Vor meinen Augen erschien ein Gesicht.
Die Konturen waren undeutlich und wirkten etwas verschwommen, als würde ich mich in einem Rauschzustand befinden, der meine Sinne trübte. Ich war wie gelähmt und konnte meinen Blick nicht von diesem Gesicht abwenden, das regungslos vor mir lag. Um so länger ich es ansah, um so klarer wurden die Konturen. Ich erschrak. Dieses Gesicht hatte ich schon so lange nicht mehr gesehen, dass ich es nicht auf Anhieb erkennen konnte. Verdrängte Erinnerungen stiegen mit einem Male in mir auf und ließen mich erkennen, wen ich vor mir hatte – ihn.
Seine Haut war fahl. Die Augen verschlossen, die Lippen blau. Gespannt wartete ich auf eine Reaktion. Darauf, dass er die Augen endlich aufmachen würde, doch nichts geschah...
Ich versuchte zu sprechen, doch es gelang mir nicht. Meine Lippen bewegten sich, aber kein Laut wollte meine Kehle verlassen. Unfähig mich zu bewegen, starrte ich ihn an, doch er lag einfach nur dort. Das Herz in meiner Brust hämmerte. Panik stieg in mir auf. Ich wusste, ich musste etwas tun, denn alles an Leben schien endgültig aus seinem Körper zu entweichen. Sein Gesicht nahm allmählich eine lilane Farbe an.
Er durfte nicht sterben. Nicht dieses Mal.~~~
Meine Hand bekam die Bettdecke neben mir zu fassen und hielt sie fest umschlossen. Auf der Seite liegend blickte ich in Richtung Fenster, wo noch immer das Rollo heruntergelassen war und das Mondlicht durch einen Spalt ins Zimmer schien.
Ich war nach wie vor alleine in Jiraiyas Schlafzimmer.
Schnell setzte ich mich auf. Ich brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass alles nur ein Traum war. Anstatt das Glas auf dem Nachttisch zu nehmen, packte ich gleich die Flasche Wasser neben dem Bett und trank direkt aus ihr gegen die aufsteigende Übelkeit an.
Mit dem Handrücken rieb ich mir die Schweißperlen von der Stirn. Es war verrückt.
Schon lange hatte ich einen solchen Traum nicht mehr gehabt. Nach einigen ruhigeren Atemzügen normalisierte sich mein Herzschlag wieder. Ich schaute zur Bettdecke, welche ich scheinbar im Schlaf beiseite geschoben hatte.
Warum dieser Traum? Der letzte lag doch inzwischen schon etwa zwei Jahre zurück. Meine Lippen formten den Namen, den ich schon ewig nicht mehr gewagt hatte auszusprechen.
"Mamoru..."
~~~
"Prost!", Shizune hob breit grinsend ihr Schälchen Sake und kippte es noch schneller hinunter als das davor. Ich grinste ein wenig unsicher zu meiner angeheiterten Vorgesetzten hinüber und leerte anschließend auch mein eigenes Schälchen.
Mein erster Arbeitstag war gut verlaufen. Nicht perfekt, aber gut. Ich hatte noch einiges zu lernen, denn die Verwaltung von Konoha war ziemlich komplex. Shizune aber gab sich zuversichtlich. Sie meinte, dass ich mich schnell einarbeiten würde. Sie bestand sogar darauf, mich "zur Feier des Tages" zum Essen einzuladen. Da es unhöflich gewesen wäre, diese Einladung auszuschlagen, war ich mitgekommen. Schlechter als der Abend zuvor könnte es schließlich nicht werden. So kam es also, dass ich mich auch an meinem zweiten Abend in Konoha in einem Restaurant wiederfand, obwohl mir eigentlich gar nicht nach Ausgehen war...
"Wie sieht's aus, Mari....Wie kam es dazu, dass du mit Jiraiya nach Konoha gekommen bist?", Shizune beugte sich interessiert nach vorne und stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch zwischen uns ab. Ihre mittlerweile glasigen Augen glänzten mich an und ließen die Bedienung, die wortlos eine weitere Flasche Sake an unseren Tisch brachte, völlig unbeachtet.
"Wie soll ich sagen....Ähm, das war so eine Art.... spontane Aktion. Ich...brauchte einen Tapetenwechsel.", es war mir unangenehm, über die Nacht zu sprechen, in der ich mich stockbesoffen auf diese Aktion eingelassen hatte. Mit einem gekünstelten Lächeln versuchte ich meine Scham zu überspielen. Shizune schien zum Glück nichts zu bemerken. Sie sah mich unbeirrt an und nahm vergnügt den letzten ihrer Hähnchenspieße, der noch auf dem Teller vor ihr lag.
"Die letzten Jahre bin ich mit Tsunade nur umhergereist und habe viel erlebt.... Hier in Konoha lässt es sich sehr gut leben, daher kann ich mich nicht beklagen, mit ihr hierher gekommen zu sein.", Shizune nahm gut gelaunt einen weiteren Bissen von ihrem Spieß.
"Ich bin gespannt, was mich hier noch alles so erwartet...", grinste ich sie an.
Während ich versuchte, vor meiner Vorgesetzten einen möglichst guten Eindruck zu machen, wanderte ihr Blick indessen über die Abtrennung des kleinen Séparées, in dem wir saßen.
"Das kannst du auch wirklich sein, nur in einer Sache solltest du allerdings nicht zu viel erwarten.", meinte sie, während sie ihren Kopf in Richtung des Eingangs drehte. "Was die Männer betrifft, sieht es hier etwas mau aus..."
Überrascht verging mir das Grinsen.
"Wie bitte?"
"Oh, hast du etwa einen Freund, der in deiner Heimat auf dich wartet?", Shizunes glasige Augen wurden mit einem Male groß.
"Was? Nein! Nein, der Themenwechsel kam für mich nur unerwartet..."
Sichtlich erleichtert schenkte sie uns erneut zwei Schälchen Sake ein. "Und ich dachte für einen Moment schon...Weißt du, in den letzten Jahren habe ich mich ausschließlich um Tsunades Belange gekümmert und jetzt, wo sie Hokage ist, wird die Arbeit nur noch mehr. Ich glaube, ich werde nie einen Mann finden.", seufzend nippte sie an ihrem Schälchen Sake. "In meinem Bekanntenkreis gehöre ich zu den wenigen ledigen Frauen. Kannst du dir vorstellen wie frustrierend das ist, wieder und wieder auf eine Hochzeit zu gehen und nie ist es die eigene?"
Wir hatten uns den ganzen Tag über gut verstanden, aber über solche persönlichen Dinge hatten wir zuvor nicht gesprochen. Der Alkohol schien offensichtlich Shizunes Zunge zu lockern. Es war irgendwie eigenartig. Dieser Anflug von Verzweiflung, der mit ihren Worten mitschwang, erinnerte mich an mich selbst. Wahrscheinlich war es ihr in diesem Moment nicht bewusst, aber ich konnte es tatsächlich nachvollziehen. Sehr gut sogar. Für gewöhnlich war ich diejenige, die sich bei ihren Freundinnen hinter verschlossener Türe bei einem Schälchen Sake oder anderem alkoholischem Gesöff über ihr Dasein als Single beschwerte. Bisher saß ich jedoch bei solchen Gesprächen nur Frauen gegenüber, die in festen Händen waren.
Überrascht darüber, dass sich unerwartet eine Leidensgenossin vor mir offenbart hatte, kippte ich den Sake hinunter und schenkte uns beiden anschließend nach.
"Weißt du, ich kann das gut nachempfinden. Meine Freundinnen sind alle verheiratet. Ich war auf jeder einzelnen Hochzeit Brautjungfer..."
Shizune blinzelte. Sie nahm ihr Schälchen und forderte mich mit einer Geste dazu auf zu trinken. Bereitwillig kam ich dieser Aufforderung nach.
~~~
"Es ist ja nicht so, dass ich nichts versucht hätte, aber irgendwie...", ratlos schüttelte Shizune den Kopf. Etwa eine Stunde musste schon vergangen sein, in der uns die Bedienung mit einer weiteren Flasche Sake versorgt hatte und wir einander unser Leid klagten. Meine Wangen glühten und sahen vermutlich ebenso verräterisch rot aus wie die von Shizune. In diesem Moment war mir das jedoch egal. Es tat so gut, jemandem gegenüber zu sitzen, der einen wirklich verstehen konnte.
"Schon lange bin ich keinem Mann mehr begegnet, der mich interessiert hat...",
Shizune legte ihren Kopf auf ihre verschränkten Arme ab und schnaufte.
"Also gestern war ich in einem Restaurant und da habe ich einen ziemlich attraktiven Mann gesehen.", plauderte ich breit grinsend aus und dachte dabei an diesen großen dunkelhaarigen Mann und wie er mir zwinkernd den Weg auf dem Flur frei gemacht hatte.
Shizuno riss den Kopf hoch.
"Waaas? Du bist einen Tag hier in Konoha und findest auf Anhieb einen interessanten Mann? Das ist nicht fair!", sie zog leicht beleidigt eine Schmollschnute, was mich auflachen ließ.
"Gewonnen! Damit stehen wir bei 50 zu 49, mein Freund", jubelte eine Männerstimme lautstark hinter mir, sodass mein Lachen erstickte. Ich drehte mich reflexartig um und sah, wie ein Mann im dunkelgrünen Jumpsuit euphorisch von seiner Bank aufsprang und mit geballter Faust eine Siegergeste vollführte.
"Ach, das ist nur Gai...Erzähl mir lieber schnell von diesem Mann, den du getroffen hast.", drängte mich Shizune ungeduldig, doch ich konnte meinen Blick nicht von diesem Kerl abwenden. Aus der Bewegung mit der Faust schien sich ein Freudentanz zu entwickeln. Stand er doch tatsächlich dort und demonstrierte begeistert einen Hüftstoß. Wer sich den vom Nahen ansehen musste, tat mir leid...
"Wer ist das denn?", fragte ich amüsiert und versuchte mein Kichern hinter vorgehaltener Hand zu verstecken.
"Das ist Gai, einer der Jounin Konohas. Er veranstaltet immer mal wieder Wettbewerbe mit seinem sogenannten Rivalen, Kakashi...", erklärte Shizune und blickte dabei auf ihre Uhr.
Bei dem Namen "Kakashi " wurden meine Ohren groß. Wieder drehte ich mich ruckartig um. Es konnte doch nicht sein, dass er es war.
Aber tatsächlich. Genau in diesem Moment erhob er sich vom Tisch, den er sich offenbar mit diesem Gai geteilt haben musste und verabschiedete sich mit einer kurzen Handbewegung von diesem.
Sein Anblick ließ in mir eine Wut aufsteigen.
"Dieses kleine Schlitzohr...", murmelte ich vor mich hin und stand dabei ganz automatisch auf.
Ich sah in das fragende Gesicht meiner Vorgesetzten.
"Mit diesem Kakashi war ich gestern im Restaurant. Ich hab da noch etwas, das ich mit ihm besprechen muss.... Danke fürs Essen. Bis morgen dann.", ich verbeugte mich noch schnell bevor ich die perplex dreinblickende Shizune alleine im Restaurant zurück ließ, um Kakashi zu folgen.
~~~
Ob Kakashi mich wohl bemerkt hatte? So schnell wie er vor mir die gut beleuchtete Straße hinunter eilte, war dies wohl anzunehmen. Er durfte mir nicht entwischen. Meine ersten Schritte nach dem langen Sitzen, waren ziemlich taumelig. Scheinbar hatte ich es etwas mit dem Sake übertrieben gehabt. Egal. Der Drang, Kakashi für sein Verhalten am Vorabend zur Rede zu stellen, war groß.
"Hey, Kakashi!", rief ich laut in seine Richtung, woraufhin er in Höhe einer der grell leuchtenden Straßenlaternen prompt zum Stehen kam.
Er fummelte kurz an seiner olivgrünen Weste herum, bevor er sich schließlich zu mir herumdrehte.
"Hallo Mari, ich habe dich gar nicht bemerkt.", gab er vor, was ich ihm aber natürlich nicht glaubte.
"Ach ja?," ich zog die Stirn kraus und blickte ihm dabei in sein eines unbedecktes Auge. Es sah mich trüb an, entweder vor Müdigkeit oder wegen der fehlende Lust, mit mir zu sprechen.
"Du hast mich gestern ganz schön an der Nase herum geführt!", warf ich ihm vor und war dabei emotionaler als ich es von mir erwartet hatte.
"Wie meinst du das?"
"Du hast mich in dem Glauben gelassen, ich hätte dir die Kosten fürs Essen aufgedrückt, dabei hattest du sie selbst auf den alten Sack abgewälzt!"
Kakashi verzog keine Miene. Er steckte gelassen die Hände in die Hosentaschen.
"Nun, ich habe nie gesagt, dass ich das Essen auch bezahlt habe. Nur, dass du mich drauf sitzen gelassen hast..."
"Das ist ganz schön link! Wir sind alles andere als quit!", wütend erhob ich den Zeigefinger und ignorierte damit die kleine Stimme in meinem Hinterkopf, die mir verzweifelt versuchte zuzuflüstern, dass ich den Ball besser flach halten sollte. Der Einfluss des Alkohols war jedoch dominanter.
Unbeeindruckt blickte er mich an.
"Auch wenn ich nicht wirklich für die Kosten aufgekommen bin, hast du es durch deinen Abgang billigend in Kauf genommen, dass ich alleine auf ihnen sitzen bleibe. Dadurch sind wir durchaus quit.", erklärte er und zog beim Sprechen die eine Augenbraue hoch.
Ihm zuzuhören wühlte mich auf.
Der Klang seiner Stimme gefiel mir und das, was man von seinem Gesicht sehen konnte, wirkte ebenfalls anziehend auf mich, allerdings bewirkte das, was aus seinem Mund kam, genau das Gegenteil. Seine Worte regten mich auf und ließen meine Wangen noch heißer glühen, als sie es ohnehin schon vom vielen Alkohol taten. Dass das, was er sagte, auch noch Sinn ergab, machte die Sache nur noch schlimmer.
Ich biss mir verärgert auf die Unterlippe.
"Du hälst dich wohl für ganz schlau, was?!"
"Nein, nicht besonders.", entgegnete er mir, immernoch völlig entspannt.
Ich merkte, ich konnte nicht gewinnen. Mich beschlich auch langsam das Gefühl, dass ich die ganze Sache ein wenig übertrieben hatte. Die Sache nun auf sich beruhen zulassen, konnte ich aber irgendwie auch nicht. Mein Stolz stand mir im Weg. Irgendwie musste es mir doch gelingen, ihn wenigstens ein wenig aus der Reserve zu locken.
"Kannst du denn nicht wenigstens einmal deine Maske abnehmen, wenn du mit mir sprichst?!", flutschte es aus mir heraus.
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Icha Icha Marriage - Das Flirtparadies hat ausgedient (KakashixOC)
RomanceMari (OC) ist nun als einzige in ihrem Freundeskreis unverheiratet und es sieht auch nicht danach aus, als würde sich in naher Zukunft etwas daran ändern. Ihr guter Freund Jiraiya meint jedoch, genau den richtigen Mann für sie zu kennen und möchte i...