leckt sich gerade die Lippen ab, nachdem er seinen leeren Kaffeetasse zurückstellt. Mit großen blauen Augen sieht er uns erschrocken an. Er legt den Kopf leicht schräg, sieht von mir zu Hunter und zurück. Ermuntert lächle ich Lorcan an. In dieser Pose wirkt er sehr jung, sehr viel jünger als er ist. Was ihm wohl zugestoßen ist?

»Kannst du. Ich habe keine Ahnung von Kleidung.«, murmelt der Junge, sieht dabei aber die ganze Zeit Hunter an. »Vorher müssten wir aber einen Stopp Einlegen. Hunter braucht noch einen Autoschlüssel.«

»Gut, dann kann ich dich bis auf die Unterhosen neu einkleiden. Helle Farben und auf jeden Fall brauchst du neue Schuhe und auch eine Armbanduhr oder besitzt du eine? Nichts auffälliges keine Sorge. Vielleicht etwas mit Leder und schwarz oder braun. Hast du Körperschmuck so wie Hunter? Tattoos oder Piercings? Hat das eigentlich sehr weh getan? Ich traue mich nicht einmal ein zweites Ohrloch stechen zu lassen. Ich glaube, ich würde vor Schmerzen umfallen.«

»Elfchen, du solltest einmal tief Luft holen.«, brummt Hunter mit seiner tiefen Stimme, aber seine Augen strahlen vor Belustigung. Meine Wangen glühen vor Scham. Ich nippe an meinem Einspänner. »Der Junge braucht alles. Also iss deinen Apfelkuchen und trinke deinen Kaffee aus. Du auch Lorcan.«

Im Gänsemarsch laufen, Lorcan und ich hinter Hunter her. Er läuft eilig zwischen den Pärchen hin und her, überholt jeden einzelnen Fußgänger. Der dunkelhaarige ist dreißig Zentimeter größer, überragt alle anderen und seinen Körperschmuck fangen ihm böse Blicke ein. Er jedoch scheint sich dafür gar nicht zu interessierten.

»Hunter, kannst du langsamer laufen? Ich kann nicht solche großen Schritte machen. Also langsamer und wo willst du überhaupt hin? Du bist schon an drei Läden vorbei gelaufen! Die sind genauso gut wie alle anderen. Du solltest mir sagen, welche Art Kleidung du für den Jungen bevorzugst oder kann er es sich selber aussuchen? Ich bin mir sicher das Lorcan nicht nur, Sommer Kleidung braucht sondern auch Winter. Das ist jetzt im Angebot, das ist im Frühling immer so. Vor allem ist dein Geschmack nicht schlecht, wenn man auf Leder und schwarz steht, aber dann müsste Lorcan sich die Haare färben.«

»Elfchen.«, fängt Hunter an, bleibt stehen und sieht mich an. Seine Augen bohren in meinen und es ist als ob er in meine Seele schauen kann. Ob er weiß, was ich denke? »Schuhe, zuerst und dann Kleidung. In der Zwischenzeit besorge ich den Schlüssel.«

»Wofür brauchst du denn einen neuen Autoschlüssel? Hast du deinen verloren? Vielleicht liegt er irgendwo bei dir Zuhause. Hast du auch überall gesucht? Es ist wichtig, jede noch so kleine Ecke zu durchsuchen. Autoschlüssel sind schon wichtig.«

»Für Lorcan und jetzt hol doch ein paar Mal tief Luft.«


Eure Linkszanne

(Freitag, der 8 Mai 2020)

Sonntag, der 25 April 2021

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