⛈ 𝘥𝘰𝘶𝘻𝘦 ⛈

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Wie gewohnt beendete mein Dozent die Lesung zehn Minuten zu spät. Der hagere, grauhaarige Mann schweifte leider immer wieder ab während seiner Vorträge, weshalb wir noch nie pünktlich Schluss gemacht hatten. Hoffnungsvoll warf ich einen Blick auf meine Armbanduhr. Schon 11 Minuten nach zehn... War er denn jetzt endlich mal fertig? Ich hatte das Frühstück heute aus Zeitmangel überspringen müssen, was mein Magen mir schon seit einer geschlagenen Dreiviertelstunde zu verstehen gab.

Ich hatte Hunger, verdammt. Ungeduldig ließ ich meinen Blick über meine Mitstudenten schweifen, die alle mehr oder weniger motiviert dahockten.
Die Meisten schienen auch schon sehnsüchtig auf das Ende der Vorlesung zu warten, hatten längst aufgehört sich Notizen zu machen.

Unauffällig sammelte ich meine verschiedenfarbige Stifte ein, die auf meinem Platz verteilt waren, und ließ sie so leise wie möglich in mein Mäppchen gleiten.
Mein Sitznachbar, ein stiller, aber netter Junge, grinste mich wissend an. Auch er schien seine Aufmerksamkeit längst nicht mehr unserem Dozent zu widmen.
Mir fiel auf, dass ich noch nie so richtig mit ihm gesprochen hatte, obwohl er eine total angenehme Person war.
Ich war mir nicht mal mehr sicher, wie er hieß... irgendwas mit J. Jonathan oder Jonas oder sowas, auf jeden Fall was englisches.

Bevor ich eingehender darüber nachdenken konnte, bemerkte der Professor (endlich), wie lange wir eigentlich schon überzogen hatten und beendete die Vorlesung.
Ein kollektives Aufatmen ging durch den Raum, während ich schnell mein Mäppchen, den Block und meinen Laptop in den Rucksack stopfte und ihn über die Schulter schwang.

Jetzt war Beeilung angesagt, ausnahmsweise hatte ich heute keine Zeit für einen selbst gemachten Proviant gehabt, jetzt musste ich auf den Pausenverkauf der Mensa zurückgreifen.
Und wenn ich da noch vor dem großen Ansturm um halb elf sein würde, wäre mir das mehr als Recht.
Ich hatte alles andere als Lust, für einen Schokoriegel und ein Sandwich eine Viertelstunde anzustehen.

Hastig zerrte ich meinen ockerfarbenen Filzmantel zurecht und huschte als einer der ersten durch die verchromte Tür.
Mein Nebensitzer, dessen Name ich vergessen hatte, warf mir einen verwunderten Block zu, als ich im Laufschritt Richtung Mensa eilte.
Sollte er doch denken was er wollte, ich hatte Hunger, und zwar jetzt.

Im Laufen kramte ich nach meinem Geldbeutel, versuchte dabei niemanden anzurempeln.
Shit, hatte ich überhaupt Geld eingepackt?
Gestresst krustelte ich im Münzfach herum, während ich durch den weitläufigen, von Studenten gefluteten Flur hastete. Zwei Pfund, ach hier, vier Pfund, das konnte gerade so-

"Taehyung, Kim Taehyung!", hallte da auf einmal eine mehr als gut bekannte Stimme durch den Gang. Die Stimme, die gestern noch so unglaublich verführerisch meinen Namen gekeucht hatte.
Ruckartig blieb ich stehen und fuhr herum, wobei ich fast von einem riesigen 2-Meter-Engländer umgemäht wurde.

"Sorry", murmelte ich hastig, während ich mich nach dem Schreihals umsah.
Ein paar Sekunden irrte mein Blick ziellos über die Gesichter, bis ich einen trainierten Arm ein Stück weiter hinten bei den Toiletten sah, dessen Hand ein koreanisches Fingerheart bildete und dazu nervig winkte.
Das konnte ja nur Jungkook sein, dieser Pabo. Zu viele Kdramas geschaut, oder was?
Eine Sekunde später entdeckte ich auch Jungkooks breites Grinsen, das seine (irgendwie süßen) Hasenzähe entblößte.

Gespielt genervt zeigte ich ihm einen Vogel, während ich mich durch die mir entgegenkommenden Studenten auf ihn zu drängte.
Was war denn jetzt? Wenn er mein liebevoll hergerichtetes Frühstück abgreifen wollte, hatte er heute Pech gehabt. Ich wollte doch einfach nur in die Mensa, verdammt.
Aber ihn zu ignorieren machte auch keinen Sinn, er würde nur weiter so peinlich meinen Namen rufen, ganz bewusst, dass es mir unangenehm war.

Und außerdem... freute ich mich, ihn zu sehen. Heute morgen hatten wir uns verpasst, und nach den Geschehnissen gestern war sowieso nichts mehr wie davor.
Ich war irgendwie glücklich, gleich in seiner Nähe sein zu können.
Mensch, er hatte mir wirklich in nur ein paar Tagen den Kopf verdreht.

Endlich war ich bei ihm angekommen, lässig lehnte der Ältere gegen die Wand, die muskulösen Arme vor der Brust verschränkt, neben ihm Hoseok und Yoongi, seine besten Freunde.
Hoseok strahlte mich an, ich lächelte schnell zurück. Einfach nett, der Junge.
Yoongi nickte mir wie immer neutral zu, doch bevor ich das Nicken erwidern konnte, machte Jungkook schon einen Schritt von der Wand weg auf mich zu.

Ohne Vorwarnung schlang er seine Arme um meine Taille, zog mich eng an seine Brust und küsste mich auf die Lippen. Wie erstarrt stand ich da, unfähig zu erwidern.
Vor allen Leuten? Vor Yoongi und Hoseok?
Überfordert hielt ich die Luft an, doch da hatte der Dunkelhaarige sich schon wieder von mir gelöst und grinste mich verschmitzt an.

Ein seltsames Geräusch riss mich aus meiner Schockstarre, es klang irgendwie wie eine misshandelte Gummiente.
Mit einem verwirrten Blick zur Seite wurde mir klar, dass das Geräusch von Hoseok kam, der mit aufgerissen Augen zwischen mir und Jungkook hin und her sah, die Hand geschockt vor seinen Mund gehalten.

Sofort wurde ich knallrot und warf Jungkook einen anklagenden Blick zu.
Konnte er sich nicht eine Sekunde zurückhalten?
Sogar der sonst eher gleichgültige Yoongi warf Jungkook einen fragenden Blick zu.

"Ihr- Seid ihr zusammen oder was?", quietschte Hoseok aufgebracht und riss seine hübsch geformten Herzaugen noch weiter auf.
"Nein", antwortete ich schnell, doch im selben Moment kam ein irgendwie stolz klingendes "Ja" von meinem Mitbewohner.
Huh?
Hatte ich da nicht auch noch ein Wörtchen mitzureden?

"Seit wann denn das bitteschön?", etwas ungehalten forderte ich den Älteren raus und hob meinen Zeigefinger, um ihm verurteilend in die Brustmuskulatur zu piksen.

𝙨𝙩𝙪𝙗𝙗𝙤𝙧𝙣 | 𝙩𝙖𝙚𝙠𝙤𝙤𝙠Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt