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Mit zittrigen Finger zog ich den Reißverschluss meiner Tasche auf. Ich ließ meinen Arm darin verschwinden und fing an nach meinem Schlüsselbund zu suchen. Als endlich das gewohnte Klimpern ertönte, griff ich schnell danach und zog ihn hastig heraus. Dabei glitt er mir aus meinen Händen und flog mit voller Wucht auf unsere Matte vor der Tür. Ich schloss meine Augen für ein paar Sekunden, damit sich mein Körper etwas beruhigen konnte. Nochimmer mit zittrigen Händen, hockte ich mich herunter und Griff nach dem Schlüsselbund. Erst jetzt fiel mir auf, dass das Brummen hinter mir immernoch dort war. Verwirrt drehte ich mich um. Der matt-schwarze BMW stand an Ort und Stelle. Langsam stand ich wieder auf, ohne den Blick vom Auto zu nehmen. Von der Motorhaube, wanderte mein Blick langsam zu dem Fahrersitz.

Nicos Blick war genau auf mich gerichtet, doch er sah mir nicht in die Augen. Seine Aufmerksamkeit schien generell nicht auf mir zu liegen. Ich war eher nur ein Punkt, den er warlos ausgesucht hatte. Er schien Geistig komplett abwesend zu sein. Er schien nicht in dieser Welt zu sein. Ich atmete schwer aus, drehte mich um und steckte den Schlüssel in das Schlüsselloch. Drei mal drehte ich den Schlüssel um, bis die Tür aus dem Schloss sprang.

Ein letztes mal sah ich zu ihm herüber. Leben war in ihn zurückgekehrt, denn diesmal fixierten mich seine Augen direkt und waren nicht verschleihert. Er drängte sich ein letztes trauriges Lächeln auf die Lippen und fuhr von unserem Grundstück.

Schnell betrat ich das Haus, schloss die Tür hinter mir und lehnte mich dagegen. Sofort schossen mir die Tränen in die Augen. Meine Hände griffen nach meinen Haaren und rauften daran. Nach und nach verließen mich meine Kräfte in den Beinen. Langsam glitt ich das kalte Holz hinter mir herunter bis ich auf dem Boden zusammenbrach. Tränen bahnten sich ihren Weg aus meinen Augen, über meine Wengen und auch meine Schluchzer konnte ich nicht mehr verstecken. Beide Beine zog ich fest an meinen Oberkörper. Mein Gesicht vergrub ich in meinen Handflächen. Mein ganzer Körper fing an zu zittern und bebte bei jedem Schluchzer der meine Kehle verließ.

"Lisa?" nur schwammhaft nahm ich die Stimme von Leo war.

"Lisa?!" diesmal war seine Stimme lauter und nahm einen schockierten Ton an. Vorsichtig hob ich meinen Kopf an. Mit verschwommener Sicht sah ich die schwarze Silhouette von Leo auf mich zukommen. Er hockte sich vor mir auf den Boden und musterte mich.

"Was ist passiert?" fragte er leise. Wiederwillig schüttelte nur meinen Kopf und legte mein Gesicht auf meine Knie. Mit meinen Händen umgriff ich meine Beine und zog sie noch näher an mich heran. Behutsam legte er einen Arm unter meine Beine, einen Arm hinter meinen Rücken und hob mich langsam hoch. Müde lehnte ich meinen Kopf gegen ihn.

"Adrian?!" erschrocken zuckte ich zusammen, als Leo nach meinem anderen Bruder rief

"Tut mir Leid, ich wollte dich nicht erschrecken" flüsterte er und gab mir einen Kuss auf die Stern.

"Was ist denn jet-.. Was ist passiert?!" Adrian kam die Treppe herunter gestampft. Seine Stimmenlage schwabte von genervt zu besorgt über.

"Ich weiß nicht, ich hab sie an der Tür gefunden" antwortete Leo ahnungslos.

"Setz sie erstmal aufs Sofa." sagte Adrian. Leo setzte seinen Gang fort und setzte mich vorsichtig auf dem Sofa ab. Sofort positionierte ich mich in einen Schneidersitz und spielte mit meinen Ärmeln. Mittlerweile sind meine Schluchzter abgeklungen. Lediglich die ein oder andere Träne verließ mein Auge.

Sowohl Leo, als auch Adrian hockten sich vor mich und musterten mich.

"Hattest du wieder einen Flashback?" mit leiser Stimme durchschnitt Adrian die angespannte Luft. Verneinend schüttelte ich meinen Kopf.

"Was ist dann passiert?" fragte Leo sofort hinterher und wurde von Adrian mit einem mahnenden Blick gestrafft.

"I-ich will nicht darüber reden" antwortete ich mit zittriger Stimme, die kurz davor war zu brechen.

Beide seufzten augenblicklich auf.

"Du weißt, ich will dir nichts vorschreiben, aber du solltest darüber reden, sonst endet das so wie letzte mal. Dann fällst du wieder in dieses tiefe Loch." langsam fing Adrian an auf mich einzureden. Seine Hand wanderte zu meinem Knie legte sich darauf. Sofort zuckte ich zusammen, sodass er seine Hand wieder weg zog.

"E-er hat-" ich brach den Satz ab.

"Hat er dich angefasst?" sofort sprang Leo auf.

"Beruhige dich und hör verdammt nochmal zu!" fuhr Adrian ihn an. Schuldbewusst hockte Leo sich wieder zu uns.

"E-er hat sie gesehen" flüsterte ich und zog meinen linken Ärmel hoch. Alle Blicke richteten sich sofort auf die unzähligen länglichen Narben.

"Vertraust du ihm nicht?" fragte Leo und setzte sich neben mich. Mit meinem Zeigefinger fing ich an die Striche entlang zu fahren.

"Ich vertraue ihm, aber ich hab Angst" eine einsame Träne verließ mein Auge.

"Wovor?" Leo zog mich an sich. Sofort legte ich meinen Kopf auf seine Schulter, während Adrian nochimmer vor uns stand.

"Das er mir einen Stempel verpasst, wie die ganzen anderen Kinder von meiner alten Schule. Ich will nicht wieder als Waisenkind oder Psychopath abgestempelt werden. Ich wollte nur ein normales Leben haben" gab ich zu und fing an im die Ferne zu starren.

"Er wird dich schon nicht verstoßen, deswegen" redete Leo auf mich ein.

"Und wenn doch? Was wenn er so ist, wie meine Freunde von meiner alten Schule?" ich nahm meinen Kopf von ihm und sah ihm in die Augen.

"Was wenn er sich auch einfach abwendet und ich in das gleiche tiefe Loch falle, wo alles schwarz ist. Wo alles keinen Sinn macht? Wo ich einfach nur sterben will?" flüsterte ich mit brüchiger Stimme. Tränen stiegen wieder in meine Augen.

"Er wird dich nicht verlassen. Das glaub ich nicht." Leo gab mir einen schnellen Kuss auf die Stirn und lächelte mich an.

"Du musst ihm ja nicht die ganze Geschichte erzählen. Sag ihn, dass du noch nicht bereit bist. Wenn er sich wirklich für dich interessiert dann kann er warten, ja?" Adrian gab mir ebenfalls einen Kuss auf die Stirn. Ich nickte schwach.

"Ich bin müde" flüsterte ich.

"Dann geh schnell schlafen" Adrian lächelte mich aufmunternd an. Vorsichtig hiefte ich mich hoch und lief zur Treppe.

"Lisa?" Adrians fragende Stimme ertönte hiner mir.

"Ja?" fragend dreht ich mich nochmal zu ihm um.

"Soll ich dich für morgen krank melden?"

"Das wäre nett. Gute Nacht" ich drehte mich um und fing an die ersten Stufen hinauf zulaufen.

"Schlaf schön" war das letzte, was Adrian sagte, bis ich im oberen Stockwerk ankam.

~1077 Wörter

TaskWo Geschichten leben. Entdecke jetzt