V: Die Moiren schlagen zu

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Nico schlug so lange auf die Pappkameraden ein, bis er merkte, dass es bereits anfing zu dämmern. Er ließ sein Schwert sinken, schnappte sich eine Wasserflasche aus dem Kanister und verdünnte das Wasser mit etwas Einhorntrunk.
Das Gebräu kippte er schließlich in einem Zug runter und schüttete sich eine weitere Flasche Wasser über den Kopf, dann entledigte er sich seinem verschwitzten T-shirt und schnappte sich ein Handtuch, um sich durch die Haare zu rubbeln.
Nico wischte sein Schwert sauber und ließ sich erschöpft auf dem Boden nieder.
Er schloss die Augen.

Während des Kämpfens hatte er sich allein darauf konzentriert und nicht weiter über sein Gespräch mit Will nachgedacht.
Jetzt kehrten diese Erinnerungen schemenhaft zurück. Er machte sich Vorwürfe, weil er Will so angeschrien hatte.

Nico tat sich noch schwer mit der Tatsache, dass er sich wohl oder übel bei Will entschuldigen musste.
Sein Stolz ließ es einfach nicht zu.
Aber genauso wenig wollte er weiter mit ihm zerstritten sein, nicht zuletzt wegen seinen Gefühlen für den Blondhaarigen, die ihm inzwischen mehr als nur gewaltig gegen den Strich gingen.

Denn wäre es nach seinem gesunden Menschenverstand gegangen, hätte er bis ans Ende aller Tage kein Wort mehr mit Will gewechselt.
Doch eben dieser gesunde Menschenverstand hatte sich soeben in die hinterste Ecke seines Bewusstseins verkrochen, um Schuldgefühlen, Selbstzweifel und der wilden Entschlossenheit, sich zu entschuldigen, Platz zu machen.

Und, als ob die Moiren ihn heute besonders auf dem Kicker hätten, kam in diesem Moment besagter Hüttenältester in die Arena.
Nico stöhnte innerlich, dann dachte er etwas trotzig, dass er doch der Sohn des Hades wäre und sich gefälligst nicht vor einer einfachen Entschuldigung fürchten sollte.

Will ging zögerlich zu Nico hinüber und blieb etwas unschlüssig vor diesem stehen.
Sein Blick blieb kurz an Nicos freiem Oberkörper hängen und glitt dann weiter in dessen Gesicht.
Nico schluckte, stand auf und begann schließlich zögerlich zu sprechen.
"Also, ähh, also...", gab er diese sehr geistreichen Worte zum Besten.
Dann runzelte er die Stirn und atmete einmal tief aus.
"Hör mal zu, Will. Ich...es...tut mir leid?" Er unterbrach sich und schüttelte, wütend über sein Gestottere, den Kopf.

"Es tut mir leid, dass ich dich so angefahren habe.
Du hast recht. In allen Pukten.
Ich sollte dir wirklich mal danken. Auch dafür, dass du mich nicht einfach nach den drei Tagen Krankenstation links liegen gelassen hast.
Also...Danke."
Der Schwarzhaarige holte noch einmal tief Luft.

"Ich bin nicht stark und ich renne vor meinen Problemen weg.
Aber ich weiß nicht, wie ich sie lösen könnte. Und ich...vielleicht sollte ich mir wirklich manchmal helfen lassen. Aber ich will auch niemandem zur Last fallen.
Ich komme vom Thema ab, oder?
Achso...ich wollte mich bei dir entschuldigen, für alles, was ich dir an den Kopf geworfen habe."

Nico war sich sicher, dass er noch nie so viel auf einmal geredet hatte.
Nun sah er Will gespannt an und wartete auf eine Reaktion.
Will lächelte leicht.
Nico sah, dass er sehr erleichtert war, denn der Apollosohn zeigte im Gegensatz zu ihm immer ganz direkt, was er fühlte.
Und jetzt lächelte er so warm, dass Nicos Herz auf der Stelle schneller schlug.

"Weißt du Nico? Du hast eingesehen, dass es nicht schlimm ist, sich helfen zu lassen und dass es durchaus auch Leute gibt, die dir gerne behilflich sind.", er grinste noch breiter. "Ich nehme deine Entschuldigung an."
Jetzt zog auch Nico seinen rechten Mundwinkel hoch. Er streckte seine Hand aus und hielt sie Will hin.
"Freunde?"
"Freunde."
Er nahm Nicos ausgestreckte Hand und drückte sie.
Dem Hadessohn lief ein wohliger Schauer über den Rücken. Obwohl er Körperkontakt eigentlich hasste, wünschte er, Will würde seine Hand nie mehr loslassen. Diesem ging es offensichtlich genauso, denn er legte seine zweite Hand auf Nicos Schulter und umarmte ihn ganz sacht.

Nico stand während der Umarmung ganz starr, aber Will schien es nichts auszumachen, dass seine Umarmung nicht erwiedert wurde. Nachdem er sich wieder gelöst und einen Schritt zurück getreten war, schob er Nico in Richtung Ausgang mit den Worten:
"Du brauchst ein neues Shirt und dann gehen wir zum Essen."
Nico nickte nur.

"Wo warst du eigentlich den ganzen Tag über?", fragte er. Will, der neben ihm lief, zuckte mit den Schultern.
"Krankenstation.", er grinste schief.
"Ich habe Kayla einen Pfeil in den Arm geschossen und musste ihn dann wieder rausholen."
Nico schnaubte.
"Mehr als heilen kannst du auch nicht, oder?"

Sofort bereute Nico diesen Kommentar, doch Will schien es, anders als Nicos freier Oberköper, kalt zu lassen. Er zuckte nur mit den Schultern.
"Soweit ich weiß, ist Bogenschießen auch nicht deine natürliche Begabung, oder Neeks?", konterte er.
Das konnte ja lustig werden, wenn der Typ immer so schlagkräftig war, dachte Nico.
Dann wurde ihm bewusst, wie Will ihn gerade genannt hatte.

"Neeks?"
Er klang nicht sehr begeisert.
"Echt jetzt, Will?"
Dieser grinste.
"Ich finde bestimmt noch schlimmere Spitznamen, also sag nichts."
"Aber-", begann Nico, doch er schnitt ihm das Wort ab.
"Halt die Klappe, Angel."
Nico schnaubte wieder, diesmal belustigt.

Dann wurde ihm auf einmal klar, dass es vermutlich besser war, sich von dem Blonden fern zu halten.
Er wollte keinen zweiten Percy.
Im schlimmsten Fall würde er ihn sogar irgendwie verletzen.
Doch dann schob er den  Gedanken noch rechtzeitig zur Seite, um zu verhindern, dass dieser sich in seinem Kopf häuslich niederlassen würde. Nico sah wieder nach vorne, wo ihnen die Hadeshütte, unscheinbar und im Schatten der Bäume liegend, entgegen blickte.

𝚃𝚛𝚞𝚜𝚝 𝚖𝚎 || 𝚂𝚘𝚕𝚊𝚗𝚐𝚎𝚕𝚘Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt